Am Ende einer Ära
An Schmutzkampagnen und Verleumdungen im US-Wahlkampf hat man sich in Zeiten von SuperPacs (den Lobby-Unterstützergruppen) und kompromisslosem Parteigehorsam in den letzten Jahren schon gewöhnt. Dennoch scheint die US-Gesellschaft in diesem Jahr noch zerrütteter als zuvor, nicht zuletzt auch im Spiegel der derben und rüpelhaften Kampfrhetorik Donald Trumps. Das Trump-Phänomen, so sind sich viele einig, hat etwas Neuartiges. Es hat den Politikbetrieb in seiner Wirkkraft nicht nur überrascht, sondern erscheint diesem gar als eine Gefahr für die Politik.
Anders als in früheren Wahljahren scheint die Religion hingegen kein entscheidender Faktor im Wahlkampf zu sein. Dies hängt zum einen an Barack Obama, der vorlebt, wie sich demokratischer Liberalismus mit authentischer Religiosität nahtlos verbinden lässt. Zum anderen scheint die politische Durchschlagskraft der religiösen Rechten ("Christian Right") verloren gegangen. Vermochte diese doch seit den 1980ern die politische Agenda der republikanischen Konservativen unmittelbar zu beeinflussen. Die Wahl von George W. Bush mit seiner persönlichen Bekehrungsbiografie wird gerne vor diesem Hintergrund gesehen. Episoden, wie seine Offenbarung einer religiösen Motivation zum Irakkrieg – "And then God would tell me 'George, go and end the tyranny in Iraq'" – beförderten die europäische Irritation und Skepsis gegenüber der augenscheinlichen religiösen Durchdringung der Politik in den USA.
2016 allerdings scheinen die Karten bei den Republikanern neu gemischt. Der Ausgang ihrer Primaries mag dies verdeutlichen. Marco Rubio und Ted Cruz, die härtesten Gegner Donald Trumps auf dem Weg zur Nominierung, überboten sich gegenseitig im Versuch, die christliche Wählerschaft für sich zu gewinnen. Ihre Wahlkampfreden hörten sich an wie Predigten, sie malten ihre Biografien und ihren Lebensstil als Glaubenswege und sie überboten sich gegenseitig in der Wertschätzung des wöchentlichen Kirchgangs. Doch war dies nicht genug Appeal, um das Phänomen Trump zu stoppen. Dieser hielt mit Glaubensrhetorik zwar auch nicht zurück, mit seiner Person jedoch lassen sich ein spiritueller und tugendhafter Lebensstil leidlich verbinden.
Nicht zuletzt, weil die beiden Protagonisten Donald Trump und Hillary Clinton mit ihrer persönlichen Religiosität kaum glaubwürdig auf Stimmenfang gehen können, spielt die Religion in diesem Wahlkampf eine anders geartete Rolle. Nicht der religiöse Charakter der Person, oder die "Orthodoxie" seiner Agenda stehen im Fokus, sondern eine gewisse Dynamik in der US-Gesellschaft. Robert P. Jones bringt mit dem Titel seines im Juli erschienenen Buches diese Dynamik auf den Punkt: "The End of White Christian America". Jones' Buch hat seinen Ausgangspunkt in einer Beobachtung über die Zusammensetzung der US-Bevölkerung, und es bietet eine Deutung an, welche auch zum gegenwärtigen Wahlkampf spricht, und gar eine Erklärung für das Phänomen Trump anbietet.
