"Aus Freunden wurden Feinde"
Frage: Herr Bischof Doeme, Sie leben und arbeiten in Maiduguri, Hochburg der Terrorgruppe Boko Haram. Wie schätzen Sie die Situation vor Ort mittlerweile ein?
Doeme: Wir danken Gott für die großen Verbesserungen im Nordosten Nigerias und ganz besonders auf dem Gebiet der katholischen Diözese von Maiduguri. Vorher haben wir zahlreiche Attacken und Bombenanschläge von Boko-Haram-Mitgliedern erlebt. Doch die Lage hat sich wirklich verbessert, und die Sicherheitskräfte tun wie wir auch ihre Arbeit.
Frage: In der Vergangenheit sind gerade in der Provinz Borno oft Kirchen, aber auch zahlreiche Moscheen angegriffen worden. Trauen sich die Menschen wieder in die Kirchen?
Doeme: Unsere Anhänger sind sehr stark im Glauben, was sie auch zeigen wollen. Das heißt: Sie kommen sehr selbstverständlich in die Gottesdienste. Mehr noch: Ich erlebe, dass sich bei jenen Mitgliedern, die nur ab und zu kamen, der Glaube gefestigt hat.
Frage: Trotzdem hat die Terrormiliz eins erreicht: Im Nordosten Nigerias herrscht heute sehr viel Misstrauen zwischen Christen und Muslimen. Das war in vielen Regionen bisher nicht der Fall.
Doeme: Das ist sehr unglücklich. Für eine lange Zeit haben Christen und Muslime friedlich miteinander gelebt. Durch Boko Haram sind viele hässliche Dinge passiert. Die Gruppe hat einige Gebiete besetzt, in denen Christen und Muslime gelebt haben. Christen sind geflohen, weil sie Angst hatten, zum Islam gezwungen zu werden oder auch dazu, für Boko Haram zu kämpfen.
Frage: Leben denn noch immer Boko-Haram-Kämpfer in den einstmals von der Gruppe besetzten Gebieten?
Doeme: Man findet hauptsächlich junge, muslimische Männer. Zum Teil haben sie der Gruppe gezeigt, wo Kirchen stehen und Christen leben. Manche haben sich aber auch selbst aktiv an Zerstörungen beteiligt, was auch Christen gesehen haben. Nach und nach kommen die Menschen nun zurück. Doch gerade unter den Christen herrscht viel Misstrauen und Abneigung. Dabei waren sie [Anm. der Redaktion: die Muslime] einst ihre "Freunde". Jetzt sind sie ihre Feinde.
Frage: Was tun Sie persönlich dafür, um die Menschen wieder zusammen zu bringen?
Doeme: Ich greife das Thema oft bei Besuchen auf. Darüber hinaus gibt es ein Programm zur Traumabewältigung, das von Experten angeboten wird. Gerade schreibe ich an einem neuen Hirtenbrief. Die zentrale Botschaft ist, dass Christen vergeben müssen.
Frage: Schlagzeilen gemacht hat in den vergangenen Tagen die Rückkehr eines Mädchens aus Chibok, das im April 2014 mit 275 Mitschülerinnen von Boko Haram entführt wurde.
Doeme: Darüber sind wir natürlich sehr glücklich. Jedes Leben ist wichtig. Trotzdem müssen wir sagen: Es sind noch so viele Mädchen und Frauen entführt. Und es sind nicht nur die Mädchen von Chibok. Deshalb müssen wir dafür beten und sorgen, dass alle befreit werden.
Frage: Für Außenstehende ist es noch immer schwierig zu verstehen, weshalb Boko Haram seit der Gründung im Jahr 2002 so stark in Maiduguri und auch Borno werden konnte.
Doeme: Es gibt zahlreiche Faktoren, etwa den politischen. Der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Borno, Ali Modu Sheriff, hat Boko Haram unterstützt und finanziert. Aus Angst, selbst angegriffen zu werden, hat er die Mitglieder quasi als Schutzschild benutzt. Die Schwierigkeiten begannen, als die finanzielle Hilfe ausblieb und Boko Haram anfing, die Regierung anzugreifen. In dieser Zeit kamen auch viele Waffen in die Region, was die Regierung wiederum ignoriert hat. Boko Haram hatte so eine solide Basis.
Frage: Häufig wird auch Korruption als entscheidender Faktor genannt.
Doeme: Der damalige Präsident Goodluck Jonathan hat viel dafür getan, um Geld für den Kauf von Waffen bereit zu stellen. Doch diese Waffen wurden nie gekauft. Stattdessen haben sich hochrangige Militärs das Geld eingesteckt. Boko Haram erhielt hingegen sowohl in Nigeria als auch aus dem Ausland Unterstützung.
Frage: Hat die aktuelle Regierung unter Präsident Muhammadu Buhari, der am 29. Mai ein Jahr im Amt ist, daraus seine Lehren gezogen?
Doeme: Buhari ist tatsächlich sehr gegen Korruption. Er wird niemanden unterstützen, der korrupt ist. Es ist sehr wichtig, dass das an oberster Stelle beginnt. Für unser Land ist das ein gutes Signal.