EU-Bischofskommission unter Vorsitz von Kardinal Marx fordert eine "gelebte Solidarität"

"Menschen sterben für die Freiheit"

Veröffentlicht am 21.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
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Europa

Brüssel ‐ Stabilitätsmechanismus, Grenzschutzagentur, Durchführungsrechtsakte. Das ist das Vokabular, das man von der Eurokratie kennt. Es gibt aber auch andere sperrige Begriffe im Lexikon Europas, die die Katholische Soziallehre mit den Gründervätern der europäischen Einigung wie Konrad Adenauer, Robert Schuman oder Alcide de Gasperi nach Brüssel gebracht hat: Subsidiarität, Solidarität.

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Daraus spricht das, nur komplizierter, was Papst Franziskus das Schauen auf die Schwächeren, Armen, Behinderten nennt. Eine gute Übersetzung in Politik für die bevorstehenden Europawahlen hat am Donnerstag die EU-Bischofskommission COMECE vorgelegt.

"Wir müssen lernen, mit weniger auszukommen", heißt es in dem Wahlaufruf, den die EU-Bischöfe unter der Führung ihres Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx präsentierten. Gleichzeitig sollen Menschen in Armut "einen gerechteren Anteil" bekommen. Eine "Kultur des Maßes" mahnen die Bischöfe an - und damit sind nicht die üblichen Brüsseler Normvorschriften gemeint.

Viele Aspekte "gelebter Solidarität" zwischen Bevölkerungsgruppen, Nationen und Regionen in Europa nehmen sie in den Blick; am eindrücklichsten wohl die Finanz- und Schuldenkrise, die immer noch viele der 28 Mitgliedstaaten und vor allem deren Bürger im Griff hält. Durch sie seien "die Zukunftshoffnungen vieler junger Menschen vereitelt" worden. Die Zahl der "neuen Armen" wachse gefährlich, warnen die EU-Bischöfe. Nicht zuletzt habe die Krise auch die Beziehungen und die Solidarität zwischen den EU-Staaten belastet.

Auch das Thema Asyl und Migration beschäftigt die EU-Bischöfe

Das ist auch für einen anderen Sektor von Gewicht: Asyl und Migration. Nicht nur, dass die Kirchenvertreter - mit den starken Bildern der Papstreise auf die italienische Flüchtlingsinsel Lampedusa im Rücken - eine menschenwürdige Behandlung von Asylsuchenden einfordern. Sie schreiben auch den Mitgliedstaaten ohne Küste ins Stammbuch, ihren Anteil an Lasten bei der Aufnahme von Migranten zu übernehmen. Weitere Wahlprüfsteine geben die Bischöfe den EU-Bürgern angesichts anderslautender Tendenzen in der Gesetzgebung vieler Mitgliedstaaten auf den Weg: den Schutz des Lebens, der Familie und der "unverletzlichen Menschenwürde".

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Papst Franziskus spricht auf Lampedusa mit Flüchtlingen.

Auch die Krim-Krise war Thema - nicht nur beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs einige hundert Meter weiter. Marx berichtete von der Ergriffenheit im Plenum, als der ukrainische Amtsbruder von toten Landsleuten berichtete, die mit der europäischen Fahne in der Hand auf der Straße lagen. "Dort sterben Menschen für diese Idee von Freiheit." Die Ereignisse in der Ukraine machten deutlich, so Marx, "dass die Errungenschaften unseres freien und demokratischen Europa keine Selbstverständlichkeiten sind". Um sie zu erhalten, brauche es die beständige Unterstützung der Bürger. Mit Blick auf die erwartete schwache Wahlbeteiligung für die Europawahl stellte Marx die provokative Frage, "ob wir nicht etwas müde und faul geworden sind, uns um die politischen Belange Europas zu kümmern".

Ein fast dramatischer Appell zur Mitgestaltung Europas

Fast dramatisch fällt der Appell der Bischöfe an alle Politiker, Kandidaten und Bürger aus, die Zukunft Europas konstruktiv mitzugestalten: "Wir würden zu viel verlieren, sollte das europäische Projekt scheitern." Stimmabgabe und Mitverantwortung seien Bürgerpflicht. Und dann - auch das ein Widerhall von Papst Franziskus beim Weltjugendtag 2013 in Rio - der Aufruf an die Jugend, sich "hörbar an der politischen Debatte zu beteiligen". Fehlende Hoffnung und Zukunftschancen in vielen Ländern der EU: Das sei, so Marx, die drängendste sozialpolitische Aufgabe der EU. Sein eindringlicher Aufruf: "Nehmt diese Wahlen ernst, damit nicht andere von ihnen profitieren!"

Der Kommissionspräsident wirkte bei der Präsentation des Papiers in seinem europäischen Element. Bereits seit 2006 gehört Marx der COMECE an, seit 2012 als ihr Vorsitzender. Diese Amtszeit endet in genau einem Jahr. Ob er dann angesichts seiner zahlreichen anderen Ämter die EU-Fackel an einen seiner Vizepräsidenten weiterreichen wird, das war an diesem Brüsseler Frühlingstag kein Thema. Es gab genügend andere.

Von Alexander Brüggemann (KNA)