Der Anteil weißer Christinnen und Christen an der Gesamtbevölkerung der USA fiel in diesem Jahrzehnt zum ersten Mal in der Geschichte der Union unter 50%. Während 2008 bei Obamas Wahl noch eine Mehrheit der Amerikaner weiß und christlich waren, waren dies 2014 nur noch 47%. Nun ist dies vordergründig nur eine demografische Zahl, welche nicht direkt auf eine reale homogene Gruppe "weißer christlicher Amerikaner" verweist. Umso mehr als dieses "weiße christliche Amerika" so unterschiedliche Traditionen und Kirchen umfasst wie die klassischen Erben der Pilgerväter – die Kirchen des mainline und evangelikalen Protestantismus –, aber eben auch Katholiken und Orthodoxe, die selbst lange Außenseiter im protestantischen Amerika waren. So haben diese Zahlen für sich genommen bloß symbolischen Charakter, doch vermag Jones aufzuzeigen, wie sie für einen gesellschaftlichen Wandel stehen, der von diesen Amerikanern als eine Verlustgeschichte wahrgenommen wird, nämlich ihren schwindenden Einfluss auf Kultur und Gesellschaft der USA. Diese Dynamik wiederum bringt als Reaktion Mentalitäten hervor, welche es u.a. zu verstehen erlauben, dass ein solch egomanischer Typ wie Trump dennoch zur Projektionsfläche gerade religionsverbundener Wunschvorstellungen werden kann.
USA – one nation under God?!
1998, also gegen Ende der Bill-Clinton-Präsidentschaft, in einer Zeit präzedenzloser politischer Polarisierung inklusive Government Shutdown und Culture-War-Rhetorik, vermochte der Bostoner Soziologe Alan Wolfe paradoxerweise zu behaupten: "One Nation, After All". Durch zweihundert Interviews mit Amerikanern von New England bis Kalifornien konnte er belegen, wie Amerikaner jenseits politscher Brüche mehr verbindet als trennt. Unterm Strich sei die Nation getragen von einem breiten Konsens über Pluralität und geprägt durch durchdringende Toleranz beispielsweise auch gegenüber unterschiedlichen Religionen.
Linktipp: Die schwere Wahl der Katholiken
Ginge es nach aktuellen Wahlumfragen, würden die Katholiken in den USA mehrheitlich für Hillary Clinton als neue Präsidentin stimmen. Dabei gäbe es aus katholischer Sicht gute Gründe, das nicht zu tun.Doch genau dieser breite Konsens scheint heute zu bröckeln, und dies eben unter Amerikanern, die zu diesem "weißen christlichen Amerika" gehörten, für welches es gemäß Jones an der Zeit sei, den Nachruf zu verfassen. Jones weist darauf hin, wie unter ihnen Ansichten Zustimmung gewinnen, die Christentum und Nationalismus in ausgrenzender Art und Weise verbinden. Solche Ansichten gehen dabei weit über die bekannten Verbeugungen vor dem amerikanischen Exzeptionalismus hinaus, welcher sich in Meinungen religiös niederschlage, Amerika würde "einen herausragenden Platz in Gottes Plan einnehmen", oder "es wäre von Gott auserwählt, die Welt zu führen". Äußerungen wie diejenige, "die USA seien als christliche Nation gegründet", und "es sei wichtig, das religiöse Erbe der Nation zu erhalten", unterziehen die Nation ohne Zögern der Taufe. Das Schicksal des eigenen Landes und der Lauf seiner Politik werden im Blick auf die Frage entziffert, wie stark die USA christianisiert seien. Es kann nicht überraschen, dass eine solche Hermeneutik sich mit anti-muslimischen Ressentiments und Feindseligkeit gegenüber Migranten verbindet.
Einstellungen wie diese entspringen aus dem Mix von Frustration und Angst; Frustration über den verlorenen Einfluss der eigenen Kirchen und Angst vor einer ungewissen Zukunft, in welcher man selbst zur ethnischen Minderheit im Land zu gehören droht. Die Wahl und Präsidentschaft Obamas versinnbildlicht für diese Augen die Drohbotschaft des gesellschaftlichen Wandels. Franklin Graham, evangelikaler Pastor und Provokateur, dem die einladende Art seines Vaters, dem großen Reverend Billy Graham, offenbar nicht vererbt wurde, mag beispielhaft für die Untergangsstimmung im "Weißen christlichen Amerika" stehen: Gebetsmühlenartig findet sich seit der Wiederwahl Obamas 2012 bei ihm das Motiv, Amerika gehe dem Ende entgegen. Es sei einmal "one nation under God" gewesen, doch "now we’ve turned our back on God".
