Augsburger Ängste
Die Augsburger Caritas will in Göggingen ein Flüchtlingsheim errichten. Die Pfarrgemeinde soll dafür ein Grundstück in Erbpacht zur Verfügung stellen. Caritas-Geschäftsführer Walter Semsch hat einen Grundriss des geplanten Hauses mitgebracht, über dem etwas ungeschickt "Flüchtlingslager" steht. Zehn Jahre lang sollen hier 60 bis 65 Asylbewerber untergebracht werden, danach ist eine Umwidmung in Sozialwohnungen vorgesehen. Semsch spricht von einer Fertigstellung bis Sommer 2016.
Caritas-Geschäftsführer bekommt verkappte Morddrohungen
Die Baukosten sollen durch Spenden getragen werden. Die Diözese will sich beteiligen, Bischof Konrad Zdarsa befürwortet die Pläne. Der Caritas-Geschäftsführer weiß aber auch: "Wenn keine Willkommenskultur da ist, wenn man die Ängste nicht abbaut, funktioniert das nicht." Semsch hat davon einen Vorgeschmack erhalten - seit Tagen steht sein Telefon nicht mehr still, dabei auch verkappte Morddrohungen.
Zu Beginn des Abends stellt Augsburgs Sozialreferent Stefan Kiefer (SPD) die Lage der Flüchtlinge in der Stadt dar. Knapp 1.600 sind es zurzeit, Tendenz steigend. Die Flüchtlinge sind nach seinen Worten in der Stadt ungleich verteilt - auffallend wenige im Süden. Göggingen liegt im Süden. Kiefer wirbt für "mehr Klarheit, weniger Ängste". Auch Bedenken dürften geäußert werden: "Es ist alles erlaubt." Das lässt sich das Publikum nicht zweimal sagen. Ein Mann, der nicht gleich zu Wort kommt, fühlt sich prompt "mundtot" gemacht. Ein anderer hält Kiefer "Propagandamache" vor. "Welche Leute kommen da?" wird gefragt - Familien oder alleinreisende Männer? "Haben Sie sich Gedanken gemacht", so eine junge Frau, "was das für Folgen für Familien und Kinder vor Ort hat?" Andere wittern Geschäftemacherei, beklagen mangelnde Bürgerbeteiligung.
Es gibt laute oder halblaute Bekundungen, die auf tiefsitzende Vorbehalte gegen Fremde deuten. Nach zehn Jahren könne man das Haus ohnehin abreißen, heißt es. Oder: Den Leuten müsse erst einmal beigebracht werden, welche Bedeutung eine Toilette habe. Es gibt aber auch Sachargumente: Unmittelbar neben dem Grundstück sind eine Schule, ein Kindergarten sowie ein Zentrum für Mütter und Kinder. Wurden auch andere Standorte in Göggingen geprüft? Ließe sich der Baugrund nicht für andere Dinge verwenden?
Eine ganze Reihe von Rednern äußert sich hingegen freundlicher über die Caritas-Pläne, etwa der Leiter der Schule. Ein Mann sagt: "Die Menschen kommen nicht zu uns, weil ihnen daheim langweilig ist, sondern weil ihnen die Granaten um die Ohren geflogen sind." Ein anderer hält den Kritikern vor: "Die Menschen sind genau die, die vor dem Terror flüchten, vor dem Sie Angst haben."
„Dass wir ihnen als Christen nicht die Tür öffnen, halte ich für eine ganz große Sünde.“
Eine Caritas-Asylsozialberaterin berichtet von ihren Erfahrungen in einer anderen Augsburger Unterkunft. Auch dort habe es anfangs viele Ängste gegeben, die aber inzwischen abgebaut seien. Ein Geistlicher aus einem anderen Augsburger Stadtteil nennt es eine "ganz wichtige Aufgabe der Kirche", sich Menschen in Bedrängnis anzunehmen. "Dass wir ihnen als Christen nicht die Tür öffnen, halte ich für eine ganz große Sünde." Ein Mann erinnert daran, dass die Gögginger Gemeinde vor einem Viertelhundert das allererste Kirchenasyl in Bayern bot.
Was von diesem Abend bleibt: Augsburg ist nicht Freital - in dem Ort bei Dresden tobt sich seit Wochen der Volkszorn gegen Flüchtlinge aus. Aber Ängste sind auch im wohlhabenden Schwaben da, und ob sie an diesem Mittwoch kleiner geworden sind, wird sich zeigen. "Es ist nichts beschlossen", sagt Pfarrer Wurzer.