"Auf den Schultern der Pfarrer lastet zu viel"
Frage: Herr Glettler, Sie werden in einem Monat zum Bischof geweiht – nicht im Dom, sondern in der Innsbrucker Olympia-Eishalle. Warum haben Sie diesen ungewöhnlichen Ort gewählt?
Hermann Glettler: Die Bischofsweihe nicht im Dom zu machen, ist keine willkürliche Entscheidung, sondern der Kapazität geschuldet. Der Innsbrucker Dom war bis 1964 eine Pfarrkirche und fasst nur bis zu 750 Gläubige. In der Entscheidungsfindung war mir wichtig, dass die Feier auch für möglichst viele einfache Leute zugänglich wird. In der Eishalle können nun bis zu 4.000 Menschen aktiv mitfeiern. Einen Schwerpunkt an diesem Tag möchte ich der Jugend einräumen.
Frage: Auch ungewöhnlich für einen Geistlichen ist, dass Sie als Künstler tätig sind. Werden Sie das auch als Bischof fortführen können?
Glettler: Schon vor vielen Jahren habe ich für mich persönlich geklärt, dass es meine erste Berufung ist, mit ganzer Energie Priester zu sein. Die Kirche für zeitgenössische Kunst zu öffnen, Aufträge zu vermitteln und in dem weiten Feld zeitgenössischer Kultur präsent zu sein, ist etwas anderes. So gesehen ist die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst für mich weit mehr als ein Hobby. Aber meine eigene Kunstproduktion habe ich eindeutig an die zweite Stelle gesetzt. Ich habe also nicht den Ehrgeiz, neben der Bischofstätigkeit regelmäßig Kunst zu produzieren. Jetzt muss ich überhaupt erst einmal ganz in Tirol ankommen.
Frage: Als Pfarrer im multikulturellen Grazer Stadtteil Gries haben Sie auch die zahlreichen Migranten in den Blick genommen. Wie wichtig ist Ihnen das Thema – auch mit Blick auf die aktuelle Situation in Österreich?
Glettler: Als ich 1999 als Pfarrer von St. Andrä in Graz begonnen habe, wurde Migration ein immer stärkeres Thema. Wir haben uns als katholische Gemeinde entschieden, möglichst kommunikativ und engagiert in das Thema reinzugehen. Wir sind mit vielen in Kontakt getreten, um im Sozial- und Migrationsbereich zusammen zu arbeiten. Eine eigene afrikanische Community ist entstanden und später auch eine spanisch sprachige für Leute aus der Dominikanischen Republik. Ein internationaler Frauentreff wurde gegründet, wo sich muslimische und christliche Frauen über alle möglichen Alltagsfragen ausgetauscht haben.
Wir haben langsam gelernt, dass wir unsere Feste anders feiern müssen, damit sich die neuen Pfarrmitglieder genauso wohlfühlen. Das war nicht einfach – Musik, Kulinarik, Kinderprogramm und vieles mehr auf multikulturell umzustellen. Neben dem gemeinsamen Feiern haben wir auch die Arbeit der Pfarrcaritas intensiviert und nicht wenige Asylsuchende bei ihren alltäglichen Problemen unterstützt. Modellhaft ist damit in der Pfarrei etwas gelungen, was in die säkulare Gesellschaft hineingewirkt hat.
Frage: Sollte sich Ihrer Meinung nach jede Pfarrei im Asylbereich engagieren?
Glettler: Nicht automatisch, aber wenn es vor Ort notwendig ist, ja. Es gibt ganz unterschiedliche Erfordernisse und gesellschaftliche Situationen. Jede Kirchengemeinde sollte sich die Frage stellen: "Was ist der Anruf Gottes jetzt und hier für uns?" Im multikulturellen Stadtteil St. Andrä wäre es eine glatte Realitätsverweigerung gewesen, so zu tun, als ob die Pfarrei eine traditionelle steirische Gemeinde wäre. In einer Vorstadtgemeinde von Innsbruck oder in einem Bergdorf in Tirol kann das vollkommen anders sein. Möglicherweise ist der Ort stark vom Tourismus geprägt und die meisten Leute sind am Sonntag in der Gastronomie beschäftigt. Was ist in dieser spezifischen Situation der Auftrag einer christlichen Gemeinde? Die Antwort kann eine Entlastung sein, weil man nicht alles machen muss, was bisher getan wurde. Die erste Devise lautet: Loslassen, einen Schwerpunkt setzen und die Freude wiedergewinnen. Die Freude kehrt wieder, wenn wir versuchen, auf Gottes Anruf im Hier und Jetzt zu reagieren.
Frage: In Ihrem Wahlspruch "Geht, heilt und verkündet" klingt an, dass Caritas und Mission Ihnen wichtige Anliegen sind. Wie möchten Sie das als Bischof in Tirol umsetzen?
Glettler: Ich habe vor meiner Ernennung ein Jahr lang in der Steiermark als Bischofsvikar für Caritas und Evangelisation gearbeitet. Ich bin überzeugt, dass beide Bereiche untrennbar zusammen gehören und sich gegenseitig bedingen. So ist auch Jesus den Menschen begegnet. Er hat das Reich Gottes verkündet, aber eben nicht nur gepredigt. Seine Taten haben die Leute fasziniert. Er hat sich in nahezu alle menschlichen Situation hineinbegeben, er ließ sich von Aussätzigen und Sündern berühren und einladen. Er hat Wohlhabende und Arme getroffen. Er hat zuerst eine Verbindung des Herzens aufgebaut. Das "und" also ist wichtig! Die Verkündigung des Evangeliums beginnt mit einer leidenschaftlichen Sorge für den Nächsten. Das ist mein Programm.
