Das wirkliche Ärgernis des Kreuzes
"Wir aber verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit", heißt es im ersten Korintherbrief. Noch deutlicher wirkt der lateinische Text, der von einem "scandalum" spricht. Ob Paulus hätte ahnen können, dass 2.000 Jahre nach seinem Brief ausgerechnet das angebliche Nicht-Bekenntnis der Christen zum Skandal werden würde?
Als "Kirchen-Skandal" jedenfalls bezeichnete "Bild"-Autor Michael Wolffsohn einen Vorgang, der sich bereits Ende Oktober in Jerusalem abgespielt hatte: Bei der gemeinsamen Pilgerreise der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ins Heilige Land legten deren jeweilige Vorsitzende ihre Brustkreuze ab. Beim Besuch der für Juden und Muslime heiligen Stätten am Jerusalemer Tempelberg verzichteten Kardinal Reinhard Marx und Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm damit darauf, ihre Insignien zur Schau zu tragen.
Verblüffend lange nach Ende der Reise reagierte die säkulare Presse auf diesen bis dahin nicht eben aufsehenerregenden Vorgang. Ganze vierzehn Tage brauchte "Bild"-Mann Wolffsohn, seinen Furor in Worte zu fassen. Er witterte in dem Vorgang einen Kotau vor einem aggressiven Islam, der auf diese Weise die Selbstunterwerfung der "Ungläubigen" forderte.
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Bereits an diesem Punkt wäre Wolffsohns leidlich stringenter Kommentar zu widerlegen. Der Publizist, selbst jüdischen Glaubens, untermauerte seine These nämlich mit der Behauptung, die Bischöfe hätten im jüdischen Teil des Heiligen Landes ihre Kreuze stets ganz selbstverständlich auf der Brust getragen. Das ist falsch. Zwei Stunden nach dem Besuch des Felsendoms stand ein Gang zur Klagemauer auf dem Programm der Pilgerreise. Auch dort trugen Marx und Bedford-Strohm ihre Brustkreuze nicht, wie unsere teilnehmende Redakteurin vor Ort beobachten konnte und wie es später auch die Pressestelle der DBK erklärte. Ob Wolffsohns Reaktion anders ausgefallen wäre, hätte er nicht bloß vom heimischen Schreibtisch auf Agenturbilder reagiert?
Wohl kaum. Mindestens ebenso selektiv wie Wolffsohns unzureichende Bildanalyse mutet schließlich seine bemühte Schriftauslegung an. So behauptet der "Bild"-Autor, der biblische Aufruf zur Nächstenliebe dürfte nicht mit einer Selbstaufgabe einhergehen. Vielleicht hätte ein Blick in das Evangelium nach Lukas geholfen: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach." (Lk 9,23)
Doch auch das biblische Argument dürfte die Kritiker kaum besänftigen. Denn ihnen geht es im Kern gar nicht um die Frage, ob das Handeln der Bischöfe nun angemessen oder töricht war. Sie wünschen sich eine starke Stirn gegen den intoleranten Islam.
Martin Luther als dürftiger Kronzeuge
Daraus macht auch "Spiegel"-Kolumnist Jan Fleischhauer keinen Hehl. Wie sein Springer-Kollege Wolffsohn stilisiert er den Urreformator Martin Luther zum Archetyp christlicher Unbeugsamkeit. Immerhin habe Junker Jörg seinerzeit vor dem Reichstag treu zu seinen Idealen gestanden. Dabei unterschlagen die Salonprotestanten einen wichtigen Teil der Geschichte: Luther erkannte die Realitäten weltlicher und kirchlicher Macht seiner Zeit sehr wohl an, sonst hätte er sich dem Wormser Verhör ja überhaupt nicht stellen müssen. Er konnte nicht anders.
Linktipp: An der gemeinsamen Quelle gestärkt
Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm zeigen sich zum Abschluss der ökumenischen Pilgerreise optimistisch gestimmt. Aber auf der einwöchigen Reise gab es auch schwierige Momente. (Artikel von Oktober 2016)Einen wahren Kern streifen beide Kommentatoren natürlich: In Teilen des Islam gewinnen Intoleranz und Friedlosigkeit derzeit die Oberhand. Das ist nicht allein ein humanitäres und weltpolitisches Problem, sondern stellt auch das Verhältnis der abrahamitischen Religionen auf die Probe. In dieser Situation braucht es allerdings ein Zusammenstehen der Friedfertigen und keine inneren Zerwürfnisse.
Materialistischer Kleinglaube
Fleischhauer wie Wolffsohn sorgen sich unterdessen, dass zwei fehlende Brustkreuze sowohl zu Problemen mit Muslimen in unserem Land führen (Wolffsohn), als auch bedrängte Christen andernorts entmutigen (Fleischhauer) könnten. Welcher Kleinglaube macht sich so von bischöflichen Amtsinsignien abhängig? Denn dies ist das Pektorale jedenfalls aus katholischer Perspektive: Der nach dem Bischofsring alltäglichste Ausweis der empfangenen Bischofsweihe.
Die eifernden Kritiker der Kreuzabnahme fordern zur Konfrontation bereite Zeugen des christlichen Glaubens. Zu Recht! Nicht nur angesichts eines aggressiver werdenden Islams, sondern vor allem mit Blick auf die radikal voranschreitende Säkularisierung brauchen wir brennende Zeugen für Christus. Das verbindet uns mit der Gemeinde von Korinth, an die Paulus einst seinen Brief schickte. Von ihnen verlangte er allerdings nicht das Tragen edler Schmuckkreuze, zumal im Tempel der Heiden. Er verlangte von ihnen vielmehr, durch das Wort und besonders durch die Tat zu zeigen, dass sie zu Christus gehören.
Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm tun dies in herausragender Weise, auch wenn dies gerade in der säkularen Presse nur allzu oft unbeachtet bleibt. So wird nun auch ihrer gemeinsame Pilgerfahrt zu den Wurzeln des christlichen Glaubens auf die leidige Pektorale-Posse reduziert, während ein wichtiger Satz von Kardinal Marx weithin ungehört bleiben wird: "Wir wollen auf Christus schauen, wir wollen von ihm lernen", sagte er zum Abschluss der Reise. Dieses lobenswerte Zeugnis gründet nicht auf materielle Zeichen, sondern auf der Bereitschaft, immer wieder das Pauluswort in die Tat umzusetzen: "Wir aber verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit".