Für Schlaumeier, Schatzsucher und Entdecker
"Da oben in der Nische seht ihr den heiligen Paulus, einst ein Pharisäer, der erst nach seiner Bekehrung das Evangelium in der gesamten römischen Welt verbreitete." Wer eine Kirchenführung für Kinder so beginnt, hat sicherlich einen wichtigen Teil der Kirchengeschichte dargestellt, muss sich aber nicht über verständnislose Blicke seiner jungen Zuhörer wundern. "Es ist heute eine echte Herausforderung, kirchliche und religiöse Inhalte an den Besucher zu bringen", sagt Museumspädagogin Ines Amann, die seit 13 Jahren Familien- und Kinderführungen in und um den Regensburger Dom konzipiert.
Das Team der Pädagoginnen des Domschatzmuseums Regensburg hat sein Programm in den vergangenen Jahren bewusst für ein breiteres Publikum geöffnet. "Wir versuchen unterschiedliche Menschen anzusprechen und sie für unsere Themen zu begeistern." Und das ist gar nicht so einfach. Anders als ein Besuch in einem historischen Museum mit Rittern und Rüstungen, liegt ein Familienausflug ins Domschatzmuseum nicht unbedingt auf der Hand. "Messgewänder und Kelche anschauen, das klingt erstmal nicht sehr aufregend", meint Amann.
Für Schlaumeier und Schatzsucher
Und deshalb haben die Museumspädagoginnen in den vergangenen Jahren ein vielfältiges und spannendes Programm ausgetüftelt, dass auch Menschen ohne besonderen Kirchenbezug ansprechen soll. Im Rahmen des Projektes "Museum für Kinder" bieten sie günstige Familienführungen im Dom, im Domschatzmuseum und in angrenzenden Regensburger Kirchen an. Das Angebot richtet sich an "Schlaumeier, Schatzsucher und Entdecker" und lädt ein, den gesamten Dombereich genau unter die Lupe zu nehmen.
Im April wird geklärt "Wie der Dom zu seinem Namen kam", im Juli lernen schlaue Bauforscher einiges über "coole" Gotik. Die Domführung im August nimmt Kinder mit auf eine Entdeckungsreise ins Land der Krabben, Drachen und blauen Esel. Kunsthistoriker wissen, dass "Krabbe" der Fachbegriff für gotische Blätterverzierungen ist. "Wir nutzen solche Details, um das Selbstverständliche interessant zu machen und mit Dingen auf die Menschen zuzugehen, die sie nicht erwarten. Manchmal muss man ein Thema von unten angraben, damit es spannend wird", sagt Amann lachend.
Ob sie nun mit Familien, Schulklassen, Kommunionkindern oder Firmkandidaten den Dombereich erkundet, eines gilt immer: "Eine Führung muss interaktiv sein. Man darf nicht nur dastehen und erzählen, sondern muss die Kinder beteiligen und fordern." Deshalb gilt es, kleine Rätsel zu lösen oder das Gelernte später kreativ umzusetzen. "Bei unserer Goldfingerführung durch das Domschatzmuseum erklären wir den Kindern die Rolle des Goldes im Kirchenraum. Währenddessen dürfen sie als James Bond streng geheime Aufträge lösen. Dabei stoßen sie auf Fundstücke, die sie selbst mit Blattgold oder Goldfarbe veredeln dürfen."
Kinder haben weniger Wissen
Der Erfolg ihres Programms gibt den Museumspädagoginnen aus Regensburg recht: Die Zahl der Besucher hat sich erhöht, Oster- und Christkind-Führungen werden sogar doppelt angeboten, weil sie so beliebt sind. "Wir müssen heute anders ansetzen, wenn wir Kinder erreichen und früh eine Verbindung zur Kirche schaffen wollen. Kinder kommen heute mit wesentlich weniger Vorwissen zu uns, als noch vor einigen Jahren", sagt Amann. Ihr ist es wichtig, die Bedeutung kirchlicher Traditionen wieder bewusst zu machen und "religiöse Hintergründe lassen sich zum Beispiel gut anhand des Kirchenjahres erklären".
