"Den Glauben nicht verbürgerlichen"
Frage: Während andere Klöster langsam aussterben, hat das Stift Heiligenkreuz so viele Ordensleute wie seit 700 Jahren nicht. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Heim: Die Umstände und Situation der Klöster sind in unserer multikulturellen Gesellschaft oft sehr unterschiedlich. Da einfach einen Vergleich zu ziehen, wäre unfair. Außerdem dürfen wir in Bezug auf Klöster nicht in den Kategorien von Erfolg und Misserfolg denken. Berufungen sind ja nicht eine Frage wirtschaftlichen Managements. Sie sind im Letzten eine Gnade, die wir uns nicht verdienen können und die wir nicht selber machen können.
Frage: Dennoch erlebt Heiligenkreuz einen beispiellosen Zulauf. So mussten Priesteramtskandidaten Ihrer Hochschule schon in Wohncontainern untergebracht werden, weil das Priesterseminar überlaufen war…
Heim: Lehre, Forschung und erlebbare Glaubenspraxis sind in unserer Hochschule stets aufeinander bezogen. Wir stehen in regem Kontakt mit anderen wissenschaftlichen Institutionen. 1975, zehn Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, haben wir unsere Hochschule für Priesteramtskandidaten verschiedener Diözesen und anderer Orden geöffnet. Nach der Wende von 1989/90 haben wir zudem Zisterzienser-Klöstern aus dem Osten, aus Böhmen und Ungarn, angeboten, ihren Nachwuchs kostenlos bei uns auszubilden. Heute nehmen wir Studierende aus Afrika, Lateinamerika und Asien bei uns auf. Das alles bringt uns neue Impulse und natürlich auch Zulauf. So haben wir 1988 in Bochum-Stiepel ein neues Priorat gegründet.
Frage: Und auf geistlicher Ebene?
Auf geistlicher Ebene versuchen wir, uns die Quellen, aus denen wir leben, immer neu zu erschließen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben wir das Chorgebet vollkommen umstrukturiert. Wir haben ein neues Stundenbuch geschaffen und dabei die Psalmen neu aufgeteilt. Es war eine unserer Antworten auf die Liturgiereform, denn das neue Brevier war eine riesige Herausforderung für unsere Gemeinschaft. Aber es hat für unser Glaubensleben so viel Innovation gebracht, dass wir auch heute, 50 Jahre danach, Kraft daraus schöpfen.
Frage: Könnte auch die Nähe zum emeritierten Papst Benedikt XVI. ein Erfolgsfaktor sein? Schließlich ist Ihre Hochschule nach ihm benannt …
Heim: Es wäre verfehlt, hier kurzfristig zu denken. Unsere Hochschule blickt auf eine 200-jährige Tradition zurück. Sie lebt – wie schon erwähnt – auch vom Austausch mit anderen Universitäten. Ein Mitbruder hat sich gerade in Wien habilitiert, andere machen das in Würzburg und Mainz. Gleichwohl hat Heiligenkreuz das päpstliche und bischöfliche Lehramt nie in Gegnerschaft zur Theologie gesehen, sondern immer als Befruchtung für Lehre und Forschung. Wir pflegen Treue und Gehorsam gegenüber dem jeweiligen Petrusnachfolger, heißt dieser nun Paul VI., Johannes Paul II. oder Franziskus. Und dass die Theologie von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. in eine geistige Weite führt, das kann ich selbst bezeugen, weil ich wissenschaftlich über ihn gearbeitet habe.
Frage: Sie haben gerade erst acht Novizen aufgenommen. Wie kommen Sie mit den jungen Menschen in Kontakt?
