Die Regierung muss entschiedener gegen Armut und Not vorgehen

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Sie hat hohe Bedeutung für unsere Gesellschaft, die Subsidiarität. Ihr Kerngedanke: Was der Einzelne oder die Familie leisten kann, auch was die Kommune oder gewerblicher Wettbewerb stemmt, hat Vorrang vor staatlichem Eingreifen. Manchmal lagert die öffentliche Hand da auch Arbeitsbereiche aus, um Kosten zu sparen. Wer einmal – um ein konkretes Beispiel zu nennen – im Berliner Nahverkehr mit Ticket-Kontrolleuren konfrontiert war, die erkennbar nach Erfolgsprämien bezahlt werden, kennt das. Auch bei der Versorgung durch Rettungsdienste scheint der Verzicht auf ausreichende staatliche Absicherung des Systems gelegentlich problematisch. Und der Hang zu immer mehr privaten Schulen liegt auch daran, dass Eltern die öffentlichen Einrichtungen vermeiden wollen, weil sich der Staat gelinde gesagt zurückhalt.
Eine größere Dimension bekommt das, wenn der Staat jene nicht wenigstens angemessen unterstützt, die ihm – beispielsweise bei der Hilfe für Geflüchtete – in vielfacher Form ehrenamtlich beispringen, weil es letztlich nur die Gesellschaft als Ganze schaffen kann.
Seit Monaten warnen Sozialexperten und Wohlfahrtsverbände vor wachsendem Druck und sozialer Not. Einrichtungen der Lebensmittelhilfe, die sogenannten Tafeln, registrieren wachsende Nachfrage und sinkendes Angebot. Sie kümmern sich längst nicht mehr nur um Menschen am Rande der Gesellschaft. Sie sind Anlaufstellen für alte Menschen, bei denen die Rente nicht reicht, für Geflüchtete, für Familien oder Alleinerziehende mit kleinen Einkommen. Der Druck auf die überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer solcher Einrichtungen wächst. Sie kommen an ihre Grenzen. Wie lange kann das gut gehen? Seit dem vorigen Jahr lässt es – um nur ein Beispiel zu nennen – Brüssel zu, bei Grundnahrungsmitteln die Mehrwertsteuer komplett zu streichen.
Klar, das Subsidiaritätsprinzip, das aus der kirchlichen Soziallehre stammt, gehört zu den Grundprinzipien des Gemeinwesens. Der Staat soll sich nicht in alles einmischen, bei dem jeder einzelne oder ehrenamtliches Engagement, lokale Bündnisse oder gewerbliche Konkurrenz tätig sein können. Aber er darf sich eben auch nicht heraushalten, wenn die schiere Not und Notwendigkeit gegeben ist und es um Grundversorgung geht.
Es mag sein, dass der Druck auf die Tafeln nur ein warnendes Beispiel dafür ist, dass die Politik über außen- und innenpolitische Großkrisen Herausforderungen der Sozialpolitik nicht so sehr im Blick hat. Aber die Bundesregierung, die Ampel, muss entschiedener handeln angesichts Millionen von Kindern und Familien in Armut oder drohender Not.
Der Autor
Christoph Strack ist Leiter des Bereichs Religionen der Deutschen Welle.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.