„Aber das heißt nicht, dass dem Priester ein Monopol auf Leitung zukommt. Auch Laien können Gemeinden leiten.“
Frage: Aber mit der Verkündigung tut sich die Kirche heute ja nicht wirklich leicht. Was verstehen Sie unter Evangelisation?
Glettler: Zuerst braucht es die Sehnsucht, mit den Nachbarn, Arbeitskollegen und vielen anderen – mit den Sympathischen und Lästigen "Freude und Hoffnung, aber auch Trauer und Leid" teilen zu wollen. Das erste Zeugnis eines Christen ist seine Lebenspraxis. Aber manchmal sind auch persönliche und klare Worte wichtig. Es gilt darauf zu achten, ob die Ampel beim Gegenüber auf Grün oder auf Rot steht: Bei Rot, also bei explizitem Desinteresse oder aggressiven Gesten kann jedes Wort sinnlos oder auch verletzend sein. Aber wenn sie auf Grün steht und existentielle Fragen auftauchen, dann sollten wir in einer Normalsprache vom Grund unserer Hoffnung sprechen können. Zielführend ist es, von dem zu reden, was einen persönlich trägt und Freude gibt. Das wichtigste sind gute menschliche Begegnungen. Evangelisation ist eben nicht Propaganda, sondern die Ermöglichung einer persönlichen Begegnung mit Jesus.
Frage: Auch in Österreich sinkt die Zahl der Priester. Was denken Sie über neuere Lösungsansätze, wie etwa die Geistlichen zu entlasten?
Glettler: Ja, Entlastung ist notwendig. Auf den Schultern der Pfarrer lastet seit Jahren schon zu viel – und nicht wenige können auch selbst nicht loslassen. Alternative Formen gut delegierter Leitung in den Gemeinden und Seelsorgeräumen werden ja schon längst angedacht. Dieses Thema muss vielleicht noch entschiedener verhandelt werden. Das macht die Priester nicht überflüssig! Sie stellen den lebendigen Christus im Gegenüber zur Gemeinde dar – in dem sie das Wort Gottes verkünden, Eucharistie feiern und mit dem Leib Christi die Menschen stärken. Aber das heißt nicht, dass dem Priester ein Monopol auf Leitung zukommt. Auch Laien können Gemeinden leiten. Papst Franziskus macht uns Mut, Neues auszuprobieren. In der Diözese Innsbruck gibt es da schon einiges, was ich wohlwollend wahrnehme und auch mitgestalten werde.
Und betreffend der Zahl der Priester habe ich einen Trotzdem-Glauben. Ich bin überzeugt, dass es weit mehr Berufungen gibt, als jene, die jetzt in den Ausbildungshäusern sind. Die zölibatäre Lebensform ist eine Herausforderung, zu der ich trotz der vielen Einwände stehe und die ich jungen Menschen gerne zumuten möchte. Der zölibatär Lebende hält einen Freiraum offen – zölibatär heißt aber nicht, allein oder einsam zu leben. Wir brauchen verschiedene Formen gemeinschaftlichen Lebens.
Frage: Sollten die Voraussetzungen überdacht werden, nach denen Menschen zum Priestertum oder zum Diakonat zugelassen werden – Stichwort "viri probati" und Diakoninnen?
Glettler: Wenn die gesamtkirchliche Entwicklung in Richtung Frauendiakonat weitergeht, würde ich mich freuen. Unser Papst hat mit der Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die die historischen Fakten klären soll, diese Spur angezeigt. Darüber hinaus sollte intensiver nachgedacht werden, was in der heutigen Gesellschaft die Bereiche sind, wo es den Dienst eines Diakons braucht. Auch "viri probati" kann ich mir grundsätzlich vorstellen. Insgesamt sind diese Themen aber nicht meine ersten Anliegen. Ich möchte das ganze Volk Gottes meiner Diözese "aufwecken", also Gemeinden noch selbständiger sehen und viele kleine Frischzellen initiieren, wo Kirche in der Nachbarschaft erlebbar wird. Ich greife bei dieser Andeutung auf Erfahrungen der Pfarrzell-Evangelisation in Mailand zurück, auf eine nachhaltige Durchführung von Alpha-Kursen und auch auf die Erfahrung, die ich mit dem "Rebuilt"-Programm der Pfarre St. Nativity in Baltimore in den USA machen durfte.
Frage: Mit der Weihe in der Eishalle öffnet sich die Kirche in Innsbruck ein Stück weit. In welchen anderen Punkten halten Sie eine Öffnung der Kirche für wichtig?
Glettler: Ich möchte jene erreichen, die von der Kirche enttäuscht wurden und sich zurückgezogen haben. Den ersten Schritt müssen wir selbst tun – unsere Pfarrgemeinden konsequent und gastfreundlich für alle Gelegenheits-Kirchgeher öffnen und uns für die Fragen der Menschen interessieren. Ganz besonders am Herzen liegen mir die jungen Leute. Sie sollten mit ihrer Lebensweise bei uns ankommen dürfen – auch wenn das mehr Lärm und Störung bedeutet. Ich hoffe, dass wir ihnen dann auch glaubwürdig Jesus zeigen können. Nur bei ihm gibt es Antworten auf die vielen Fragen, die unsere Herzen umtreiben. Ich wünsche mir eine jugendliche "Jesus-Offensive" – sie verstärkt einen Glauben, der auf die Sehnsucht des Herzens antwortet, und die Bereitschaft für ein konkretes soziales Engagement. Die Diözese Innsbruck hat anlässlich ihres 50. Geburtstages im Jahr 2014 das Motto "aufbrechen" gewählt. Mit meinem Wahlspruch "Geht, heilt und verkündet!" möchte ich daran anknüpfen. Ich will selbst Neues wagen und die mir anvertrauten Gläubigen zu vielen Gehversuchen ermutigen.