Demenz in jungen Jahren
Eine Untersuchung beim Neurologen zeigte die für Alzheimerkranke typische Unfähigkeit, die zwölf Zahlen auf ein Zifferblatt und eine angegebene Uhrzeit einzuzeichnen. Die Computertomographie bestätigte die Diagnose Alzheimer. Die meisten der 1,2 Millionen Betroffenen sind wesentlich älter als Werner Dormer. Er gehört zur Minderheit der jungen Alzheimerkranken, zu der im Extremfall schon 30-Jährige zählen. Nach einer Studie am Universitätsklinikum Heidelberg sind nur 0,1 Prozent der unter 65-Jährigen erkrankt.
Dabei ist der eindeutige Beginn der Krankheit schwer festzustellen. Dem irreversiblen Verlust der Persönlichkeit und der völligen Unfähigkeit, den Alltag zu bewältigen, geht ein schleichender, sich über viele Jahre hinziehender Abbauprozess voraus. Es gibt aber auch andere Ursachen von Demenz wie Durchblutungsstörungen im Gehirn, Vitaminmangelsyndrome oder Schilddrüsenerkrankungen, die bei früher Erkennung medikamentös zu bessern sind. Da es auch bei einer Alzheimer-Erkrankung die Möglichkeiten gibt, den Verlauf wenigstens für ein paar Jahre zu verlangsamen, ist ein frühzeitiger Arztbesuch in jedem Fall angeraten.
Symptome nicht verdrängen, sondern Diagnose abklären
"Mögliche Symptome nicht verdrängen, sondern durch eine genaue Diagnose abklären", heißt die Devise, wenn schon in jungen Jahren eine Demenz-Erkrankung in Sicht kommt. Bei jüngeren Alzheimerkranken gibt es Probleme, die sich von denen älterer Alzheimerkranker im Rentenalter unterscheiden. Denn sie stehen noch mitten im Erwerbsleben und sind finanziell nicht durch eine Altersrente abgesichert.
Bis zur Rente fehlten Werner Dormer mindestens 16 Jahre. Die Frühverrentung brachte eine erhebliche finanzielle Last mit sich. Die beiden Kinder waren noch in der Ausbildung, gerade hatten sie für ihr Haus einen Kredit aufgenommen. Für Ehefrau Renate kam zu der Angst, Werner schon zu dessen Lebzeiten als Gegenüber zu verlieren, die Sorge um die finanzielle Sicherheit.
"Solange ich noch bei Verstand bin, will ich mitreden können", hatte Werner unmittelbar nach der Diagnose gesagt. In einer Familienkonferenz mit ihren beiden Kindern und Werners Schwester berieten deshalb alle, wer bei Werners fortschreitender Krankheit eine Betreuungsvollmacht bekommt. Auch ein Testament der Eheleute gibt es inzwischen. Diese rechtlichen Fragen sollten früh geklärt werden.
Um zumindest für ihre eigene Rente noch etwas zu tun, ging Renate Dormer in Teilzeit in ihren Beruf zurück. Nur in den ersten beiden Jahren konnte sie Werner stundenweise allein lassen. Heute, nach vier Jahren, bringt sie ihn an zwei Tagen in der Woche in eine Tagesbetreuung. "Wären wir schon in Rente, könnte ich diese Zeit nutzen, um mal auszuruhen", sagt Renate Dormer, die rund um die Uhr angespannt ist: "Als müsste ich ein kleines Kind versorgen."
In den meisten Fällen kein offener Umgang mit der Erkrankung
Unmittelbar nach der Diagnose nahmen beide gemeinsam an einer Studie der Uni Köln teil, in der die Wirkung von Sport auf Alzheimer untersucht wird. "Das hat uns gut getan. Dort haben wir andere jüngere Erkrankte getroffen, konnten uns austauschen, auch mal zusammen lachen - und der Sport hat Werners Koordinationsfähigkeit wahrscheinlich länger aufrechterhalten", resümiert Renate Dormer.
Anders als die Mehrheit der Betroffenen entschloss sich das Ehepaar, offen mit der Erkrankung umzugehen. Renate stellte bei vielen Freunden und Bekannten eine Mischung aus Betroffenheit, Hilflosigkeit und Scheu fest. Häufig muss sie selbst die Brücke schlagen und die Sprache auf Werners Erkrankung bringen. Mit ihrer Entscheidung, die Demenz-Erkrankung anzusprechen, gehört das Ehepaar zu einer Minderheit. Viele Familien ziehen sich aus Scham oder Unsicherheit zurück und bitten Nachbarn, Freunde und Bekannte nicht um Hilfe.
Fachleute raten jedoch, sich mit der Krankheit nicht zu verstecken. Für den Fall, dass das Verhalten eines Demenzkranken bei Fremden womöglich Anstoß erregt, empfiehlt die Alzheimer Gesellschaft, kleine Visitenkarten einzusetzen. "Mein Angehöriger ist verwirrt" - so oder ähnlich lautet der Text, mit dem man Fremde schnell und unauffällig informieren kann, ohne den Kranken bloßzustellen. Inzwischen hat Renate Dormer diese Karten stets dabei - ob beim Einkaufen, im Urlaub oder bei den seltenen Restaurantbesuchen. Denn Werner, der äußerlich fit wirkt, sorgt durch sein Verhalten oft für Befremden.
Ehefrau machte Ausbildung zur Demenzbegleiterin
Auch wenn ein Betroffener in der schwierigen Anfangsphase der Erkrankung sich dem Thema nicht stellen will, können Angehörige zumindest für sich selbst etwas tun. Renate Dormer machte eine Ausbildung zur Demenzbegleiterin.
Dennoch ist sie manchmal an den Rand ihrer Kräfte. Deshalb nimmt sie Hilfsangebot wie stundenweise Betreuung, ambulante Pflege oder Tagesbetreuung und Leistungen der Pflegekasse in Anspruch. Sogar eine einwöchige Auszeit hat sie sich "gegönnt". "Aber ich weiß nicht, ob ich noch mal allein verreise. Ich musste vorher genau planen, wer wann bei Werner ist - und ich habe täglich angerufen".
Vor der dem Versprechen "Du musst niemals ins Heim" hütet sie sich. Denn die Pflege kann sich gerade bei in jungen Jahren Erkrankten über viele, viele Jahre erstrecken. Renate Dormer hält es für verantwortungsvoller, Werner irgendwann in ein Heim zu geben, als womöglich selbst unter der Dauerbelastung krank zu werden und ihn nicht mehr gut versorgen zu können."Denn im Heim gibt es einen Schichtwechsel - zu Hause nicht", weiß sie. Und Abschied von ihm nimmt sie schon seit langem - jeden Tag ein Stückchen mehr.
Von Karin Vorländer (KNA)