Heim: Junge Menschen werden von einer guten Gemeinschaft im Kloster angezogen und ziehen wieder andere junge Leute an. Daneben spielt die Präsenz in der virtuellen Welt, zum Beispiel auf Facebook, Twitter, YouTube und dem dortigen "Monastic Channel", für die Erstinformation eine wichtige Rolle. Wir haben jeden Tag rund 1.000 Besucher allein auf unserer Kloster-Homepage. Aber auch persönlich gehen wir auf junge Leute zu. So laden wir regelmäßig zu 'Kloster auf Zeit' mit persönlicher Begleitung ein. Der benediktinische Grundsatz, dem Gottesdienst nichts vorzuziehen, ist dabei für nicht wenige eine wertvolle Erfahrung. Dazu kommen weitere Angebote wie die monatliche Jugendvigil am Herz-Jesu-Freitag, zu der regelmäßig mehr als 200 junge Leute kommen, die eucharistische Anbetung, das Rosenkranzgebet, die Begleitung von Wallfahrten und geistliche Sportwochen. Unser Chorgebet im gregorianischen Choral ist für viele Menschen eine Tür zum Glauben. Auch unsere CD-Aufnahmen sind ein Impuls für viele.
Frage: Dem Stift Heiligenkreuz wird oft nachgesagt, eher Anziehungspunkt für konservativ geprägte Katholiken zu sein. Würden Sie das auch so beschreiben?
Heim: Der Glaube ist lebendig und bedarf stets der Erneuerung, des ‚Aggiornamento‘, wie Johannes XXIII. es formulierte. Unsere Kandidaten kommen aus unterschiedlichen Milieus, haben unterschiedliche Glaubens- und Bekehrungserfahrungen, gingen ganz unterschiedlichen Berufen nach. Das geht vom Zahntechniker bis zum Diplom-Geografen, vom Gymnasiallehrer bis zum Sozialarbeiter, vom Privatdozenten bis zum lndustriekeramiker. Es ist so breit gefächert – da von Konservativismus oder Traditionalismus zu sprechen, wäre eine Fehlinterpretation.
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Er ist der Abt von einem der erfolgreichsten Klöster im deutschsprachigen Raum: Der Zisterzienser Maximilian Heim leitet seit 2011 das Stift Heiligenkreuz im Wienerwald. Der 51-jährige Ratzinger-Preisträger erzählt im Interview mit katholisch.de über Chancen der erfolgreichen "Chant"-CDs von Mönchen des Stifts, seine Arbeit als Abt und wie das Kloster die Adventszeit begeht.Frage: Wie sieht die Zukunft der Klöster aus – müssen die Orden nicht ganz neue Wege gehen?
Heim: Die Zukunft der Klöster im Allgemeinen kann man nicht voraussehen. Es gibt in Europa auch heute durchaus Gemeinschaften, die junge Menschen anziehen. Notwendig bleibt aber ein Erneuerungsprozess. Die Kirche muss sich gegen eine zunehmende Verbürgerlichung des Glaubens wenden. In unserer Gesellschaft gibt es Heimatlosigkeit, Menschen sind auf der Flucht, Christen machen die Erfahrung, dass sie in ihrer Zeit fremd sind. Die Kirche muss darauf Antworten finden. Je bürgerlicher diese Antworten sind, desto weniger werden aber die Menschen davon angezogen. Es geht darum, die eschatologische Spannung in unserer pluralistischen Gesellschaft zu erhalten.
Frage: Was heißt das genau?
Heim: Wir müssen uns an das christliche Paradoxon erinnern, dass wir mitten in dieser Welt sind, aber nicht von dieser Welt. Selbstzufriedenheit oder auch ein zu großer Luxus sind da fehl am Platz. Der Apparat der Kirche darf nicht immer größer werden, während der Motor schrumpft. Nicht die Struktur ist das Wichtigste, sondern dass wir unser Christsein authentisch leben. Die Kirche darf die Welt nicht in ihrem Weltsein bestätigen, sondern wir müssen unbequem sein, als Sauerteig wirken. Eine in diesem Sinn 'entweltlichte' Kirche bedeutet nicht, dass sie weltfremd würde. lm Gegenteil: Sie ist weltoffen. Sie geht auf die Menschen zu, achtet sie als Ebenbild Gottes und bezeugt Jesus Christus in dieser Welt. lch glaube nicht, dass man die Leute dadurch abschreckt, dass man ein Leben führt, das alternativ ist zur bürgerlichen Gesellschaft. Unser Ordensgewand ist dabei ein Symbol, das unseren Auftrag der Gottes- und Nächstenliebe und der Treue zum Wort Gottes sichtbar macht.