Das sind Kohlgrafs Positionen
Am Dienstag wurde Peter Kohlgraf zum 89. Bischof des Bistums Mainz ernannt. Und bis zu eben jenem Dienstag war er vor allem Wissenschaftler, der sich zunächst mit der Patristik, also der Theologie der Kirchenväter des ersten Jahrtausends, dann mit der Pastoraltheologie, der Seelsorge im Hier und Jetzt beschäftigt hat. Gerade seine neueren Publikationen könnten daher Aufschluss darüber geben, wie sich Kohlgraf das Kirchesein in seiner künftigen Diözese vorstellt.
Im Jahr 2015 hat Kohlgraf den Band "Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche" veröffentlicht. Hier wird die Nähe des künftigen Mainzer Bischofs zum amtierenden Papst Franziskus deutlich. Im Schlusskapitel schreibt er, ihm habe das Buch des französischen Kardinals Congar gezeigt, "dass es Grundthemen des Konzils gibt, die sich erst mühsam durchsetzen müssen". Dass das Bemühen um eine arme und dienende Kirche das eigentliche Thema des Konzils gewesen sein solle, "wäre mir als junger Theologiestudent kaum in den Sinn gekommen". Es sei gut, dass dieses zentrale Thema heute auch durch den Papst und seine Verkündigung aus der Versenkung geholt werde.
Spagat beim Thema Geld
Das Thema Kirche und Geld interessiert die Öffentlichkeit laut Kohlgraf daher auch nicht von ungefähr. "Bischöfliches und diözesanes Finanzgebaren wird zunehmend kritisch diskutiert – vielleicht ist diese zunehmende Transparenz für die Kirche heilsam, weil auch ihr das Geld anvertraut ist, das ihr im Sinne von Papst Franziskus nicht für eigene Zwecke gehört." Zur Realität gehöre aber auch, dass die Kirche Geld braucht, um ihre Aufgaben in der Welt wahrzunehmen. Sie lebe damit in der ständigen Spannung zwischen dem Anspruch Jesu und ihrem Auftrag in der konkreten Welt.
„Menschen müssen erleben, dass ihre Erfahrungen ernstgenommen werden und im kirchlichen Handeln Platz finden.“
Die Glaubwürdigkeit der Kirche hänge zudem immer davon ab, "dass ihre Boten selbst das leben, was sie verkünden", so Kohlgraf im selben Band. Gegen Lüge, besonders in der Kirche, reagierten Menschen sehr empfindlich, und der Kirche werde nicht mehr geglaubt, so feierlich und ehrwürdig sie sich auch präsentieren möge. Kirche handele dort diakonisch, wo sie als einladend, wahrhaftig und ehrlich erlebt wird, so der 50-Jährige. "Menschen müssen erleben, dass ihre Erfahrungen ernstgenommen werden und im kirchlichen Handeln Platz finden."
Kohlgraf nahm als Wissenschaftler aber auch das konkrete Gemeindeleben und die damit verbundenen Pfarreistrukturen in den Blick. Während ein Großteil der Diözesen in Deutschland bereits umfassende Reformen angestoßen haben, steht dieser Schritt in Mainz noch bevor. In der "Herder Korrespondenz" von Oktober 2016 stellt er dazu erst einmal fest: "Die Menschen in den Gemeinden bemühen sich nicht alle krampfhaft um die Wahrung von Traditionen, aber dennoch ist die Kirche im Übergang für sie ein wichtiger lebendiger Teil ihres Lebens."
Eltern brächten ihre Kinder zur Taufe, Jugendliche ließen sich firmen, Kinder gingen zur Erstkommunion, Messdienerinnen und Messdiener engagierten sich, Erwachsene brächten Leben in die Gemeinden. "Auch das ist Wirklichkeit einer kleinen Pfarrgruppe auf dem Lande, die man vielleicht zu schnell totsagt", so der Pastoraltheologe in seinem Artikel "Ist die Pfarrei tot? Eine Befragung von Gläubigen zur Zukunft der Gemeinden".
