Pax-Christi-Präsident im Interview

Bischof Kohlgraf: Keinen moralischen Druck bei Wehrdienst

Veröffentlicht am 21.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Matthias Jöran Berntsen (KNA) – Lesedauer: 

Mainz ‐ "Mit Waffen allein werden wir keinen gerechten Frieden herstellen": Bischof Peter Kohlgraf betont die Notwendigkeit von Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Im Interview kritisiert er zudem die deutsche Wehrdienst-Debatte.

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Donald Trumps bislang erfolgloses Bemühen um einen Frieden in der Ukraine sieht der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf skeptisch. Er befürchtet Eigeninteressen der USA und Verhandlungen über die Köpfe der von Russland angegriffenen Ukraine hinweg. Kohlgraf setzt sich seit Jahren als Präsident der katholischen Friedensorganisation Pax Christi für die Völkerverständigung ein. Im Interview spricht er anlässlich des Internationalen Friedenstags am Sonntag über Krieg und Frieden, einen Militärdienst für junge Menschen in Deutschland und die Rolle von Papst Leo XIV.

Frage: Krieg als Dauerschleife – wie kann ein Frieden in der von Russland überfallenen Ukraine gelingen, Herr Bischof?

Kohlgraf: Es kann wohl nicht funktionieren, wenn die zwei Weltmächte Russland und USA über die Ukraine hinweg verhandeln. Weder eine Kapitulation noch ein bester Deal dürfen das Ergebnis sein. Das wäre weder ein Frieden noch Gerechtigkeit. Dafür müsste Russland seine Schuld anerkennen, das sehe ich leider nicht. Doch wir brauchen wirkliche Verhandlungen, um zu einem Ende des Kriegs zu kommen. Mit Waffen allein werden wir keinen gerechten Frieden herstellen.

Frage: Auch Finnland hat nach Gebietsabtretungen an Moskau seit Jahrzehnten einen Frieden mit dem Nachbarn im Osten.

Kohlgraf: Das ukrainische Volk ist unter Druck und kann in dieser Situation nicht über Gebietsabtretungen entscheiden. Russland hat zudem alle völkerrechtlichen Grundlagen obsolet gemacht. Eine Friedensordnung darf aber nicht nur dem eigenen Land dienen. Wir brauchen wieder eine globale Vision des Miteinanders statt nationaler Interessen. Denn Krieg schadet allen Seiten, auch dem Angreifer. Ich weiß nicht, ob das russische Volk in einer glücklichen Situation ist. Doch Widerspruch wird es wohl nicht geben, vielleicht ist es Fatalismus.

Frage: Viele Hoffnungen liegen auf Papst Leo XIV.

Kohlgraf: Er steht aufseiten des angegriffenen Landes und in Solidarität mit den Opfern. Er verhält sich parteiisch und durchbricht damit die bisherige Logik der Diplomatie des Vatikans. Es ist jedoch wichtig klarzumachen, wer ist der Aggressor und wer ist der Angegriffene – das unterstreichen auch bestimmte Äußerungen des amerikanischen Präsidenten. Die Rolle des Papstes ist es nicht, militärische Lösungen herbeizuführen. Er macht aber weltweit deutlich, es gibt eine Solidarität mit den Opfern eines Krieges. Das ist ein wichtiges Signal – vielleicht auch für politische Verhandlungen.

Soldaten der deutschen Bundeswehr stehen in Aufstellung zum Appell.
Bild: ©Thaut Images/Fotolia.com (Symbolbild)

"Als Pax-Christi-Präsident hinterfrage ich die Werbung für das Soldat-Sein als etwas Normales. Es geht ja nicht einfach um einen spannenden Beruf, sondern im Ernstfall auch um das Töten und Getötetwerde", sagt Bischof Kohlgraf.

Frage: Russlands Krieg soll auch in Deutschland zu einem neuen Wehrdienst führen...

Kohlgraf: Der Wehrdienst ist verfassungskonform. Als Bischof betone ich aber die Gewissensfreiheit. Es muss möglich sein, den Wehrdienst abzulehnen – ohne moralische oder gesellschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Derzeit hat man den Eindruck, dass die jungen Menschen moralisch verpflichtet sind zum Dienst an der Waffe. Denn es geht offenbar darum, die Zahl der Soldaten zu erhöhen. Aber sind diese Menschen nach einem Jahr Grunddienst wirklich eine Fachkraft für Verteidigung?

Frage: Finden denn die jungen Menschen genug Gehör?

Kohlgraf: Im Grunde werden über Köpfe junger Leute hinweg diese Entscheidungen getroffen. Darauf haben auch katholische Jugendverbände hingewiesen. Als Pax-Christi-Präsident hinterfrage ich die Werbung für das Soldat-Sein als etwas Normales. Es geht ja nicht einfach um einen spannenden Beruf, sondern im Ernstfall auch um das Töten und Getötetwerden. Pax Christi hat sich deswegen stets gegen Werbung an Schulen ausgesprochen. Die Menschen müssen unbedrängt eine Gewissensentscheidung treffen können.

Frage: Die Kirche wiederum sucht für manche Beobachter zu viel Aufmerksamkeit. So zog Bundestagspräsidentin Klöckner einen Vergleich zu Nichtregierungsorganisationen – kurz NGO.

Kohlgraf: Damit gehe ich entspannt um. Wenn sich die Kirche zu Fragen des Miteinanders im Land äußert, dann ist das ihre Aufgabe. Ich rede sehr intensiv vom Glauben, denn ich bin nicht der Aufsichtsratsvorsitzende einer NGO. Als Bischof Stellung zu nehmen über die sozialen Konsequenzen ist in der Botschaft Jesu verankert. Und auf der anderen Seite, sollte man sich auch nicht über die NGOs lustig machen. Sie leisten weltweit gute Arbeit und haben unter anderem die Aufgabe, uns die weltweiten Krisenherde in Erinnerung zu rufen.

Frage: Woher bezieht der Karneval in Krisenzeiten seine Berechtigung? Sie sind ein bekennender Fan des Mainzer Fastnacht.

Kohlgraf: Das passt hervorragend. Auch die Anhänger des närrischen Treibens befassen sich mit diesen Krisen und das Leid vieler Menschen kommt dabei vor. Die Fastnachter halten auch den Verantwortlichen den Spiegel vor. Wir werden nie den Himmel auf Erden haben. Und es braucht ein Ventil, um neben dem Leid auch die anderen Dimensionen des Lebens in den Blick zu nehmen.

Von Matthias Jöran Berntsen (KNA)