Blutiges Jahr in Nigeria
"Wir bleiben aber misstrauisch", sagt der weißhaarige Mai Umar Abba, der aus Maiduguri stammt, dem Herkunftsort der Miliz. "Die Kommunikation zwischen Armee, Polizei, Geheimdienst und der Bevölkerung war immer schlecht."
Wirtschaftliche Gründe
Daher weiß er häufig nicht, wie glaubwürdig die Aussagen des Militärs tatsächlich sind. Vor allem eines stört Umar Abba: Die Sprecher der Sicherheitskräfte suggerierten, dass die Terrorgruppe so gut wie besiegt sei. "Doch niemand fragt, was danach passiert. Wie geht man mit Menschenrechtsverletzungen um? Was passiert mit den Jungen, die sich der Gruppe angeschlossen haben?" Längst nicht alle Terroristen sähen sich als Gotteskämpfer und kämpften für einen islamischen Staat, sagt er. Einige der Mitglieder hätten sich Boko Haram aus wirtschaftlichen Gründen angeschlossen. Wer in Nigeria, Afrikas Riesenstaat mit rund 180 Millionen Einwohnern, nicht aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichem Netzwerk stammt, hat wenig Chancen auf einen sozialen Aufstieg.
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Die gesellschaftlichen Effekte des Terrors sind erschreckend: Laut Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, gehen wegen der Terrorgefahr mehr als eine Million Mädchen und Jungen nicht mehr zur Schule. Mehr als 2.000 Bildungseinrichtungen im Norden Nigerias sowie in den angrenzenden Nachbarländern Kamerun, Tschad und Niger seien geschlossen. Dass ein Schulbesuch zur tödlichen Gefahr werden kann, zeigte Mitte April 2014 die Entführung der rund 300 Schülerinnen von Chibok. Die große Mehrheit ist bis heute vermisst.
Trauriger Spitzenreiter
Schon 2012 und 2013 hatte es mehrfach tödliche Angriffe auf Bildungseinrichtungen gegeben. Nigeria, das nach der Unabhängigkeit im Jahr 1960 für seine Universitäten und Schulen bekannt wurde, ist trauriger Spitzenreiter im Unicef-Ranking: Auch ohne die Berücksichtigung der Terrorgefahr besuchen hier den Angaben zufolge etwa zehn Millionen Mädchen und Jungen im Grundschulalter keine Schule.
Wenig Beachtung erhalten im Zusammenhang mit dem Terrorismus die Binnenflüchtlinge. Schätzungen zufolge haben zwischen 2,1 und 2,2 Millionen Menschen aufgrund von Terrorgefahr ihre Heimatorte verlassen. Wann sie dorthin zurückkehren können, ist völlig unklar.
Neuer Präsident macht Terrorbekämpfung zur Chefsache
Immerhin: Präsident Muhammadu Buhari, der seit Ende Mai amtiert, machte die Terrorbekämpfung anders als sein Vorgänger Goodluck Jonathan zur Chefsache. "Die frühere Regierung hat Boko Haram als lokales Problem präsentiert und wollte keine internationale Unterstützung", sagt Christopher Fomunyoh, Direktor für Zental- und Westafrika im "Nationalen Demokratie-Institut" (NDI).
Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie viele Menschen 2015 ums Leben kamen. Amnesty International schätzt, dass es bereits in den ersten neun Monaten mindestens 3.500 Zivilisten waren; insgesamt dürfte die Zahl deutlich höher liegen. Zuletzt gab es im November eine Serie von Anschlägen in den Provinzhauptstädten Yola, Maiduguri und Kano; mehrere hundert Menschen starben.
Seit 2009 - dem Jahr, in dem Gründer Mohammed Yusuf von Sicherheitskräften getötet wurde und sich die Gruppe radikalisierte - starben laut Schätzungen zwischen 20.000 und 30.000 Menschen. Da ein Großteil der Anschläge weiterhin in entlegenen Regionen verübt wird, dringen Informationen darüber oft erst Tage später an die Öffentlichkeit. Genaue Statistiken sind kaum zu führen. Auch hält niemand fest, wie viele Menschen an den Folgen von Verletzungen in den Krankenhäusern sterben.