Zu frech, um irgendwann Papst zu werden?
Michael Seewald (29) ist der jüngste Professor für Katholische Theologie in Deutschland. Er ist Lehrstuhlinhaber für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster. Zwei seiner Vorgänger im Amt waren die Theologen Joseph Ratzinger und Karl Rahner. Was ihm wichtig an der Theologie von heute ist, erklärt er im Interview.
Frage: Herr Seewald, herzlichen Glückwunsch zur Professur. Sie sind der jüngste Theologieprofessor Deutschlands!
Michael Seewald: Ich bin mit dem Superlativ vorsichtig, weil man nie weiß, ob irgendwo jemand sitzt, der jünger ist als ich. Außerdem: So wichtig ist mir das gar nicht.
Frage: Warum denn nicht?
Seewald: Auf dem Weg zu einer Professur sind viele Unwägbarkeiten dabei. Da braucht man auch Glück. Wenn man dann Glück hat, ist das noch lange kein Grund auszuflippen. Der Zufall hat immer seine Finger mit im Spiel. Darauf braucht man sich nichts einzubilden.
Frage: Spannend, dass Sie als Theologe an den Zufall glauben und nicht an Gottes Plan…
Seewald: Ich bin vorsichtig mit metaphysisch hochgerüsteten Ideen wie der "Vorsehung" oder dem "göttlichen Plan". Was soll das denn überhaupt heißen? Da bleibe ich lieber beim Zufall.
Frage: Sie hatten berühmte Vorgänger im Amt. Streben Sie auch eine solche Karriere an wie Ratzinger?
Seewald: Wenn Sie damit meinen, ob ich Papst werden will, kann ich Ihnen sagen: Nein. Die Zeit der Professorenbischöfe ist ohnehin vorbei. Papst Franziskus lässt keine Gelegenheit aus, seine Geringschätzung für die akademische Theologie auszudrücken. Außerdem bin ich viel zu frech. Wenn ich loslege, stehen manchem die Haare zu Berge. Die Vorbereitung auf eine kirchliche Karriere sieht anders aus.
Frage: Was ist Ihr Spezialgebiet?
Seewald: Historisch interessiert mich vor allem die Zeit der Aufklärung. Mit Blick auf die Gegenwart versuche ich zu verstehen, wie das Verhältnis zwischen religiösen Identitäten und dogmatischen Bekenntnistraditionen theologisch zu denken ist. Religion ist nämlich nicht gleich religiöse Dogmatik.
Frage: Sie schreiben an einer Stelle: "Wenn der Mensch über Gott spricht, spricht er auch – vielleicht sogar vor allem – über sich selbst." Was meinen Sie damit?
Seewald: Diese Einsicht stammt nicht von mir, sondern von Ludwig Feuerbach. Sie scheint mir aber sehr plausibel. Feuerbach sagt: Wo der Mensch von Gott spricht, spricht er von sich als einem Anderen. Wenn Menschen über Gott reden, sagen sie vielleicht mehr von sich selbst aus als über Gott. Das ist nicht grundsätzlich problematisch, man muss es aber wissen. Von Gott im Krankenhaus wird eben anders gesprochen als von Gott am Schreibtisch.
Frage: Kann Gott damit auch weiblich sein?
Seewald: Ich finde eine solche Vorstellung absurd. Aber die Idee allein zeigt doch, dass Feuerbach recht hat. Menschen tragen ihre eigenen Probleme in ihr Gottesbild hinein, von dem aus sie dann wieder zu uns zurückkommen. Die Rede von einem männlichen oder weiblichen Gott ist das beste Beispiel dafür. Unser Bild von Geschlechterrollen wird quasi ins Göttliche hinein verlängert, um von dort wieder auf das Weltliche zurückzuwirken. Was soll ein männlicher oder ein weiblicher Gott denn bringen? Mit Phrasen, wie man müsse die weibliche Dimension Gottes wiederentdecken, oder man müsse sich Gott vor allem als männlich vorstellen, weil er Vater ist, kann ich nichts anfangen.
Frage: Wie ist Ihre Position zur Zulassung der Frauen zum Priesteramt?
Seewald: Das ist eine andere Frage – da geht es nicht um Gott, sondern um Menschen. Ich habe eine klare Meinung dazu: Ich finde, dass das Weihesakrament für alle Geschlechter offen sein sollte, dass also Frauen auch zum Priesteramt zugelassen werden sollen. Die Argumente gegen die Frauenordination wirken auf mich konstruiert und wenig überzeugend. Mit so schwachen Argumenten kann man keine derart restriktive Praxis rechtfertigen. Ich liege da ein bisschen quer zur aktuellen Diskussion. Diskutiert wird gerade, den Zölibat zu lockern, um verheirateten Männern – und zwar nur Männern – Wege zum Priesteramt zu eröffnen. Warum nicht mal umgekehrt: zölibatäre Frauen statt verheiratete Männer zulassen?
