"Den ganzen Menschen im Blick haben"
Frage: Diakon Rolf Faymonville, wie sind Sie dazu gekommen, im August als Olympiaseelsorger zu den Sommerspielen nach Rio de Janeiro zu fahren?
Faymonville: Das war überhaupt nicht geplant. In der Diakonkonferenz sagte der Personalleiter, er suche einen Seelsorger für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Da haben direkt einige Mitbrüder mich angeschaut und gefragt: "Wäre das nichts für dich? Du hast doch Affinität dazu, du warst schon in Brasilien, du kennst dich ein bisschen mit Sport aus und hast auch Erfahrung mit Krisenintervention und Notfallseelsorge." Für mich kam dieser Vorschlag überraschend, ich musste erst einmal darüber nachdenken. Aber als ich das dann zuhause meiner Familie erzählt habe, meinten meine zwei Söhne sofort, ich soll es machen. Auch meine Frau war einverstanden, also habe ich mich dann dafür entschieden.
Frage: Machen Sie denn selbst Sport?
Faymonville: Als Schüler habe ich mit dem Schwimmen in der Schulmannschaft begonnen. Ich schwimme auch heute noch, wenn auch nicht mehr so intensiv wie damals. Jedes Jahr mache ich außerdem mein Sportabzeichen mit Schwerpunkt Leichtathletik. Ich mache das gerne, einmal, um mich fit zu halten, aber auch, weil es mir Spaß macht.
Linktipp: Erzbischof Heße eröffnet Olympia-Kampagne
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat die bundesweite Olympia-Kampagne "Rio bewegt.Uns" eröffnet. Sie soll anlässlich der Olympischen Spiele 2016 in der brasilianischen Metropole die Lebenssituation der Menschen dort in den Blick nehmen.Frage: Und wo haben Sie Erfahrungen in der Notfallseelsorge gemacht?
Faymonville: Beim Malteserverband war ich viele Jahre für die Hospizarbeit verantwortlich und habe mitgeholfen, sie in Deutschland auf eine breite Basis zu stellen. Außerdem habe ich eine Ausbildung für schulische Krisenintervention gemacht und in diesem Bereich einige Einsätze gehabt. Ich wurde gerufen, wenn psychosoziale und seelsorgliche Begleitung notwendig war, etwa bei Amoklauf-Drohungen, dem Selbstmord eines Schülers oder dem Unfalltod eines Lehrers.
Frage: Sie sagten zu Beginn auch, Sie seien schon einmal in Brasilien gewesen. Wissen sie also, was in Rio auf Sie zukommen wird?
Faymonville: Ich war das erste Mal 1994 in Brasilien und habe dort die "Fazenda da Esperanca" kennengelernt. Das ist ein Jugend- und Drogenhilfeprojekt, das mittlerweile auf über 100 Bauernhöfen weltweit tätig ist und abhängigen Jugendlichen auf der Basis des christlichen Glaubens, der Gemeinschaft und der Arbeit einen neuen Lebensanfang schenkt. Die "Fazenda da Esperanca" ist eine ganz spannende Berufung, die Soziales und Spiritualität miteinander verbindet. Das hat mich fasziniert, ich habe im Projekt einige Zeit gelebt und mitgearbeitet. Dadurch kenne ich Brasilien auch etwas näher, aber seitdem wird sich einiges geändert haben. Ich hoffe, dass ich im August auch andere Hilfsprojekte kennenlerne und die Brasilianer vor Ort treffen kann.
Frage: Was wird Sie denn wohl von den Sportlern her erwarten?
Faymonville: Das ist gar nicht so genau kalkulierbar. Ich habe mich bereits mit meinem evangelischen Kollegen Thomas Weber über seine Erfahrungen unterhalten. Er war schon sechs Mal dabei. Wir planen, ökumenische Wortgottesdienste und vielleicht Morgenimpulse anzubieten. Natürlich gehören Gespräche dazu: Wir wollen für die Sportler einfach als Ansprechpartner da sein, die nicht nur auf die Leistungen und die sportlichen Ergebnisse sehen, sondern die den ganzen Menschen im Blick haben.
Gegebenenfalls ergibt sich auch durch eine Situation, in die die Sportler geraten, Gesprächsbedarf, wo Trauerarbeit nötig ist. Oder dass jemand in dieser Zeit einen Höhepunkt seiner sportlichen Laufbahn erlebt und sich dann nach den Wettkämpfen fragt, wie es weitergehen soll. Und, was wir gar nicht hoffen, worauf wir aber eingestellt sein müssen, ist, dass Extremfälle wie ein schwerer Sportlerunfall oder ein Attentat passieren können.
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Frage: Gerade viele Profisportler haben ja Mentaltrainer. Warum braucht man da noch einen Olympiaseelsorger?
Faymonville: Ein Mentaltrainer wird sich sicherlich um die richtige Einstellung des Sportlers und die psychologische Vorbereitung des Wettkampfes kümmern. Aber wenn es um persönliche Lebensfragen geht, wie man zum Beispiel sein Leben über den Sport hinaus ausrichten kann oder vielleicht auch, welche Rolle Gott im Leben spielt, da können wir Seelsorger sicher hilfreich sein – auch mit unserer eigenen Lebenserfahrung. Solche Fragen können mitunter auch durch Erfahrungen von Glück oder Trauer, die man ja bei den Olympischen Spielen erleben kann, ausgelöst werden. Da will der Sportler vielleicht nicht seinen Mentaltrainer fragen, sondern lieber jemanden, der mit ihm von außen auf seine Situation schaut und auch eine Perspektive des Glaubens mitbringt.
Frage: Zurzeit gibt es ja eine große Diskussion über Dopingfälle. Wie würden Sie damit umgehen, wenn Ihnen ein Sportler berichtet, dass er dopt?
Faymonville: Das ist eine schwierige Frage. Es ist natürlich nicht meine Aufgabe, Sportler zu verurteilen oder darüber zu werten. Wenn jemand Dinge, die Unrecht sind, tut, sollte er dazu stehen und die Konsequenzen übernehmen. Aber wenn er sich an mich als Seelsorger wendet, steht es mir nicht zu, zu sagen, dass er nicht antreten darf. Ich würde ihn dann fragen, wie er seine Lage selbst einschätzt und warum er mit der Fragestellung zu mir kommt. Ich würde also versuchen, ihm zu helfen, sich selber darüber klar zu werden, was er da tut, ob er das wirklich tun will und wie er damit leben möchte.
Frage: Wie bereiten Sie sich vor? Nehmen Sie etwas Besonderes mit?
Faymonville: Ganz praktisch werde ich meine Portugiesischkenntnisse auffrischen, um mich verständigen zu können. Dann werde ich verstärkt die Sportnachrichten im Vorfeld von Olympia anschauen. Mitnehmen werde ich meine Klarinette. Wenn es sich anbietet, kann ich damit auch Gottesdienste musikalisch gestalten. Ich habe bei meinem damaligen Aufenthalt in Brasilien schon erlebt, dass gemeinsames Musizieren schnell eine gemeinsame Kommunikationsbasis schaffen kann. Musik ist eben der Schlüssel zur Seele des Menschen. Auch viele gute Wünsche und Gebete von Freunden und Bekannten nehme ich mit. Das trägt mich, gibt mir Kraft und macht mir Mut, mich Situationen zu stellen, die man eben nicht im Voraus planen kann. Meine Frau und meine Kinder helfen mir sehr dabei. Ohne ihre Unterstützung könnte ich das nicht machen.