Der Klöckner-Debatte liegt ein Missverständnis zugrunde
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Kirchentage wie Katholikentage tun inzwischen gut daran, Zeitfenster zur Diskussion aktueller Debatten vorzusehen, die bei Drucklegung von Programmen noch nicht absehbar sind. Beim Evangelischen Kirchentag in Hannover gab es entsprechend am Samstag einen Talk zur Klöckner-Debatte zur besten Mittagsstunde auf dem zentralen Platz des Messegeländes – nachdem das Thema die Veranstaltung zuvor bereits bestimmt hatte.
Im Gespräch mit Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund, der EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich sowie der neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner gab es erfreuliche Annäherungen und ein Bekenntnis zu gemeinsamen Überzeugungen über die Rolle der Religion für die Politik. Klöckner insistierte allerdings immer wieder auch darauf, dass sie zwar keinerlei Maulkörbe verteilen wolle, gerade angesichts der zurückgehenden Bindung an die beiden Kirchen diese doch intensiver auf ihr Eigenes zu sprechen kommen müssten – um mit ihren politischen Äußerungen nicht nur als NGO wahrgenommen zu werden.
Der Kritik liegt ein Missverständnis zugrunde. Natürlich mag man beklagen, dass die religiöse Praxis rückläufig ist. Es wird aber weiterhin in Deutschland viel gebetet, mit religiöser Inbrunst gesungen und sehr oft Gottesdienst gefeiert. Allein, das hat in der Regel keinerlei Nachrichtenwert und wird deshalb in der breiteren Öffentlichkeit nicht hinreichend wahrgenommen. Das ist an sich kein Problem, weil der Sinn religiöser Rituale ein anderer ist. Es entsteht allerdings eine verzerrte Wahrnehmung.
Zum Missverständnis gehört außerdem die Vorstellung, man müsse nur Zettel mit dem Glaubensbekenntnis oder gleich die ganze Bibel verteilen, Pressemitteilungen mit den Essentials der christlichen Botschaft versenden oder auf Webseiten oder und über Social-Media-Kanälen entsprechende Hinweise auf gute Theologie anbieten, um den spirituellen Aufschwung zu befördern. Das Problem ist jedoch hier wie dort eines der Nachfrage, nicht des weiterhin reichhaltigen Angebots. Das entbindet nicht von der Aufgabe intensiver darüber nachzudenken, wie das zu ändern wäre.
Der Autor
Dr. Stefan Orth ist Chefredakteur der "Herder Korrespondenz".
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Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.