Koblenzer Arbeiterpriester wagt den Spagat zwischen Beruf und Berufung

Heinz-Peter Wilbertz ist der Priester aus der Notaufnahme

Veröffentlicht am 04.07.2025 um 00:01 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 

Koblenz/Bonn ‐ Der Krankenpfleger Heinz-Peter Wilbertz hatte sich schon weit von der Kirche entfernt, als er nach einem Schicksalsschlag seine spirituelle Seite wiederentdeckt. Doch wohin ihn das führt, hätte er noch vor ein paar Jahren niemals für möglich gehalten.

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"Da kommt wieder ein Fall für den Priester", heißt es in der Zentralen Notaufnahme im Evangelischen Stift St. Martin. Gemeint sind Patienten wie Obdachlose, Alkoholisierte, Verwahrloste. Dann kommt ein besonderer Krankenpfleger des Koblenzer Krankenhauses. An seinem blauen Kittel hängt ein kleines silbernes Kreuz, das einen Hinweis auf seinen zweiten Beruf gibt. Heinz-Peter Wilbertz ist nämlich nicht nur Krankenpfleger, sondern seit 2018 Diakon und nun auch Priester. "Dass ich mal Priester werde, hätte ich vor ein paar Jahren niemals gedacht", sagt der 60-Jährige heute.

Wilbertz wächst neben der Kirche im rheinland-pfälzischen Mayen auf. Der Gottesdienst gehört für ihn von klein auf dazu. Auch als seine Freunde sich im Teenageralter von der Kirche distanzieren, bleibt er der Kirche treu. "Die Botschaft der Kirche, Jesus Christus zu verkünden und die Rituale haben mir Orientierung und Halt gegeben", sagt er. Eines bedauert er bis heute: nie Messdiener gewesen zu sein. Nach seiner Wehrdienstzeit im Sanitätsdienst der Bundeswehr entscheidet sich Wilbertz, Krankenpfleger zu werden. Später spezialisiert er sich als Fachkrankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie. Er zieht nach Koblenz und schnell ist sein Alltag geprägt vom Schichtdienst und der anstrengenden Arbeit in einer Notaufnahme. In den Gottesdienst geht er damals nur noch sporadisch. Freunde, Beziehungen und seine Arbeit waren ihm wichtiger. Als dann eine langjährige Beziehung zu Ende geht, kommt es zu einem Einschnitt in seinem Leben. Ein großer Teil seines sozialen Umfeldes bricht durch diese Trennung weg. "Ich war plötzlich mutterseelenallein", schaut er zurück.  

Wilbertz besucht wieder häufiger den Gottesdienst. Auf der Website seiner Pfarrei St. Josef entdeckt er einen Aufruf: "Lektoren und Kommunionhelfer gesucht". Kurz darauf steht er im Pfarrbüro und bietet seine Hilfe an. Mit 41 Jahren startet er neu ins Gemeindeleben: zuerst als Lektor, dann als Kommunionhelfer, später auch im Pfarrgemeinderat und im Kirchenchor. "In mir ist etwas wiedererwacht, was als junger Mensch in mir angelegt wurde", erzählt Wilbertz. Er findet seine spirituelle Seite wieder.

Bild: ©privat/Montage:katholisch.de

Wer genau hinschaut, erkennt das kleine silberne Kreuz, das Heinz-Peter Wilbertz an seiner Krankenhauskleidung trägt.

Neben seinem Vollzeitberuf im Krankenhaus steckt Wilbertz über Jahre hinweg viel Zeit und Herzblut in seine Gemeinde und in eine "lebendige Beziehung zu Christus und Gott". Doch etwas fehlt ihm. "Ich hatte das Gefühl, dass mein geistlicher Weg zu einem Amt führt", so der Koblenzer. Irgendwann ist er sich sicher: Diakon werden ist der nächste Schritt auf seinem Glaubensweg. Auch wenn es ihn Überwindung kostet, spricht er seinen Pfarrer an. Er erzählt ihm von seinem Wunsch, Diakon zu werden. Sein Pfarrer findet: "Das kann ich mir gut vorstellen – als Krankenpfleger leistest du ja bereits Diakonisches."

Dann ging es ziemlich schnell weiter, erinnert sich Wilbertz. Er nimmt Kontakt zum bischöflichen Beauftragten für das Diakonat im Trierer Generalvikariat auf, kommt zum Kontaktgespräch vorbei und wird sich seiner Entscheidung immer sicherer. Bevor die Ausbildung zum Diakon starten kann, muss der damals 48-Jährige noch ein Theologiestudium absolvieren. Ab 2013 studiert er über den Würzburger Fernkurs Theologie  berufsbegleitend und größtenteils von zuhause. "Ich bin von jetzt auf gleich Stubenhocker geworden", erzählt er lachend. Vorher ist er als Ausgleich zum Krankenhausalltag Halbmarathon gelaufen. Jetzt büffelt er Bibelexegese und Kirchengeschichte.

Parallel zu seinem Vollzeitjob in der Notaufnahme durchläuft er die vierjährige Ausbildung zum Diakon. "Das war alles in meiner Freizeit, aber für mich nie eine Last", sagt Wilbertz. All die Stunden in Onlinevorlesungen und am Schreibtisch lohnen sich. Am 23. Juni 2018 wird Wilbertz zum Ständigen Diakon geweiht. Wie alle nicht verheirateten Diakone legt auch er ein Gelübde zum Zölibat ab. Vom Gedanken, Priester zu werden, ist er aber noch weit entfernt.

