Frauen und Männer sollen künftig gemeinsam an der Klagemauer beten dürfen

"Bahnbrechender Entscheid"

Veröffentlicht am 01.02.2016 um 09:40 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN
Israel

Bonn ‐ Das israelische Kabinett hat eine gemeinsame Gebetszone für Männer und Frauen an der Klagemauer beschlossen. Dafür hatten sich nicht-orthodoxe Juden schon seit fast 30 Jahren eingesetzt. Gegner kommen aus dem strengreligiösen Lager.

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Israels Regierung stimmte der Einrichtung eines egalitären Gebetsbereichs mit 15 Ja- und fünf Nein-Stimmen zu. Konservativen und reformjüdischen Bewegungen soll es in dem einzurichtenden Abschnitt gestattet werden, gemeinsame Gebete für Männer und Frauen abzuhalten. Gegenstimmen kamen den Berichten zufolge von Ministern aus dem strengreligiösen Lager.

900 Quadratmeter große Fläche

Der 900 Quadratmeter große Bereich soll südlich an die bereits existierenden geschlechtergetrennten Gebetsbereiche anschließen. Eine bereits vor zwei Jahren zu diesem Zweck vorübergehend errichtete Plattform soll entfernt und durch eine dauerhafte, mehretagige Konstruktion ersetzt werden. Alle Gebetsbereiche sollen durch einen neuen, gemeinsamen Eingang zugänglich sein.

Bild: ©picture alliance/AA/Kobi Gideon-Israeli GPO / Pool

Ferner sieht das Abkommen laut Berichten vor, dass die bestehenden geschlechtergetrennten Gebetsabschnitte weiterhin unter orthodox-jüdischer Aufsicht bleiben. Für den neuen Gebetsbereich werden Tora-Lesungen durch Frauen nicht explizit verboten, ebenso das Tragen von Gebetsschals oder -riemen nicht, wie es unter anderem die Aktivistinnen der Frauenbewegung "Women of the Wall" (WOW; dt. Frauen der Klagemauer) tun. Das für die Klagemauer zuständige Rabbinat sieht darin jedoch eine Verletzung des jüdischen Religionsrechts.

Reformjüdische und konservative Gruppen begrüßten den Entscheid als bahnbrechend. WOW erklärte sich laut der Tageszeitung "Haaretz" bereit, seine Gebetsfeiern nach dessen Fertigstellung in den egalitären Bereich zu verlegen. Nicht-orthodoxe Juden hatten sich seit fast 30 Jahren dafür eingesetzt, neben den getrennten Männer- und Frauenbereichen an der heiligen Stätte auch einen Ort für gemeinsame Gebete und Feiern einzurichten.

Reste der ehemaligen westlichen Stützmauer

Die Kosten für die Einrichtung des neuen Gebetsbereichs, dessen Fertigstellung voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen wird, betragen laut dem Sender "Arutz Scheva" umgerechnet mehr als 10 Millionen Euro. Sie sollen aus Regierungsgeldern sowie von der "Jewish Agency" finanziert werden.

Die Klagemauer gehört zum Komplex des Tempelbergs in der Altstadt von Jerusalem - einer der umstrittensten Orte der Welt, weil er Juden und Muslimen heilig ist. Auf dem Plateau stehen heute der Felsendom mit seiner weithin sichtbaren goldenen Kuppel sowie die Al-Aksa-Moschee.

Juden haben dort lediglich ein Besuchsrecht und beten stattdessen an der Klagemauer, die zu den Resten der ehemaligen westlichen Stützmauer gehört. (gho/dpa/KNA)

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