Warum Frauen an der Klagemauer nicht die gleichen Rechte haben wie Männer

"Das ist doch nicht normal!"

Veröffentlicht am 12.04.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Judentum

Jerusalem ‐ Man hört sie schon beten, ehe man sie sieht: die Männer an der Klagemauer mit ihren Gebetsschals um die Schultern und den Gebetsriemen an den Armen. Die einen beugen sich konzentriert gen Klagemauer, die anderen tanzen und singen laut. Dem jüdischen Kalender folgend, hat der Nisan begonnen, die Männer begrüßen den neuen Monat.

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Nebenan, im Bereich für Frauen, ist es viel ruhiger. Die Frauen beten zwar auch, verneigen sich gen Osten, bewegen ihre Lippen, doch sie tun es stumm. Aber wenig später betritt eine große Gruppe Frauen den Platz vor der Klagemauer, sie tragen bunte Kleidung, sie gehen in den Bereich, der den Frauen vorbehalten ist, stellen sich in Reihen auf und verteilen Gebetsschals untereinander. Und sie beten laut.

"Women of the Wall"

Diese Frauen gehören zur Gruppe Neschot Hakotel, auch bekannt unter der englischen Bezeichnung "Women of the Wall" (Frauen der Mauer). Diese private Organisation gläubiger Jüdinnen setzt sich dafür ein, dass auch Frauen an der Klagemauer so beten können wie die Männer: singend, mit Schals und Riemen.

Das ist eigentlich verboten; der Rabbi der Klagemauer hat das mit Verweis auf althergebrachte, religiöse Praktiken so verfügt und die israelische Polizei muss es einem Richterspruch zufolge durchsetzen.

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Video: © Steffi Schmitz

Zu Gast ist Dr. Andreas Verhülsdonk, der sich im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz u.a. um die religiösen Beziehungen zum Judentum kümmert.

Regelmäßige Festnahmen

Allein in den vergangenen sechs Monaten wurden 48 Frauen durch Polizisten von der Klagemauer abgeführt; seit gut zwei Jahren konnte die Frauengruppe nicht ein einziges Mal beten, ohne dass eine von ihnen festgenommen worden wäre.

"Die Polizei macht nur, was der Rabbi ihnen sagt. Und er sagt: Nicht die Frauen brauchen Schutz, wir brauchen Schutz", sagt Anat Hoffman von Neschot Hakotel. Der Staat Israel habe den Rabbinern die Herrschaft über die Mauer überlassen, und die nutzten diese Macht nun, um ihre Sicht auf das Judentum durchzusetzen.

"Wir werden kriminalisiert"

"Dass wir kriminalisiert werden und als Provokateurinnen dastehen - das ist doch nicht normal!", sagt Hoffman. "Wir wollen nur so unseren Glauben feiern, wie Juden das nun einmal tun. Wo will ich das tun? Natürlich dort, wo es alle Juden tun: an der Klagemauer."

Der Vorsitzende der Einwanderungsbehörde Jewish Agency, Nathan Scharanski, soll den Streit schlichten. Zusätzlich zu den Männer- und Frauensektionen an der Mauer solle ein dritter Bereich eingerichtet werden, wo beide Geschlechter gleich behandelt werden. Die Kontrahenten hätten das positiv aufgenommen, schrieb die Zeitung "Jerusalem Post". Ungeklärt aber ist, ob dieser neue Bereich am Rande oder im Zentrum der Mauer sein könne.

Ultraorthodoxe fühlen sich gestört

Die meisten Betenden nehmen schon jetzt kaum Notiz von den "aufsässigen" Frauen. Nur einige Ultraorthodoxe stören sich an ihrem Anblick. Sie werden ausfallend, beschimpfen die betenden Frauen. "Das sind keine Juden", ruft eine junge Religiöse. Immer wieder versucht sie das Gebet durch schrilles Geschrei zu stören.

Polizisten versuchen, die Frauen voneinander fernzuhalten. Eine ältere Dame mit kurzem grauen Haar und bunter Brille sagt: "Natürlich kann ich das nicht einfach ignorieren." Sie wolle nicht, dass jemand auf sie wütend sei. "Aber das hier ist eben wichtig für uns."

Generelle Unzufriedenheit

Die Klagemauer wird von der Western Wall Heritage Foundation verwaltet. Kritikerinnen wie Hoffman sagen, dass diese Organisation nur die Interessen einer ultra-orthodoxen, kleinen Minderheit vertrete und konsequent andere Gruppen ausschließe. Dabei engagieren sich auch orthodoxe Frauen bei Neschot Hakotel. Hoffman erklärt das mit ihrer generellen Unzufriedenheit. In den orthodoxen Familien seien es oft die Frauen, die Geld verdienten und sich gleichzeitig um Kinder und Haushalt kümmern müssten.

Die Polizei führte am Donnerstag nicht nur fünf Frauen ab, sondern auch einen strenggläubigen Juden, weil er ein Gebetsbuch der Frauen angezündet hatte. Doch nicht alle Männer haben etwas gegen die Gesänge der Frauen einzuwenden. Einige betrachten das Schauspiel interessiert - und stimmen manchmal sogar in die Gesänge mit ein.

Von Rico Grimm und Alexandra Rojkov (dpa)