Kirche muss Rahmenbedingungen für eine gute Zukunft schaffen
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Die Philosophin Eva von Redecker hat mit ihrem Essay "Bleibefreiheit" den Freiheitsbegriff neu umrissen: An die Stelle eines lokalen tritt ein temporäres Freiheitsverständnis. Der Freiheitsbegriff Redeckers ist einer, der nicht nach der Möglichkeit fragt, gehen zu können, wohin auch immer man will, sondern nach Bedingungen der Möglichkeit, auch zukünftig bleiben zu können. Freiheit meint insofern, Zukunft denken zu können, ohne durch veränderte äußere Rahmenbedingungen zum Verlassen des Ortes gezwungen zu werden. Redeckers Freiheitsbegriff ist Auseinandersetzung mit den Krisen unserer Zeit: Mit der Corona-Krise einerseits, in der der Essay entstand, aber auch mit den großen globalen Krisen wie der Klimakrise und den daraus resultierenden Flucht- und Migrationsbewegungen.
Ohne das Freiheitsverständnis Redeckers im Detail darstellen zu wollen, scheint mir der Begriff der Bleibefreiheit inspirierend für zwei Zukunftsfragen von Kirche zu sein: Werden wir immer weniger, bis niemand mehr ist, der bleiben könnte? Und: Welche Prioritäten sollten unser Handeln leiten?
Einerseits ist "bleiben oder gehen" eine Grundfrage von Gläubigen über Konfessionsgrenzen hinweg geworden. Der Kirchenaustritt ist Ausdruck einer fundamentalen Erosion des Vertrauens in die Institution Kirche. Würde Kirche Freiheit im Sinne der Bleibefreiheit verstehen, wäre handlungsleitend, ob die Auswirkungen kirchlichen Handelns heute eine Zukunft ermöglichen, in der Menschen sich entscheiden zu bleiben.
Andererseits ist der innerkirchliche Diskurs bestimmt von der Frage nach dem, was zu tun angesichts schwindender Ressourcen oberste Priorität genießen sollte. Der Begriff der Bleibefreiheit ist eng verknüpft mit der Utopie eines guten Lebens für alle Menschen: Es ist Ausdruck von Freiheit, heute schon Rahmenbedingungen für eine dauerhaft gute Zukunft zu schaffen. Jesu Botschaft zeigt Parallelen zu diesem Gedanken: Reich Gottes ist "schon und noch nicht". Reich Gottes ist, was zukünftig erhofft werden darf und zugleich heute gelebt werden soll.
Zukunft zu ermöglichen, bedeutet konsequenten Einsatz für eine lebenswerte Erde, einen respektvollen Umgang mit Gottes Schöpfung und gleichberechtigten Zugang aller Menschen zu wertvollen, weil äußerst begrenzten Ressourcen wie Wasser, Nahrung und sauberer Luft. Diesen Einsatz als Ausdruck von Freiheit, als Chance auf Gestaltung, als solidarischen Akt aus dem Glauben heraus, als Beitrag zum Reich Gottes zu verstehen, verändert die Bewertung: Es geht nicht länger um Verbote, wenn wir beispielsweise aktiv als Kirchen zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit beitragen, sondern um Ausdruck von Freiheit.
Die Autorin
Katharina Goldinger ist Theologin und Pastoralreferentin im Bistum Speyer und Religionslehrerin an einem Speyerer Gymnasium. Sie ist sehr gerne in digitalen (Kirchen-)Räumen unterwegs und ehrenamtlich im Team der Netzgemeinde da_zwischen aktiv.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.