Wie etwa bei der Veranstaltung zu Allerheiligen am 29. Oktober. Dann ist der Dom abends geöffnet und nur spärlich beleuchtet. Die Domführerinnen nehmen Kinder und Familien mit auf eine Taschenlampenexkursion durch den Dom, auf der Suche nach Dämonen, Fratzen und Teufeln. "Alle Welt feiert Halloween mit Kürbisschnitzen und Partys. Wir zeigen Kindern, wo die Verbindung zum christlichen Glauben liegt."
Kindgerechte Begegnungen im Kirchenraum zu ermöglichen, ist auch ein Anliegen von Stephan Häutle. Der Diakon im Münchner Dom führt Kinder in der Weihnachtszeit gerne zur Nikolausfigur. "Was viele nicht wissen: Nikolaus ist der Patron der Bäcker und daher ist auf dem Kapellengitter eine vergoldete Brezel zu sehen." Dazu erzählt Häutle die Legende von Nikolaus und den Kornschiffen und betrachtet mit den Kindern ein Fenster im Dom, das die wundersame Brotvermehrung zeigt. "Zum Schluss dürfen sich alle eine Brezel aus einem Korb nehmen."
Chrisam riecht nach Rose
Dass Besucher den Dom mit allen Sinnen erfahren, ist für Häutle grundlegend. Seit sieben Jahren begleitet er Kinder und Erwachsene bei ihrer spirituellen Begegnung mit dem Gotteshaus. "Mit kleinen Besuchern gehe ich gerne in die Taufkapelle. Dort werden die heiligen Öle in großen Gefäßen aufbewahrt. Wir schnuppern daran, denn jedes duftet anders: Chrisam als Zeichen der Liebe nach Rose, Katechumenenöl für die Taufvorbereitung erfrischend nach Zitrone und das Krankenöl bestärkend nach Zimt."
Die Kinder überlegen selbst, welche Gefühle die Düfte in ihnen auslösen und das ist Stephan Häutle sehr wichtig. "Ich versuche, den Menschen nicht nur etwas zu erzählen, sondern sie selbst erzählen zu lassen. Verschiedene Sinneseindrücke lassen sie den Dom besser begreifen und regen dazu an, Verbindungen mit der eigenen Lebenswelt herzustellen."
Wie viel ein Kirchenbau über Religion erzählen kann, war auch für Diakon Häutle ein "Aha"-Erlebnis. "Für mich ist der Dom wie eine Schatztruhe, die ich für Menschen jeden Alters aufschließen möchte." Wenn Erstkommunionkinder oder Firmkandidaten besondere Erinnerungen mit dem Dom verbinden, dann schafft das eine Nähe zu diesem Ort, so die Erfahrung des Diakons: "Auch Menschen, die kaum noch einen Bezug zur Kirche haben, wissen immer, wo sie getauft wurden oder was sie in der Firmvorbereitung erlebt haben."
Manchmal auch schweigen
Gerne versammelt Häutle daher Kinder um das Taufbecken herum, wo sie ihrer Tauferfahrung nachspüren können. Gemeinsam erinnern sie sich daran, dass jeder ein geliebtes Kind Gottes ist. Es sind solche Augenblicke mit besonderer Tiefe, die Häutles Führungen von kunsthistorischen oder liturgischen Rundgängen unterscheidet. Auch die Krypta im Dom ist ein Ort, der zum Innehalten einlädt. "Wir sprechen darüber, dass an diesem Ort Menschen liegen, die uns wichtig und wertvoll sind und an die wir hier denken."
Mit großer Unbefangenheit fragen die Kinder nach und wollen alles ganz genau wissen. "Da heißt es 'Liegt der da noch drinnen?' oder ‚Wenn wir das jetzt aufmachen, finden wir dann Knochen?'" Diakon Häutle ist selten um eine Antwort verlegen, schließlich "sind wir eine Erzählgemeinschaft und teilen Trauriges und Freudiges". Und doch wird es auch bei seinen Führungen hin und wieder still – immer dann, wenn es um das Leiden geht. "Ich will mich nicht drücken, aber ich glaube, es ist besser zu schweigen und zuzugeben, dass ich keine Antwort darauf habe." Auch bei einer Kinderführung muss man nicht alles bis ins Letzte erklären. "Der Dom wirkt auch so."