Dem Terror ganz nah
Frage: Herr Büsch, was hat den Anschlag von Boston groß gemacht: Das Geschehen selbst oder die unzähligen Bilder und Videos, die die Welt unmittelbar daran hat teilhaben lassen?
Büsch: Eindeutig Letzteres. Das liegt an dem Konzept der Augenzeugenschaft. Dass die Welt bei solchen Anschlägen sofort informiert ist durch Text, Bild und Bewegtbild, das ist ein besonderes Phänomen des Web 2.0 und der Sozialen Medien. Facebook und Twitter geben den Ereignissen eine viel stärkere Dynamik, als wenn erst am nächsten Morgen etwas in der Zeitung steht. Der Zeitversatz, den die klassischen Medien hatten, fällt komplett weg.
Frage: Ist diese Aufmerksamkeit nicht genau das, was die Attentäter erreichen wollen?
Büsch: In ihrem medienethischen Impulspapier 'Virtualität und Inszenierung' hat die publizistische Kommission der Bischofskonferenz sehr treffend dargestellt, dass sich in den Medien alles mehr und mehr auf Bilder konzentriert. Journalisten stehen unter dem Zwang, Nachrichten schnell und visuell zu präsentieren. Sobald aber Berichterstattung erfolgt, wird eine Öffentlichkeit geschaffen, die natürlich im Sinne der Attentäter ist. Das ist das Kerndilemma jedes Journalisten. Die Feinjustierung kann nur darin bestehen, abzuwägen: Ab wann lasse ich Diskretion walten, wie vermeide ich Sensationsgieriges, Reißerisches? Zeige ich blutende Opfer, weinende Angehörige? Gar nicht zu berichten, kann aber nicht die Lösung sein.
Frage: Viele der Bostoner Videos stammen nicht von Journalisten, sondern von Privatleuten. Können sie abschätzen, was es bedeutet, solche Bilder in die Weltöffentlichkeit zu schicken?
Büsch: Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob den Menschen klar ist, welch große ethische Verantwortung sie da haben. Die Trennung zwischen den professionellen Absendern von Nachrichten einerseits und den Empfängern andererseits ist in den Sozialen Medien völlig aufgehoben. Jeder kann eine Öffentlichkeit herstellen. Das heißt aber auch: Eigentlich müsste sich dabei jeder - Journalisten und Nicht-Journalisten – nach ethischen Maßstäben verantwortlich verhalten. Und dann stellt sich die Frage: Muss ich denn unbedingt alles veröffentlichen und was ist die Motivation dahinter? Kritiker sagen, dass die Sozialen Medien eine Generation von Selbstdarstellern befördern. Zumindest das Potenzial dazu sehe ich, da die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Leben zum Teil aufgehoben ist.
Frage: Andererseits helfen die Videos und Fotos im Internet der Polizei ja auch bei ihren Ermittlungen...
Büsch: Aber bitte auch weiterhin nur in ganz klar umrissenen gesetzlichen Grenzen! Und da gibt es noch einigen Aushandlungsbedarf – das Thema Vorratsdatenspeicherung sehe ich zum Beispiel sehr kritisch. Auch die Publizistische Kommission verlangt im Papier 'Virtualität und Inszenierung', Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Polizeitätigkeit im Netz eindeutig festzulegen. Denn was ist bei technischen oder menschlichen Fehlern in der Auswertung? Ich möchte in keinem Staat der Welt als völlig Unschuldiger unter Terrorismusverdacht stehen!
Frage: Wie kann man das Medienverhalten auf Facebook und Twitter in geregelte Bahnen lenken? Wäre zum Beispiel ein regulierendes Gesetz überhaupt realistisch?
Büsch: Das wäre Unsinn. Kinder- und Jugendmedienschutz ist zwar sehr wichtig. Aber: Letztlich kann 'Verbieten' aus pädagogischer Sicht immer nur die zweitbeste Lösung sein. Sinnvoller ist es, den Menschen Bildung zu vermitteln und zu erklären – warum gehört Dieses oder Jenes nicht in die Öffentlichkeit, warum sollte man da vielleicht nicht noch mit der Kamera 'drauf halten'? Und man muss die Frage stellen: Warum veröffentlicht jemand so etwas? Das kann jugendliche Selbstüberschätzung sein, aber auch aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus entstehen: Jetzt habe ich auch mal etwas, das ich der Welt mitteilen kann.
Frage: Wie könnte diese Bildung konkret aussehen?
Büsch: Vom Kindergarten an bis ins hohe Alter sollten sich Menschen mit dem Thema beschäftigen. Denn die Herausforderungen werden sich andauernd verändern. Manche Experten sagen ja, die vierte Schlüsselkompetenz neben Lesen, Rechnen, Schreiben sei heute, die Medien angemessen nutzen zu können. Es ist also für alle Menschen – nicht nur für Kinder und Jugendliche - signifikant wichtig, sich mit Möglichkeiten und Herausforderungen digitaler Medien auszukennen. Die Kirche macht zum Beispiel in der Erwachsenenbildung sehr viele Angebote zur Vermittlung von Medienkompetenz. Wir haben bei der Clearingstelle Medienkompetenz dazu eine Datenbank eingerichtet, in die mittlerweile weit über 1.000 Angebote eingepflegt sind. Neben der Medienkompetenz und medienethischen Fragen müssen aber auch Rechtsfragen diskutiert werden, etwa Urheberrecht und Datenschutz. Das ist zwar eher unsexy, aber deswegen nicht weniger wichtig!
Das Interview führte Gabriele Höfling