Zuwendung statt Giftbecher
Im dem ökumenischen Eröffnungsgottesdienst in der Hauptkirche Sankt Katharinen sprachen sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, gegen eine Beihilfe zur Selbsttötung aus. In einer "Kultur des Sterbens" müsse die Palliativmedizin aufgewertet werden, die sich der bestmöglichen Lebensqualität für Sterbenskranke widme. Bedford-Strohm betonte in seiner Predigt, in Würde sterben zu dürfen bedeute nicht, "alle Optionen zu haben, um sich jederzeit selbst töten zu können". Vielmehr brauche es eine Kultur des Sterbens in Deutschland, "in der die Liebe Raum gewinnt".
Der Ratsvorsitzende forderte eine ausreichende Finanzierung der Pflege und der Palliativbegleitung. Die liebevolle Begleitung eines Sterbenden könne niemals von Kosten-Nutzen-Abwägungen abhängig gemacht werden. Niemand solle mehr meinen, dass er nur würdig sterben könne, wenn er sich selber das Leben nehme.
Marx gegen Selbsttötung als Option
Marx sprach von einem "Armutszeugnis für eine Gesellschaft, in der die Möglichkeit zur Selbsttötung bloß zu einer weiteren Option unter vielen wird: Pflegeheim, Krankenhaus, Suizid". Humanität messe sich gerade daran, wie eine Gesellschaft mit ihren Alten und Schwerstkranken umgehe. Diese verdienten "in besonderer Weise unsere Zuwendung - und nicht den Giftbecher", so der Kardinal.
Er plädierte für eine Verstärkung der Palliativmedizin. Sie sei bereits heute eine hervorragende Möglichkeit, schwerstkranke Menschen auf ihrem letzten Lebensweg zu begleiten. Marx betonte, die Palliativversorgung kümmere sich nicht nur um körperliche Schmerzen, sondern auch um die Psyche und spirituelle Bedürfnisse.
Die Gesellschaft dürfe nicht hinnehmen, dass der Wunsch nach Tod dadurch entstehe, dass die Menschen sich im Sterben alleingelassen fühlten, mahnte Marx. Auch brauche es Ärzte, die Menschen im Sterben begleiteten, aber nicht solche, die töteten. Zum Glück sähen das die allermeisten Mediziner genauso, ergänzte der Kardinal.
Er kann auf Resonanz bei den verantwortlichen hoffen, denn an dem Gottesdienst nahmen mehrere hundert Gäste aus Politik, Gesellschaft und von verschiedenen Religionsgemeinschaften teil. Darunter waren auch der katholische Hamburger Erzbischof Stefan Heße und seine evangelische Amtskollegin Kirsten Fehrs.
"Verarmung einer Vorstellung von Autonomie"
Im Anschluss an die Andacht diskutieren Bedford-Strohm und Marx in der Katholischen Akademie beim Podiumsgespräch "Sterben in Würde" mit dem Notfallmediziner Michael de Ridder und dem Soziologen Armin Nassehi unter anderem über die Frage, warum Sterben vielfach mit "Autonomieverlust" gleichgesetzt wird. "Wenn man die Selbstbestimmung auf die Frage nach gesetzlichen Rahmenbedingungen reduzieren würde, die eine Selbsttötung möglichst leicht machen, wäre das eine völlige Verarmung einer Vorstellung von Autonomie und Freiheit", sagte der EKD-Ratsvorsitzende.
Marx und Bedford-Strohm forderten ein Verbot von Sterbehilfevereinen und assistiertem Suizid. Der Berliner Hospiz-Geschäftsführer Ridder sprach sich hingegen dafür aus, assistierten Suizid unter die ethische Gewissensentscheidung des Arztes zu stellen.
Heße: Keinen Druck auf Sterbende aufbauen
Erzbischof Heße forderte Respekt vor der existenziellen Gewissensentscheidung eines Menschen, wenn er in die "Dunkelzone" am Lebensende eingetreten sei, in der keinerlei Hilfe mehr möglich sei. Die Gesellschaft dürfe keinen Druck aufbauen, der Sterbende eigentlich nur noch eine Entscheidung vorsehen.
Die Hamburger Bischöfin Fehrs sagte, würdiges Sterben brauche einen Raum der Individualität. Es brauche Zeit, Zuneigung, Gespräch und "dass wir uns aussetzen und nicht fliehen". Die Aufgabe der Kirche könne darin liegen, die Gesellschaft zur Einsicht zu führen, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod nicht erst auf dem Sterbebett beginne.
Die "Woche für das Leben" geht bis zum 25. April. Bundesweit werden Veranstaltungen zum Jahresthema etwa von Gemeinden, Akademien und Kirchen organisiert. Mit der ökumenischen Aktion setzen sich die Kirchen seit mehr als 20 Jahren für Schutz und Würde des Menschen von Lebensanfang bis Lebensende ein. (mt Material von KNA)
Von Agathe Lukassek