Darin äußert der Theologe auch Kritik an der eigenen Zunft. Den Menschen einfach zu unterstellen, sie lebten im Zustand dauerhafter Wirklichkeitsverdrängung, verkenne, dass das aktuelle Leben ihre Wirklichkeit sei. "Sie dort nicht stehen zu lassen, sondern sie mitzunehmen auf dem Weg in neue Formen von Kirche, ist eine herausfordernde Aufgabe", schreibt er.
Nicht die Augen vor der Wirklichkeit verschließen
Gleichzeitig formuliert Kohlgraf im Artikel "Überlegungen zur Pastoral der Zukunft" (ebenfalls 2016) aber auch die Anforderungen, die er an mögliche neue Modelle und Denkweisen in der Pastoral stellt. Sie dürften "nicht als Notlösungen verstanden werden, sondern als vom Geist Gottes für diese Zeit und diese Welt gestellte Aufgabe, Kirche zu gestalten". Es gehe um Gelassenheit, Gottvertrauen und den Mut, "Wesentliches von Sekundärem zu unterscheiden und dies in geduldigen geistlichen Prozessen herauszufinden". Dabei sei es keine Schande zuzugeben, dass auch die Verantwortlichen keine klaren und eindeutigen pastoralen Lösungen für komplexe Themen im Gepäck hätten.
Die Augen jedoch vor der Wirklichkeit zu verschließen, "war jedenfalls nie katholisch", heißt es im Artikel "Katholisch sein in der Welt von heute. Im und um den Glauben ringen" (Impulse 108/03, 2014). Sich der Wirklichkeit zu stellen, sei eines der herausragendsten Merkmale des Katholischen, "weil es dem Wesen Gottes entspricht, der in seinem Sohn Fleisch annimmt, um sich der menschlichen Wirklichkeit auszusetzen – mit allen Konsequenzen".
Linktipp: Ein praktischer Theologe wird Bischof
Auf den Professor für Dogmatik folgt der Professor für Pastoral: Mit Peter Kohlgraf ist wieder ein Wissenschaftler auf dem Mainzer Bischofsstuhl. Seine Forschungen kann er nun in die Praxis umsetzen.Wie diese Wirklichkeit im Bistum Mainz aussehen könnte und was das für die Gläubigen vor Ort bedeutet, bleibt abzuwarten. Allerdings scheint Kohlgraf kein großer Freund sogenannter Großpfarreien zu sein. Bereits 2011 schrieb er in den "Pastoraltheologischen Informationen" anlässlich des Jubiläums der Würzburger Synode (1971-1975): "Gerade durch die Schaffung großer Einheiten wollen die Bistümer den immer mobiler werdenden und ihr religiöses Leben flexibler gestaltenden Menschen nachgehen." Wie es ein Pfarrer schaffen solle, in immer unübersichtlicher werdenden Großpfarreien oder Pfarrverbänden Motor ehrenamtlicher Tätigkeit zu sein und die vielen Aktivitäten zu vernetzen, bleibe jedoch eine ungelöste Frage.
"Das Ehrenamt bekommt große Bedeutung zugesprochen, solle jedoch vom Pfarrer angeleitet werden und auf ihn vor allem bezogen sein – darin liegt wohl eine kaum zu bewältigende Schwierigkeit", resümiert Kohlgraf. Die personale Nähe nehme jedenfalls der eigenen Erfahrung nach im Bewusstsein vieler Gemeindemitglieder spürbar ab. Wenn also kleine Pfarreien bloß zu einer großen – mit denselben Strukturen – würde, könne der Verdacht aufkommen, dass es im Letzten doch um die Aufrechterhaltung volkskirchlich gewachsener Traditionen und Denkweisen gehe.
Kohlgraf fordert deshalb eine Überprüfung der sakramententheologischen Praxis und dem missionarischen Charakter der Pastoral. "Das entscheidende Kriterium für angemessene kirchliche Strukturen bleibt, ob sie eine Vielfalt der Charismen nicht dulden, sondern ermöglichen, also nicht geisttötend sind, sondern das Wirken des Geistes bejahen und fördern."