Über das sinkende Niveau des theologischen Diskurses

Debattenkultur: Mehr als eine Frage des Stils

Veröffentlicht am 30.07.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Menschen stehen im Atrium des Hörsaalgebäudes der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt
Bild: © KNA
Debatte

Salzburg ‐ Theologische Debatten leben von produktivem Dissens und ehrlichem Disput, sagt Andreas Weiß. Doch der Ton wird rauer. Der Fundamentaltheologe sieht darin ein Problem für die Glaubwürdigkeit der Kirche.

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Die Stimmung ist angespannt. Es ist schon einmal besser um den Ruf der Theologie gestanden. Nicht nur, dass in fast allen europäischen Staaten Theologen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen dem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind, ob das Fach an Universitäten Platz haben sollte. Zudem trägt die innertheologische Diskurskultur gegenwärtig nur wenig zu einer konstruktiven Profilierung bei. Der scharfe Wortlaut des Wuppertaler Dogmatikers Michael Böhnke gegenüber dem emeritierten Papst Benedikt XVI. reiht sich in eine nachdenklich stimmende Entwicklung ein. Stein des Anstoßes war der von Kardinal Koch veröffentlichte Text Benedikts zum Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Die Reaktionen aus allen Lagern ließen nicht lange auf sich warten. Sie schienen sich an Schärfe jeweils noch überbieten zu wollen. Hier geht es nicht darum, ob und inwiefern der Text von Benedikt XVI. kritisiert werden sollte. Vielmehr wird an der Heftigkeit der sich anschließenden Debatte ein tiefer liegendes Problem sichtbar.

Die Bruchlinien innerhalb der einstigen Königin der Wissenschaften scheinen so unüberwindbar wie schon lange nicht mehr zu verlaufen. Die Debatten werden längst nicht mehr nur in Fachzeitschriften ausgetragen, sondern man richtet sich über alle zur Verfügung stehenden Medien wenig wertschätzende Mitteilungen aus. War der ehemalige Salzburger Weihbischof Andreas Laun vor wenigen Jahren noch ein digitaler Vorreiter, der online-Präsenzen für seine theologischen Rundumschläge nutzte, haben es ihm heute viele gleichgetan. Theologische Positionen werden mit lauten Unterstellungen, nicht selten mit persönlichen Angriffen versehen. Das Bild der christlichen Theologie leidet zunehmend unter der sinkenden Hemmschwelle publiker Seitenhiebe.

Der Ton wird rauer, die Fronten verhärten sich

Keine Frage: Theologische Disputationen waren immer öffentlich, ob an mittelalterlichen Universitäten oder in der Fachliteratur. Aber der Ton wird rauer. Die Fronten verhärten sich in ungeahntem Maße. Selbst wenn die Pfeilspitzen nicht gezielt in der Öffentlichkeit gesetzt werden, so tragen doch die Medien beziehungsweise die dahinter stehenden Personen(-gruppen) ihren Teil dazu bei, dass diese ihr Ziel sicher nicht verfehlen. Außerkirchliche Kreise reiben sich die Hände, wenn ihnen "brenzlige" Papiere zugespielt werden.

So war es auch nur eine Frage der Zeit bis die harschen Zurechtweisungen des österreichischen Nuntius vergangenen Mai die Runde machten: Damals sah sich der Vertreter des Heiligen Stuhls in Österreich, Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen, zu einer Maßregelung gegenüber Bischöfen und Priestern in der Bundesrepublik bewogen, die sich gegen den umstrittenen Kreuzerlass von Markus Söder (CSU) gestellt hatten. Die Feststellung, dass dies "beschämend" und eine "Schande" sei, kann zwar als persönliche Ansicht des Nuntius interpretiert werden, in der Öffentlichkeit jedoch zeigt sie eine innere Zerrissenheit des kirchlichen Verhältnisses zu säkularem Staat und pluraler Gesellschaft. Der fahle Beigeschmack bleibt, dass Zurbriggen damit auch seinen bischöflichen Kollegen, Kardinal Reinhard Marx, über die Grenzen seines eigenen Zuständigkeitsbereiches hinweg fast schulmeisterlich zurechtwies.

Katechese mit Weihbischof Michael Gerber, Freiburg in der Kirche Sankt Franzisca z Asyzu in Zabierzow.
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Was sollen junge Theologen denken, wenn sie die Debatten in ihrer Zunft beobachten?

Schonungslos legen Seitenhiebe wie diese eine klaffende Wunde offen: Das öffentliche Überspitzen theologischer Meinungsverschiedenheiten wirkt nach außen zunehmend als Glaubwürdigkeitsproblem, es schwächt die christliche Identität aber auch nach innen. Diese Konfrontationen könnten sich durchaus zu einem kerygmatischen Supergau auswachsen. Wenn man selbst hier grundlegenden Respekt, eine Wertschätzung des Gegenübers als gläubigen Mitchristen vergeblich sucht, wie sollte man die gemeinsame Botschaft glaubhaft vertreten können? Besonders die junge Generation an Theologen könnte einem fast Leid tun. Man müsste Verständnis zeigen, wenn sich der eine oder die andere die Frage stellen würde, in welche Schlangengrube sie da gefallen sind.

