Der IS-Terror ist für die religiösen Minderheiten im Irak ein Alptraum

Bedroht, verschleppt, getötet

Veröffentlicht am 09.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Irak

Erbil ‐ Es sind grausame Bilder, die in diesen Tagen aus dem Irak kommen. Auf einem Berg im Norden des Landes harren Zehntausende Menschen bei über 40 Grad Celsius tagelang aus. Sie warten auf Hilfe. Es mangelt an allem: Dutzende Menschen sollen bereits verdurstet sein, insbesondere Kinder und Ältere.

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Die Flüchtlinge gehören einer religiösen Minderheit an, den kurdischen Jesiden. Und damit sind sie nach Ansicht der islamischen Extremisten - die das Gebirge eingekesselt haben - "Teufelsanbeter", die sterben müssen.

Die jüngste irakische Tragödie begann vor einer Woche, am Sonntag, als die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) große Gebiete nördlich und westlich der Stadt Mossul einnahm. Sie eroberte die Stadt Sindschar (kurdisch: Schingal) und damit jenes Gebiet, in dem die meisten der weltweit etwa 800.000 Jesiden leben - schätzungsweise mehr als 500.000.

Bis dahin war die Region noch im Vergleich zum Rest des Landes relativ sicher gewesen. Denn nach der Eroberung Mossuls durch die Dschihadisten am 10. Juni und dem anschließenden Rückzug der irakischen Armee waren kurdische Peschmerga-Soldaten in diese Landstriche vorgerückt, die zwar offiziell Bagdad zugeordnet sind, wo aber viele Kurden leben.

Kinder hinter einem ausgebrannten Auto
Bild: ©KNA

Die islamistische Extremistengruppe Isis hat Anfang Juni 2014 die irakische Stadt Mossul erobert. Kinder stehen am 10. Juni 2014 bei einem ausgebrannte Auto in der irakischen Stadt Mossul. Im Hintergrund steigt Rauch auf.

Brutale Jagd auf Jesiden

Die Dschihadisten gehen besonders brutal gegen Jesiden vor, sie jagen sie regelrecht. "Männer werden geköpft, Frauen vergewaltigt, zwangsverheiratet, als Sexsklavinnen verkauft und gnadenlos getötet", sagt Telim Tolan vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland, der im ständigen Kontakt zu seinen Glaubensgenossen vor Ort steht. Dies passiere derzeit andauernd.

"IS hat das Ziel, alle religiösen Minderheiten in dieser Region auszulöschen", so Tolan weiter. Der "Massenmord" an den Jesiden, sei erst der Anfang. "Wir sind auf deren Skala ganz unten." Während die Extremisten Christen immerhin noch die Möglichkeit gäben, zu gehen, heiße es bei Jesiden nur: Konvertieren oder Tod.

Das Christentum ist im Koran immerhin als schützenswerte Religionsgemeinschaft anerkannt, für Jesiden gilt dieser Status nicht. Da sie nicht nur an den einen Gott, sondern auch an Engel glauben, halten islamische Fundamentalisten sie für Ketzer. Der "Engel Pfau" (Tausi Melek), den Jesiden besonders verehren, ist nach Meinung der Dschihadisten Iblis, der Teufel.

200.000 Jesiden warten auf Rettung

Der heiligste Ort der monotheistischen Religion liegt im Tal Lalisch, das derzeit ebenfalls von den vorrückenden Extremisten akut bedroht ist. Etwas weiter südlich in der Region Schichan haben die Jesiden ein weiteres großes Siedlungsgebiet; etwa 150.000 leben hier. Noch haben IS-Kämpfer dieses Region nicht erobert, doch die Gefahr ist auch nach Beginn der US-Luftangriffe auf Stellungen der Dschihadisten längst nicht gebannt.

"Die Bombardements zeigen Wirkung. Aber wir haben definitiv noch keine Wende erreicht", sagt Tolan. Immerhin schafften es Peschmerga-Soldaten inzwischen, etwa 10.000 Jesiden aus dem Sindschar-Gebirge in Sicherheit zu bringen.

US-Flugzeuge warfen derweil Hilfsgüter ab. Allerdings sitzen neben den Zehntausenden Menschen auf dem Berg in den umliegenden Ortschaften laut Tolan noch 200.000 Jesiden fest. Auch sie warten darauf, dass Soldaten sie endlich aus der Belagerung durch die radikalen Islamisten befreien.

Von Mey Dudin (dpa)

Irak: Bischof Fürst ruft zu Hilfe auf

Als "Barbarei unvorstellbaren Ausmaßes" hat Bischof Gebhard Fürst die systematische Verfolgung, Vertreibung und Tötung von Menschen im Nordirak durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bezeichnet. Der Rottenburger Bischof sagte am Samstag weitere 100.000 Euro Hilfe aus einem Nothilfefonds zu, die direkt an den chaldäisch-katholischen Erzbischof der Diözese Erbil fließen sollen. Der Bischof forderte rasche Hilfsmaßnahmen durch die Weltgemeinschaft und deren entschlossenes Eingreifen. Den Hilfs- und Militäreinsatz der USA wie auch zuletzt die Hilfsflüge Großbritanniens in der autonomen Provinz Kurdistan mit ihrer Hauptstadt Erbil begrüßte Fürst ausdrücklich. Ohne Hilfe von außen könne die Regierung der autonomen Provinz sich nicht des drohenden Ansturms der IS erwehren. Umgehend müsse auch den Zehntausenden Jesiden geholfen werden, die aus ihren Wohnorten vertrieben wurden und ohne Lebensmittel und Schutz ins Gebirge fliehen mussten. Mit der gewaltsamen Vertreibung drohe in der Region das Ende einer Jahrtausende alten religiösen und kulturellen Vielfalt. "Humanitäre Katastrophe biblischen Ausmaßes" "Es bahnt sich eine humanitäre Katastrophe biblischen Ausmaßes an, wir dürfen dabei nicht zusehen", so der Bischof. Die Zahl der Flüchtlinge gehe in die Hunderttausende. Todesfälle in hoher Zahl seien zu erwarten, falls keine massive und nachhaltige Hilfe eintreffe. Besonders die Deutschen wüssten aus ihrer Geschichte, was Völkermord bedeute und dass entschlossen alles Erdenkliche getan werden müsse, ihn zu verhindern. Mit Blick auf die vor dem IS-Terror nach Europa flüchtenden Menschen rief Fürst zu Großherzigkeit auf. Es sei zu befürchten, dass die in Europa und damit auch in Deutschland ankommenden Menschen auf lange Sicht nicht mehr in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren könnten. "Wir sind als Christen aufgerufen, ihnen Schutz und neue Heimat zu bieten." (stz)

Spenden

Spenden für die vom IS-Terror bedrohten Menschen im Nordirak nimmt Caritas international auf einem Online-Spendenkonto entgegen: http://www.caritas-international.de/spendenhelfen/ , Spendenzweck "Verfolgte Minderheiten im Irak".