"Das hat mich wütend gemacht"
Frage: Schwester Lea, Sie haben Solwodi in Mombasa angesichts der Not der Prostituierten dort gegründet. Wie war das damals?
Ackermann: Ich bin von meinem Missionsorden nach Kenia geschickt worden. Dort sollte ich in der Lehrerfortbildung arbeiten. Aber in Mombasa teilten mir unsere Schwestern mit, dass sie dabei waren, die Lehrerfortbildung in afrikanische Hände zu geben. Ich habe mit meiner Provinzialoberin gesprochen und gesagt, dass ich ein ganz anderes Problem hier sehe.
Mombasa, das ist ja ein Urlaubsparadies. Und dahin kommen Touristen, die machen eine Weltreise, dafür haben sie Geld. Sie sehen die Not und die Armut von Frauen und Kindern. Sie kaufen Frauen und Kinder für ihr billiges Vergnügen, das hat mich wütend gemacht. Und dann habe ich den Kontakt zu diesen Frauen gesucht. Ich bin auf die Straße oder in die Restaurants gegangen, in denen die Touristen auf die Frauen trafen. Wenn eine Frau am Tisch saß, habe ich mich zu ihr gesetzt und gesagt: "Ich bin Lea Ackermann. Ich bin da, um Frauen mit Problemen zu helfen, aber Sie sind jung und hübsch und haben sicher keine Probleme."
Und da fingen sie an zu erzählen: "Was, Sie denken, wir haben keine Probleme, mit jedem Trottel abzuziehen, sich Krankheiten zu holen, mal Geld zu haben, mal keins?" Da habe ich gesagt: "Oh, wenn Sie das so sehen, dann treffen wir uns mal außerhalb."
Frage: Was haben Sie dann gemacht?
Ackermann: Ich bin zum Bischof und habe ihm gesagt, dass ich das Gespräch mit den Frauen suche. Wir sind in eine Pfarrei gekommen, da war eine alte Lagerhalle. Ich habe mit ein paar Frauen angefangen, aufzuräumen. Ich hatte keinen Pfennig Geld. Dann habe ich an meine Freunde geschrieben, die mir ihre Adresse gegeben hatten: "Diesen Frauen würde ich helfen, wenn Ihr mir helft." Ich habe mir gesagt, wenn die hundert Adressen mir 10 D-Mark schicken, dann habe ich 1.000 D-Mark, damit kann ich was machen.
Frage: Welche Hilfe haben Sie den Frauen angeboten?
Ackermann: Wir haben gemeinsam überlegt: Was würde den Frauen Geld bringen? Für ein sehr junges Mädchen, das ihre Schule abschließen wollte, habe ich eine Schule gesucht. Wir haben eine Nähmaschine beschafft. Es gab einige Frauen, die wollten nähen lernen. Eine andere Frau sagte, meine Großmutter hat mir beigebracht, wie man Plätzchen backt. Die Plätzchen haben wir dann verkauft. Wir, das heißt die Frau oder Frauen, die daran beteiligt waren.
In Mombasa gab es nur Weißbrot. Also haben wir gesagt, wir machen Körnerbrot. Ich hatte ein paar Hotels und einen Supermarkt, wohin ich das Brot bringen konnte. Es haben sich immer Leute gefunden, die das gut fanden, was wir gemacht haben, und uns unterstützten.
Ich habe den Frauen nicht gesagt, die Prostitution ist böse für euch. Ich habe einfach gefragt: Was könnt ihr anderes tun, womit kann man noch Geld verdienen?
Frage: Es gibt mittlerweile sehr viele Solwodi-Projekte.
Ackermann: Wir haben 34 Beratungsstellen in Kenia. Wir bilden zum Beispiel Bäckerinnen aus, wir haben ein Ausbildungszentrum. Andere lernen Schuhmacherin, Seifenherstellung oder Schneidern. Es gibt drei Klassen für Kinder, wir haben oft alleinerziehende Frauen.
Frage: Sie sind ein paar Jahre später nach Deutschland gekommen und haben hier Solwodi Deutschland aufgebaut.
