Chaos, Trauer, Wiederaufbau
Es war 16.53 Uhr Ortszeit als in Haiti die Hölle ausbrach. Die Erde bebte, Häuser fielen einfach in sich zusammen, Autos flogen meterweit durch die Luft. Bis heute steht nicht genau fest, wie viele Menschen bei dem Beben der Stärke 7,0 ihr Leben verloren haben, mehr als 220.000 waren es in jedem Fall. 300.000 Menschen wurden verletzt, knapp zwei Millionen Menschen wurden obdachlos.
Die Katastrophe in einem der ärmsten Länder der Welt rief große Hilfsbereitschaft hervor – zweitweise waren Tausende Helfer im Land. Eine Tatsache, die den Wiederaufbau vor Herausforderungen stellt, erklärt Claudia Ebinger, Projektreferentin bei Don Bosco Mondo in Bonn. Die Nichtregierungsorganisation ist Partner der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern, die weltweit in Bildungsprojekten tätig sind – auch in Haiti. Seit 75 Jahren sind die Salesianer Brüder vor Ort und "genießen Vertrauen in der Bevölkerung", so Ebinger. Eine wichtige Voraussetzung, um erfolgreich beim Wiederaufbau zu helfen.
Zu wenig langfristige Hilfe
Claudia Ebinger war seit dem verheerenden Erdbeben fünf Mal auf Haiti – das erste Mal drei Monate nach der Katastrophe. Diesen Besuch hat sie noch gut in Erinnerung: "Als wir durch die Straßen von Port-au Prince gefahren sind, haben wir gedacht, das Erdbeben sei drei Tage her, nicht drei Monate." Überall hat noch Schutt gelegen, Zufahrtswege waren versperrt, Chaos regierte die Hauptstadt. "Das hat uns eine Ahnung davon gegeben, was noch alles auf uns zukommt", sagt sie.
Zu Beginn des Wiederaufbaus hätten viele Hilfsorganisationen das getan, was sie für am wichtigsten hielten, erzählt Ebinger. Das führte letztlich zu Chaos – und ging an den Bedürfnissen der Menschen vorbei, so die Projektreferentin. "Sicher sind viele mit guter Absicht ins Land gekommen", sagt sie. Aber viele hätten auch nur kurzfristige Hilfe geleistet und seien nach ein bis zwei Jahren wieder weg gewesen.
"Wir lassen die Leute nicht im Stich"
Doch es gibt auch Helfer, die auf Haiti geblieben sind. Neben Don Bosco gilt das auch unter anderem für Caritas International. "Nur weil das Erdbeben vorbei ist, lassen wir die Leute nicht im Stich", sagt Haiti-Referentin Leonie Hannappel. Denn auch heute noch wohnen rund 85.000 Menschen in Zeltlagern, obwohl diese längst aufgelöst sein müssten. Auch politisch hat das Land große Probleme: Seit vier Jahren schaffen es die Behörden wegen eines Streits zwischen Regierung und Opposition nicht, Parlamentswahlen abzuhalten. Am Jahrestag des Erdbebens laufen nun die meisten Mandate aus. Die Regierung könnte danach nur noch per Dekret regieren. Es droht eine Krise.
Die politische Situation sei eines der größten Hindernisse beim Wiederaufbau, so Claudia Ebinger. "Es bleibt das Gefühl, dass wesentlich mehr Fortschritt sichtbar sein müsste." Auch wenn es wieder Infrastruktur gebe und weniger Schutt sichtbar sei, wirtschafte die Politik oft in die eigene Tasche und kümmere sich bevorzugt um den Wiederaufbau von Regierungsgebäuden. Stattdessen müsse mehr in die Bevölkerung selbst investiert werden, fordert Ebinger. Denn nur durch Bildungsinitiativen bekomme das Land eine Chance. Erst wenn Kinder und Jugendliche einen Zugang zu Bildung erhielten, habe Haiti eine Chance, sagt sie. Die Zerstörung der eigenen Schulgebäude hat die Salesianer auch nicht von ihrer Arbeit abgehalten – stattdessen hätten sie den Unterricht dann draußen abgehalten, berichtet Ebinger.
Auch Caritas International will das Thema Bildung weiter in den Blick nehmen. So versucht man in den Einrichtungen vor Ort, die Menschen direkt am Wiederaufbau zu beteiligen, indem Jugendliche unter anderem zu Maurern, Schreinern oder Elektrikern ausgebildet würden. Zudem sollen die Haitianer lernen, erd- und hurricanesichere Häuser zu bauen. Der Wiederaufbau und die Stabilisierung Haitis werden noch Jahrzehnte dauern, befürchtet Claudia Ebinger von Don Bosco Mondo. "Aber die Investition in die Menschen ist die einzig zukunftsweisende Lösung."
Von Sophia Michalzik