Frage: Am Zölibat rütteln Sie also nicht?
Seewald: Nein. Wer sich für ein Leben in Ehelosigkeit entscheidet, macht das freiwillig. Niemand zwingt einen dazu. Das ist eine Angelegenheit der Freiheit. Das Problem ist, dass Frauen diese Wahl gar nicht haben. Das ist ungerecht.
Frage: Was wäre Ihre Lösung?
Seewald: Warum nicht das Zölibat so belassen wie es ist und das dreistufige Weiheamt für alle Geschlechter öffnen? Damit ließe sich Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche schaffen, die Kirche hätte aber auch gleichzeitig den Mut, im besten Sinne unzeitgemäß zu bleiben.
Frage: Warum haben Sie sich entschieden, Priester zu werden?
Seewald: Weil ich es gerne wollte und die Kirche nichts dagegen hatte. Da sind wir wieder bei Ihrer Frage nach dem Zufall. Die Vorstellung, dass Gott irgendwelche Menschen oder gar mich beruft, ist mir fremd. Ich bin mir nie als ein Berufener vorgekommen, sondern als jemand, der gerne tut, was er eben gerne tut. Wer das schon als Berufung bezeichnet, kann das machen. Mir sagt diese Sprache nichts. Und ich bin trotzdem gerne und aus ganzem Herzen Priester.
Linktipp: Theologe will Weihe für Frauen mit Zölibatspflicht
Die Frage nach der Weihe von Frauen muss erlaubt sein, sagt der Dogmatiker Michael Seewald. Schließlich sei das geltende Verbot kein Dogma. Die Argumente dagegen seien zudem nicht stichhaltig.Frage: Was bereitet Ihnen Sorgen in der Kirche von heute?
Seewald: Wahrscheinlich erwarten Sie jetzt die Klassiker – Kirchenaustritte, Priestermangel, Glaubenskrise. Das ist zwar alles kein Grund zum Jubeln, aber ehrlich gesagt bin ich nicht sonderlich besorgt. Was mich stört ist, dass in der Kirche viel zu viel hysterisch rumgewerkelt und kommuniziert wird – und zwar auf allen Seiten.
Frage: Was möchten Sie Ihren Studierenden mitgeben?
Seewald: Für mich ist es wichtig, dass sie sich einen gewissen Habitus des Denkens angewöhnen. Religion – und vor allem der Katholizismus – sind eine intellektuell komplexe und hoch spannende Angelegenheit.
Frage: Möchten Sie Studierenden vermitteln, dass alles gut wird und Gott die Welt trägt?
Seewald: Nein. Erstens bin ich mir nicht sicher, ob das überhaupt stimmt. Und zweitens ist es nicht die Aufgabe einer Universität, so einfache Wahrheiten zu vermitteln. Allzu leicht sollten wir es uns doch nicht machen.
Frage: Welches Dogma würden Sie heute neu schreiben?
Seewald: Gar keins. Das käme mir überhaupt nicht in den Sinn. Ich bin kein Rebell, weil ich dafür den Dingen zu distanziert gegenüberstehe. Ich erkläre allenfalls religiöse Dogmen, verkünde sie aber nicht. Deswegen brauche ich auch keine Dogmen umzuschreiben. Ich habe nicht den Ehrgeiz, den Studenten zu sagen, was sie glauben sollen oder was nicht.
Frage: Es gibt Professoren, die es Studierenden nahelegen, das Studium zu beenden, wenn sie nicht an bestimmte Dogmen glauben…
Seewald: Ich lege niemandem nahe, sein Studium zu beenden. Wenn jemand objektiv an den Anforderungen scheitert, die das Studium stellt, könnte man über einen solchen Rat nachdenken. Das ist aber eine Frage von Fleiß und Begabung – und nicht davon, ob ein Student sich den Glaubensvorstellungen seines Professors anschließt.
Frage: Eine Anekdote an der Universität am Schluss?
Seewald: Da fällt mir spontan wenig ein. Manche, die so etwas fragen, erhoffen sich eine lustige Geschichte über mein Alter, das immer noch nah an dem der Studenten dran ist. Damit kann ich aber nicht so richtig dienen. Studenten sind schlauer als manche denken. Die wissen schon, wem sie da im Flur begegnen. Aber als ich mir vor kurzem einen Bibliotheksausweis besorgt und meinen Lehrstuhl angegeben habe, wurde ich gefragt, ob ich dort als Hilfskraft oder als Assistent arbeite. Das hat mich dann doch amüsiert, aber auch nachdenklich gemacht. Das Psalmenwort "Unsere Tage zu zählen lehre uns, dann gewinnen wir ein weises Herz" ist mir eingefallen. Jugend vergeht. In ein paar Jahren kräht kein Hahn mehr danach – jüngster Professor hin oder her.