Theologen, die sich gegenseitig bloßstellen, sind wenig hilfreich

Dies ist kein beiläufiges Syndrom eines kränkelnden Systems. Es manifestiert auch nicht bloß das Problem einer jahrtausendealten Institution, die sich ihre eigenen Idealvorstellungen schlichtweg zu hoch gehängt hat. Eines dürfte aber feststehen: Theologen, die sich gegenseitig den "schwarzen Peter" zuschieben oder mediale Bloßstellungen suchen, sind wenig hilfreich. Sie verstärken hingegen eher den Anschein, dass der Psychiater Manfred Lütz Recht daran tat, die katholische Kirche mit der Familie eines Alkoholikers zu vergleichen: Offensichtlich gibt es ein Problem, die Familienmitglieder sind sich dessen bewusst, aber sie beschuldigen sich untereinander, ohne etwas zur Problemlösung beizutragen. Währenddessen verlieren aber alle das Eigentliche ihres Lebens aus dem Blick. Oftmals ist erschreckend, wie leichtfertig man sich theologische Fähigkeiten, die Katholizität oder gar den ehrlichen Glauben abspricht. Dies findet aber täglich auf Internetforen und Plattformen statt.

Hier sei einem Missverständnis vorzubeugen: Dissens und die Unterschiedlichkeit von Ansätzen sind der Motor einer sich entwickelnden communio. Kirchengeschichtlich entpuppen sich die Zeiten der großen Konzilien als die produktivsten Werkstätten christlichen Glaubens. Dass dies nur bei gleichzeitiger Existenz von Streitthemen und divergierenden Lösungsansätzen der Fall sein konnte, dürfte einleuchtend sein. Die Auseinandersetzungen sollen keinesfalls abgeschafft werden, die theologischen Disziplinen auch heute zu keinem Einheitsbrei verkommen, der "weder heiß noch kalt" (Offb 3,16) ist. Wohl aber wünscht man sich als Teil eines akademischen Diskurses, aber auch als gläubiges Mitglied einer Gemeinschaft, die sich selbst auf dem "Pilgerweg" (vgl. LG 8) sieht, eine gewisse Form kommunikativer Wertschätzung.

Alleingänge und Dogmatismus beim Kommunionstreit

Eine kirchenpolitische Entwicklung, an der sich dieser Prozess bestätigt, ist der Streit um die von den deutschen Bischöfen intendierte "Handreichung" zum Kommunionsempfang konfessionsverschiedener Ehepartner: Hier prallen unterschiedliche pastorale Perspektiven und Leseweisen des Zweiten Vatikanischen Konzils aufeinander. Während die einen (oft durchaus ungestüm) mit pastoral begründeten Alleingängen vorpreschen und diese gern schon als Norm sehen würden, vergraben sich andere in dogmatischen oder kirchenrechtlichen Urteilen, die keine Lösungskompetenz zulassen. Beide Formen sollen keinesfalls gegeneinander ausgespielt werden – im Gegenteil. Man könnte durchaus ein Wenig aufeinander hören und im ehrlichen Disput voneinander lernen.

Eucharistie
Bild: ©Fotolia.com/Piotr Slizewski

Im Kommunionstreit gingen alle Seiten forsch nebeinander voran.

Theologische Argumente mit der Brechstange helfen nur wenig weiter. Denn es fehlt beiden Seiten nicht an theologischen Begründungsfiguren. Man sucht im theologischen Zitate-Fundus den rettenden Sicherungsanker, ist aber meilenweit von einer Problemlösung entfernt. Das Gezerre um Autoritäten kennt fast keine Grenzen. Bei diesem Gezanke würde sich ein Thomas von Aquin wohl im Grabe umdrehen: Gerade er, der betont hat, dass menschliche Autoritätsargumente die schwächsten aller Begründungen sind, würde auf seinem Samtkissen rotieren, dass man mühelos Strom erzeugen könnte.

Hier geraten theologische Kreativität und praktische Lösungsansätze oftmals an ihr Ende. Andererseits werden nicht selten dogmatische Grundmotive außer Acht gelassen. Letztlich bleiben doch nur Anschuldigungen für die jeweilige Gegenseite: Man liest etwa von Doppelmoral, ökumenischem Halbwissen, Fahrlässigkeit, theologischem Analphabetentum und Willkür, ekklesiologischem Nihilismus.