So arbeitet der Diakon im Krankenhaus

In seiner Doppelfunktion als Diakon und als Krankenpfleger geht Wilbertz auf. Er macht zwar die gleiche Arbeit wie seine Kollegen und Kolleginnen, aber sein Glaube schwinge im Hintergrund immer mit, sagt er. Für ihn ist es wichtig, seinen Patienten stets mit viel Empathie zu begegnen. Aber auch in seinem Kollegenkreis zeigt er sich als Diakon. "Ich provoziere dann gern auch mal", erzählt er schmunzelnd. Etwa am 24. Juni, dem Hochfest Johannes des Täufers, hat er im Kollegenkreis alle darauf hingewiesen, dass in sechs Monaten schon wieder Weihnachten ist. So hat er schnell die Aufmerksamkeit und nutzt den Moment, um allen zu erklären, welche anderen christlichen Hochfeste es außerdem noch gibt. 

Dennoch muss Wilbertz seine zwei Rollen als Diakon und als Krankenpfleger trennen können. In der Notaufnahme hat er zu funktionieren. Die Zeit pro Patient ist begrenzt. Momente für längere Gespräche gibt es so gut wie nicht. "Das finde ich schon schade", erzählt er. In seiner Arbeit als Diakon findet er dagegen Raum für das Seelsorgerische. Für ihn ist das so: "Als Krankenpfleger verdiene ich die Brötchen und am Diakonat hängt mein Herz." Seine Zeit fürs Diakonat hängt immer von seinen Arbeitszeiten ab. Zu seinen Aufgaben gehört die Hauskommunion und die Krankenkommunion im Krankenhaus Kemperhof, in dem er alle vier Wochen einen Gottesdienst hält. Außerdem veranstaltet er noch einen Bibelkreis. Dem Priester in der Messe zu assistieren, das reicht ihm anfangs vollkommen aus. "Selber am Altar der Handelnde zu sein, das war mir eine Nummer zu groß", sagt Wilbertz rückblickend.

Regelmäßig macht der Diakon Exerzitien und immer wieder überrascht ihn ein Gedanke: Will ich vielleicht doch Priester werden? Mehrmals sprechen ihn auch Priester aus seinem Umfeld auf das Thema an. 2023 will Wilbertz sich einmal bewusst Zeit nehmen, um die Frage nach dem Priestertum für sich zu klären. Dafür geht er wieder in die Exerzitien. Dort macht es für den damals 58-Jährigen am Ende einer zweistündigen eucharistischen Anbetung Klick. "Ich habe so eine Nähe zu diesem Sakrament gespürt", erzählt er. Von da an war ihm klar, er will am Altar nicht nur assistieren und endlich selbst die Krankensalbung spenden. Nach der Auszeit ruft er direkt seinen geistigen Begleiter an und sagt: "Wir müssen sprechen." Sein Weg zum Priestertum beginnt.

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Sein geistlicher Begleiter hakt nach, ob eine Weihe für ihn überhaupt möglich ist. Vom Bistum heißt es, Wilbertz solle sein Anliegen schriftlich an den Bischof senden. Also schreibt er einen Brief an Bischof Stephan Ackermann. Bis er eine Antwort bekommt und zu einem persönlichen Treffen eingeladen wird, dauert es Monate. Im April 2024 findet endlich das Zusammentreffen zwischen dem Bischof und Wilbertz statt. Ackermann lässt sich aber wieder Zeit und teil Wilbertz erst im August 2024 mit, dass er ihn zum Priester weihen werde und er seinen Beruf beibehalten kann. Am Pfingstsamstag dieses Jahres ist es dann so weit und Bischof Stephan Ackermann weiht ihn zum Priester. Dabei habe der Bischof selbst Wilbertz‘ Koblenzer Priesterkollegen noch den Hinweis gegeben: "Verheizen Sie den Herrn Wilbertz nicht."

Zwei Tage später steht sein erster Gottesdienst, die Primiz, an. Als Priester am Altar im Mittelpunkt zu stehen, daran muss sich Wilbertz noch gewöhnen. "Doch es ist immer ein besonders ergreifendes Gefühl, die Heilige Messe zu feiern", berichtet er. Sein Alltag hat sich durch die Weihe aber nicht groß verändert. Er arbeitet weiter Vollzeit im Krankenhaus, übernimmt die gleichen Aufgaben, für die er auch als Diakon zu ständig war. Es gibt nur ein paar Änderungen: aus den Wortgottesdiensten werden Messen werden, er darf auch die Krankensalbung spenden und übernimmt die Seniorenseelsorge in einem Seniorenzentrum. Feste Beichttermine wird es beim Priester Wilbertz nicht geben. Aber wenn jemand auf ihn zukommt, kann er auch die Beichte abnehmen.  

Über die Möglichkeit, ein Priester mit Zivilberuf zu sein, ist Wilbertz sehr glücklich. Der Spagat zwischen seinem Beruf und seiner Berufung ist zwar nicht einfach. Er musste schon früh lernen, sich auch Grenzen zu setzen. Doch für Wilbertz spielen Arbeiterpriester eine wichtige Rolle in der Kirche. Er stehe genau wie alle anderen verschlafen morgens auf und geht seinem Beruf nach. So kann die Kirche seiner Ansicht nach nicht klerikal oder abgehoben wirken. Als Priester in der Notaufnahme will er inmitten der Gesellschaft ein positives Gesicht für die Kirche sein. "Wenn ich mich als Arbeiterpriester vorstelle, kann ich sagen: Ich bin einer von euch." 

Von Beate Kampen