Ackermann: Hier wollte ich nur Aufklärung machen. Es wurde geworben mit "Sonne, Sand und Sex". Dagegen habe ich sofort angefangen zu kämpfen. Ich wollte darauf aufmerksam machen, was in Kenia mit den Frauen passiert. Einige Frauen aus Kenia waren aber schon hier.
Frage: Wie hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Zeit entwickelt?
Ackermann: Es kamen immer neue Aufgaben. Es kamen Ordensschwestern anderer religiöser Gemeinschaften dazu, die anfangs unentgeltlich gearbeitet haben. Später wurden sie Angestellte. So haben wir inzwischen 18 Beratungsstellen in Deutschland. Es gibt auch Solwodi in Bukarest, gegründet von den Maria Ward Schwestern mit einer Beratungsstelle und mit einem Frauenhaus, später gründeten die Salvatorianerinnen mit den Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens und Schwestern anderer Gemeinschaften Solwodi auch in Wien mit einem Frauenhaus. Auch in Ruanda habe ich für die Opfer des damaligen Krieges eine Beratungsstelle aufgebaut.
Frage: In welchen Situationen sind die Frauen, die bei Ihnen Rat und Schutz suchen?
Ackermann: Es sind immer von Gewalt betroffene Frauen: Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsheirat, Gewalt in engen Beziehungen. Mit jeder einzelnen Frau besprechen wir ihre Situation, suchen mit ihr zusammen Auswege. Wir haben gemerkt, dass es wichtig war in Kenia, auch für Mädchen einen eigenen Verein zu gründen, da haben wir Solgidi (Solidarity with Girls in Distress) gegründet. Daraus gehen zum Beispiel in Mombasa jährlich fast um die 20 Abiturientinnen hervor. Wir haben für Frauen in Deutschland ein Rückkehrerinnenprogramm, damit sie, wenn sie wollen, im Heimatland wieder Fuß fassen können.
Moderne Sklavinnen
Im Standpunkt: Michaela Pilters über Menschenhandel und ProstitutionFrage: Sie haben sich zu Wort gemeldet, als Amnesty International eine Legalisierung der Prostitution forderte.
Ackermann: Seit 30 Jahren bin ich mit Frauen zusammen, die überleben wollten und in der Prostitution gelandet sind. Inzwischen melden sich Traumatherapeuten und sagen, Prostitution ist traumatisierend, ist krank machend. Und was Amnesty International macht, ist so ein Schlag ins Gesicht, auch des Europäischen Parlamentes. Denn das Europäische Parlament hat den Rat gegeben, zu agieren wie Schweden zum Beispiel. Auch andere Länder versuchen durchzusetzen, dass der Kauf von Sex verboten wird. Man guckt nicht auf die Frauen, sondern auf die, die diesen Markt schaffen: die Kunden, die Organisationen, die Bordelle betreiben, die Menschenhändler, die Zuhälter und so weiter.
Prostitution und die Würde des Menschen gehen nicht zusammen, auch gehen Prostitution und Gleichwertigkeit von Mann und Frau nicht zusammen. Ich behaupte, dass niemand freiwillig in der Prostitution ist. Es gibt viele Frauen, die sagen, ich mache das freiwillig, aber wenn sie lange genug raus sind, fragen sie sich, warum sie überhaupt da reingeraten sind. Amnesty International kann sich nach so einer Entscheidung nicht mehr Menschenrechtsorganisation nennen.
Frage: Was brauchen Flüchtlinge am dringendsten hier in Deutschland?
Ackermann: Das wichtigste ist, dass wir ihnen die Möglichkeit geben zu arbeiten. Es wachsen Aggressionen, wenn so viele Menschen an einem Ort zusammen sind und keine Beschäftigung haben. Also ich finde das ganz schrecklich. Ich würde keine Sozialleistungen, sondern die Beschäftigung bezahlen. Dann würden sich Flüchtlinge aufgewertet fühlen. Nur jetzt dürfen sie nicht.