60 Jahre Gebet für den Frieden
Die unterirdische Basilika St. Pius X. in Lourdes ist zum Bersten gefüllt. Fast 14.000 Soldaten stehen dicht gedrängt nebeneinander. Sie warten auf den Beginn des Eröffnungsgottesdienstes der 60. Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes. Französische Rekruten beten neben deutschen Offizieren, italienische Carabinieri reichen kroatischen Uniformierten die Hand zum Friedensgruß. Unter dem Leitwort "Pacem in terris" sind sie über das Pfingstwochenende in den südfranzösischen Wallfahrtsort gekommen, um miteinander für den Frieden in der Welt zu beten.
Auch Dekan Hans-Joachim Wahl nimmt an der diesjährigen Pilgerfahrt teil. Der Gießener Pfarrer war schon viele Male bei der Soldatenwallfahrt in Lourdes dabei, denn von 1990 bis 2001 war der Mainzer Priester als Militärseelsorger tätig. Jetzt ist er Gast der Katholischen Militärseelsorge. Wenn Wahl von seinen Erfahrungen während der Wallfahrten erzählt, weiten sich seine Augen und er lächelt. Man merkt, der Geistliche steht hinter dem Gedanken der Wallfahrt. "Menschen, die mit einander beten, schießen nicht aufeinander", fasst er die Idee hinter dem internationalen Treffen zusammen.
1944, noch während des Zweiten Weltkriegs, trafen sich erstmals französische Soldaten in Lourdes, um für den Frieden zu beten. Die regionale Wallfahrt dehnte sich auf das ganze Land aus und zog immer mehr Menschen an: Bereits 1953 pilgerten 15.000 ehemalige französische Frontkämpfer in den Süden des Landes. Französische und deutsche Militärpfarrer hatten die Idee, Lourdes zum Ort der Aussöhnung der ehemals verfeindeten Kriegsparteien zu machen. Zum 100-jährigen Jubiläum der Erscheinungen von Lourdes fand 1958 schließlich die erste Internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes statt. Fünf Jahre vor dem Elysee-Vertrag, der auf politischer Ebene die deutsch-französischen Freundschaftsbemühungen umriss, trafen sich Franzosen, Deutsche und Soldaten anderer Nationen um an der Grotte von Lourdes um Frieden zu bitten.
Soldaten aus mehr als 40 Ländern
"Damals trugen die französischen Soldaten das Gepäck der Deutschen ins Zeltlager", erzählt Wahl, der als Kenner der Geschichte der Soldatenwallfahrt gilt. Er ist sich sicher: "Das war ein Zeichen der Verbrüderung unter den Teilnehmern." Inzwischen nehmen Soldaten aus mehr als 40 Ländern an der Lourdes-Wallfahrt teil – die große Mehrheit stammt aus Frankreich, aber viele weitere aus Kroatien, Polen, der Ukraine und anderen Ländern Osteuropas. "Der Falls des Eisernen Vorhangs hat die Soldatenwallfahrt sehr bereichert", weiß Wahl. 1990 nahmen die Polen als erste osteuropäische Nation an der Wallfahrt teil. Der damalige deutsche Militärbischof Johannes Dyba habe deshalb vom "Durchmarsch der Polen bis nach Lourdes" gesprochen, schmunzelt der Dekan. Er selbst hat diese Zeit während seines Dienstes als Militärpfarrer hautnah miterlebt. Einige Jahre später kamen auch die Ukrainer nach Lourdes. "Ihre Instrumente waren verbeult", erinnert er sich an die Ausstattung der Osteuropäer.
Militärische Marschmusik ist während der Soldatenwallfahrt in Lourdes an jeder Straßenecke zu hören. Die Musikkorps oder Spielmannszüge der teilnehmenden Armeen begleiten musikalisch vor allem die Gottesdienste. Doch auch nach Einbruch der Dunkelheit sind Posaunen und Klarinetten vor vielen Bars und Hotels zu hören. Sie untermalen die Gespräche der Soldaten, die sich bei einem Bier gegenseitig kennenlernen. Alle Teilnehmer schätzen den Austausch zwischen den Nationen. Viele nehmen es wörtlich und tauschen untereinander die Abzeichen ihrer Länder und militärischen Verbände.
"Mir gefällt an der Wallfahrt, dass ich Bekannte aus anderen Ländern wiedertreffen kann", sagt ein deutscher Soldat, der seit vielen Jahren nach Lourdes fährt. "Im Laufe der Jahre werden hier viele Freundschaften geschlossen", verrät eine Soldatin aus Deutschland. Für einen polnischen Offizier ist etwas anderes wichtiger: "Mich begeistert, dass ich gemeinsam mit Deutschen Gottesdienst feiern und Bekanntschaften schließen kann. Vor 80 Jahren war das nicht möglich." Eine Soldatin aus der Ukraine ist vor allem nach Lourdes gekommen, um für den Frieden zu bitten: "In Osten meines Landes gibt es einen bewaffneten Konflikt", sagt sie und scheut sich das Wort "Krieg" zu nennen. Sie geht jeden Tag mit ihren Kameraden an die Grotte um für die Gefallenen in ihrem Land zu beten.
Gelebter Frieden vor der Marienstatue
Die Grotte ist auch für Wahl ein besonderer Ort: "Um Mitternacht gibt es dort eine tolle Atmosphäre", schwärmt er. Unter anderem dort spielen sich die kleinen Momente der Wallfahrt ab, die der ehemalige Militärpfarrer für so wichtig hält: "Wenn sich Soldaten verschiedener Länder vor der Marienstatue die Hände zum Gebet reichen, ist das gelebter Frieden". Er betont jedoch, dass es auch kritische Momente in der Historie der Soldatenwallfahrt gab: Etwa während des Jugoslawienkriegs, als kroatische Soldaten nach Lourdes kamen und dort selbstbewusst auftraten. Und das, obwohl sie damals Krieg führten. Auch bei anderen Nationen, wie den USA, die in kriegerische Handlungen verstrickt waren, habe man während der Soldatenwallfahrt "ein Auge zugedrückt".
Aktuell werde die Internationale Soldatenwallfahrt weiblicher und mehr Familienangehörige als zuvor begleiteten die Soldaten nach Lourdes. Auch kranke und verwundete Kameraden würden mitgenommen. "Das ist gerade an einem Wallfahrtsort, der für viele eine Hoffnung auf Heilung ist, sehr wichtig", so Wahl. Insgesamt geht die Teilnehmerzahl jedoch zurück. Nahmen noch 2008 insgesamt 25.000 Soldaten teil, waren es dieses Jahr rund 10.000 weniger. Dafür kämen die Teilnehmer aus mehr Nationen als früher. Doch besonders das sei vielen Soldaten wichtig, um auch in Zukunft zahlreiche Bande der Freundschaft knüpfen zu können. Nur so sei Frieden auf Erden – "Pacem in terris" – möglich.