Katar steht wegen Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter in der Kritik

"Ausbeutung und Zwangsarbeit"

Veröffentlicht am 02.12.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Soziales

Bonn ‐ Noch neun Jahre sind es bis zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Doch schon heute wird fleißig gebaut, um die Voraussetzungen für die WM 2022 zu schaffen. Neue Stadien, Hotels und mit Lusail sogar eine neue Stadt werden im Golfstaat errichtet. Doch der Preis für das Turnier ist hoch: Die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter sind menschenunwürdig, mehrere hundert von ihnen sind bereits umgekommen. Trotzdem lenkt das Emirat in Sachen Arbeitsbedingungen nur langsam ein.

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Es sind Aussagen wie jene von Franz Beckenbauer, die verdeutlichen, wie wenig die Situation in Katar ernst genommen wird: "Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum. Ich bin oft in Katar und habe deshalb ein anderes Bild, das, glaube ich, realistischer ist." Der Ehrenpräsident des FC Bayern München weilte vor Kurzem im Wüstenstaat, um sich selbst ein Bild zu machen von den Arbeitsbedingungen im Gastgeberland der Fußball-WM 2022, die seit Wochen die Schlagzeilen beherrschen.

Nun ist es nicht die erste Aussage Beckenbauers, die für allgemeines Kopfschütteln sorgt. In diesem Fall jedoch, das macht eine aktuelle Studie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International deutlich, ist sie jedoch besonders zynisch. 153 Seiten stark ist der Bericht der Organisation, der Mitte November veröffentlicht wurde. Das Fazit: In Katar herrscht "ein alarmierendes Ausmaß an Ausbeutung bis hin zur Zwangsarbeit".

Vielen Arbeitern wird schon zu Beginn der Pass abgenommen, Löhne werden spät oder gar nicht gezahlt, Ausreisen ins Heimatland verweigert. Die Angestellten berichten von Zwölf-Stunden-Schichten ohne Essen, von Beschimpfungen und gewalttätigen Übergriffen seitens der Bauherren, mangelnden Gesundheitsvorschriften sowie fehlenden Sicherheitsvorkehrungen auf den Baustellen.

Parallelen zur Situation in Sotschi

Die Parallelen zur Situation der Gastarbeiter in der russischen Olympiastadt Sotschi sind frappierend. Mit einem entscheidenden Unterschied: In Katar sind bereits hunderte Menschen umgekommen. Meist sterben sie während der Arbeit auf den Baustellen, bei Temperaturen um die 50 Grad. Entkräftet und dehydriert, weil ihnen Trinkwasser verweigert wird. Auch die unhygienischen Bedingungen in den überfüllten Unterkünften fordern regelmäßig Menschenleben. Der Internationale Gewerkschaftsbund IGB rechnet damit, dass bis zum Anpfiff des ersten WM-Spiels 4.000 Gastarbeiter ihr Leben gelassen haben werden.

Das Problem besteht freilich nicht erst seit dem Zeitpunkt, an dem Katar von der FIFA den Zuschlag für die Weltmeisterschaft erhielt. Vor allem Nepalesen finden seit langem den Weg in den reichen Wüstenstaat, um Geld für ihre Familien zu verdienen. Für die Arbeiter ist das Engagement in Katar und anderen Golfstaaten potenziell lebensgefährlich - die nepalesische Regierung schätzt, dass in den vergangenen zehn Jahren 7.200 Nepalesen im Ausland umgekommen sind. Nepal ist von dem Auslands-Engagement seiner Staatsangehörigen jedoch abhängig: 28 Prozent der nepalesischen Wirtschaft speisen sich aus Überweisungen aus dem Ausland, Tendenz steigend.

Trotzdem möchte der Himalaya-Staat diesen Zustand nicht mehr hinnehmen. Die nepalesische Regierung forderte die Verantwortlichen in Katar kürzlich auf, die Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeiter genau zu untersuchen. Unterstützung erhält sie dabei aus allen Teilen der Welt. Auch in Deutschland verfolgt man den Umgang mit Gastarbeitern im WM-Austragungsland 2022 skeptisch. Beim Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Nürnberg Ende Oktober machte Wolfgang Niersbach deutlich, was er von einer Weltmeisterschaft im Wüstenstaat hält: Das Turnier in Katar sei "eine Belastung für den ganzen Fußball", so der DFB-Präsident.

Dass die Vergabe der Weltmeisterschaft an das Emirat nicht nur aufgrund der sengenden Hitze in den Sommermonaten eine mehr als fragwürdige Entscheidung ist, hat mittlerweile sogar die FIFA in Person ihres Präsidenten Sepp Blatter zugegeben. Blatter, der bereits durchblicken ließ, dass der Weltfußballverband über eine Verlegung des Turniers in die Wintermonate nachdenkt, sagte in einem Interview mit dem Internetmagazin "Inside World Football": "Es kann gut sein, dass wir einen Fehler gemacht haben."

Sportpfarrer wünscht sich mehr öffentlichen Druck

Nicht nur beim DFB stellt man sich die Frage, warum die FIFA nicht früher zu diesem Schluss gekommen ist – eine im Vorfeld der WM-Vergabe eingeschaltete Kommission hatte von Katar als Ausrichter abgeraten. So machen Vermutungen über Korruption die Runde, Vorwürfe, denen sich der FIFA-Präsident schon häufiger gegenüber sah. Immerhin hat der Weltfußballverband nun angekündigt, mehr Druck auf Katar auszuüben. Für den deutschen Sportpfarrer Thomas Nonte ist das nur eine schwache und berechnende Reaktion. Dennoch hofft er: "Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, die sich schon jetzt auf Katar gerichtet hat, kann vielleicht helfen, der Gerechtigkeit in diesem so reichen Land mehr Raum zu geben."

Der Golfstaat lenkte nach der Ankündigung des Weltfußballverbandes übrigens prompt ein und gelobte in Sachen Personalführung Besserung. Hassan Al-Thawadi, Generalsekretär des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2022, betonte in einem Interview, es sei "jeder einzelne Tote jenseits der Zahl Null inakzeptabel". Zudem kündigte er eine Änderung des umstrittenen Kafala-Systems an, bei der der Staat die Verantwortung für ausländische Arbeitnehmer auf Bürgen überträgt, welche über Ein- und Ausreise des Arbeitnehmers bestimmen dürfen. Für die mehreren hundert Menschen, die im Gastgeberland bereits ihr Leben gelassen haben, kommt diese Einsicht zu spät.

Mittlerweile hat sich sogar das EU-Parlament eingeschaltet und eine Resolution zu den Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter in Katar erlassen. In die Diskussion um das WM-Austragungsland kehrt also keine Ruhe ein. Momentan stirbt nach Angaben des Internationalen Gewerkschaftsbundes mindestens ein Gastarbeiter pro Tag. Es spricht leider Vieles dafür, dass sich daran bis zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 nichts ändern wird.

Von Martin Henning