„Bei diesem Gezanke würde sich ein Thomas von Aquin wohl im Grabe umdrehen.“

—  Zitat: Andreas G. Weiß über aktuelle Debatten und Theologen

Das Glaubwürdigkeitsproblem wird neben diesen generalisierenden Unterstellungen besonders spürbar, wo man versucht, pastorale Handlungsformen, ökumenische Zielvorstellungen und dogmatische Lehrgehalte als Nullsummenspiel auszuspielen. Zugegeben, man kann nicht einfach kirchenrechtliche Probleme von systematischen Inhalten, biblischen Quellen und der praktischen Dimension trennen. Diese Feststellung dürfte in einer Glaubenshaltung, die sich auf die Einheit und gleichzeitige Katholizität ihrer Perspektiven beruft, trivial sein.

Theologische Fragen sind keine religiösen Luxusprobleme

Am Ende sind es konkrete Menschen und ihre Schicksale, die diese Fragestellungen gerade nicht zu einem Problem gelehrsamer Schreibstubenmentalität machen. Die existentiellen Anliegen dieser Personen, welche die Kernadressatenschaft christlicher Botschaft ausmachen, sind es, die das Problem zu einem bedrängen skandalon machen. Hier sollte man gemeinsam an einer praktikablen Lösung arbeiten, um den Menschen und ihrer Sehnsucht nach dem "Mahl des Herren" gerecht zu werden. Dies erfordert eine Haltung hochgekrempelter Ärmel, denn die Fragen sind keine religiösen Luxusprobleme. Es genügt dabei nicht, auf unumstößliche Positionen zu verweisen – die Geschichte der Ökumene ist besonders seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein Gegenbeweis. Erfolge wurden da nur im ehrlichen Verstehen erzielt, das das Gegenüber in seinen Anliegen ernst nimmt.

Hier gelangt man die fragile Existenz des Glaubens in einer Gemeinschaft, die selbst von der Differenz zwischen dem "schon" und "noch nicht" getragen ist. Es entspricht ihrer Berufung, die Botschaft Christi in der Welt sprachfähig zu machen, obwohl sie selbst noch nicht am Ziel angekommen ist. Sie befindet sich auf einem Weg, auf dem sie sich von Gott getragen und begleitet versteht. Diese Aufgabe verlangt ihr aber an unterschiedlichen Orten alles ab, was theologische Kreativität zu bieten hat.

Ein Priester liest in der Bibel.
Bild: ©Fotolia.com/Kozioł Kamila

Die Kirche ist berufen, die Botschaft Christi zu verkünden. Das verlangt ihr alles ab und fordert vor allem Authentizität.

Die Dogmengeschichte ist selbst voller theologischer "Notlösungen", die in Streitthemen nicht selten der Transzendenz Gottes Raum lassen müssen. Die Beziehung der Menschen zu Gott wird an Konfrontationen geschichtlicher Ereignisse ihrer theoretischen Selbstverständlichkeit entledigt. Hier wird auch die Theologie zu einem Wagnis, das sich selbst der Gnade Gottes anvertrauen muss. Die kerygmatische Sendung des Gottesvolkes erfordert geradezu, dass man sich an Orte stellt, sich Handlungen zumutet und Sprachweisen anlernt, die gerade nicht dem Eigenen entsprechen (vgl. Apg 17-16-34). Die Geschichte der Verkündigung wird auf diese Weise auch zu einer Bewährungsgeschichte, einer Konfliktgeschichte, die jedoch im Vertrauen auf den verbindenden Urgrund aller theologischen Rede immer eine Anstrengung wert ist – selbst wenn man dafür den sicheren Ort bewährter Argumentationsebenen verlassen muss.

Ohne Authentizität kann die Botschaft nicht verkündet werden

Dispute hat es dabei immer schon gegeben – sie sind auch in der Gegenwart und in Zukunft nicht auszuschalten. Jedoch werden sie zu einem bedrängenden Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie auf eine Weise ausarten, die eine fundamentale Wertschätzung des Gegenübers vermissen lässt. Dies betrifft die Sachlichkeit von Argumenten ebenso wie die fraglose Veröffentlichung oder Bloßstellung auf medialen Portalen. Natürlich, kein Christ muss sich einer Meinung enthalten und sollte diese auch verantwortungsvoll kundgeben dürfen. Dennoch ist der nötige Respekt allen Teilnehmern geschuldet. Als Glaubensgemeinschaft, die eine gemeinsame Hoffnung trägt, lebt die christliche Kirche in der Vielzahl ihrer Gemeinschaften von der Belastungsfähigkeit der eigenen Authentizität. An diesem Gradmesser entscheidet sich nicht zuletzt die Realisationsfähigkeit ihrer Botschaft, die von der Bedingungslosigkeit einer umfassenden Liebe zu zeugen hat.

Von Andreas G. Weiß

Zum Autor

Andreas Georg Weiß ist Theologe und Philosoph, theologischer Bereichsverantwortlicher und pädagogischer Bildungsreferent im Katholischen Bildungswerk Salzburg. 2018 wurde er im Fach Fundamentaltheologie an der Universität Salzburg mit der Arbeit "Der politische Raum der Theologie" promoviert.