'Great again' versus 'Greatest nation on earth'
In größtmöglicher Dichte haben die nationalen Parteitage im Juli gezeigt, wie auch der Wahlkampf von Trump und Clinton vor diesem Hintergrund orchestriert ist. Während die Demokraten vorwärtsgewandt dem Narrativ eines moralischen Fortschritts folgten und die multikulturelle Identität Amerikas gerade nicht als Gefahr, sondern als Chance verstanden wissen wollten, basiert Trumps Slogan "Make America Great Again" auf dem Bild eines düsteren Jetzt. Sein Appell wendet den Blick zurück in eine wohl utopische Vergangenheit der USA, und verbindet sich ohne Umstände mit der nostalgischen Klage über den Verlust eines christlichen Amerikas. Zwar denken insgesamt 53% aller Amerikaner, dass sich Kultur und "way of life" seit den 50er Jahren zum schlechten entwickelt hätten, doch sind diese Zahlen besonders unter weißen Evangelikalen, aber auch bei weißen Protestanten und Katholiken ungleich höher.
Aus politisch-theologischer Sicht ist hier beunruhigend, wie christliche Nostalgie sich mit der Sehnsucht nach einer im Letzten gar apolitischen Figur verbindet, welche das Land regieren soll. Angesichts der liberalen Bedrohung in der Gegenwart begründet der medial und politisch einflussreiche Pastor Robert Jeffres aus Dallas seine Unterstützung für Trump mit folgenden Worten: "I want the meanest, toughest, son-of-a-you-know-what I can find in that role, and I think that’s where many evangelicals are."
Wanted: ein Antichrist
Trump wird hier erst gar nicht zum tugendhaften, moralischen Retter stilisiert, sondern stellt im apokalyptisch eingefärbten Schauspiel der Politik das Mittel zum Zweck dar. Trump wird zur Figur mit absolutistischem Handlungsspielraum, die den Christen die "Fülle an Macht" geben wird, "ihr" Land wieder nach ihrem Wunsch zu gestalten. Er übernimmt eine Rolle ähnlich dem Antichristen, indem er die finale (Wieder-)Aufrichtung des moralischen christlichen Amerikas herbeiführen soll. In diesem sollte das (protestantische) Christentum wieder seinen angestammten Platz im Zentrum besetzen. Und Trump weiß diese Klaviatur zu bespielen. Er präsentiert sich als der Mann "who knows how to fix things". Es scheint für ihn eine Auszeichnung zu sein, dass er dabei vor nichts zurückschrecke. Nichts halte ihn davon ab, sich auch über bestehendes Recht und moralische Regeln hinwegzusetzen. Trump gefällt sich in der Rolle als amoralischer Macher-Typ, der anderen den Weg zurück an die Macht verheißt.
Ob das "Weiße christliche Amerika" allerdings auf diese Position einen berechtigten Anspruch hat, ist angesichts der multikulturellen Zusammensetzung der Gesellschaft höchst zweifelhaft, und ebenso unwahrscheinlich. Seine Inszenierung als Retter des "Weißen christlichen Amerikas" allein wird Trump nicht die nötige Wählerschaft verschaffen können, und das "Weiße christliche Amerika" hat sich schließlich zu fragen, mit welcher politischen wie auch theologischen Strategie man den neuen Tatsachen begegnen will. Die apokalyptische Brille täuscht die eigene Hauptrolle letztlich nur vor und führt zur Verdrängung. Eine neue (und weiterhin bedeutsame) Rolle im Miteinander zu akzeptieren, und das eigene Erbe kreativ zum Wohle aller einzusetzen, scheinen die besseren Alternativen zu sein – nicht nur für andere Religiöse, sondern gerade auch für eine bessere Politik und Demokratie in den USA.