Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich im Interview

"Der Glaube ist mein Anker"

Veröffentlicht am 23.03.2016 um 16:30 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Bonn/Leipzig ‐ Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist Katholik - so wie alle seine Vorgänger seit der Wende. Im Interview spricht er über seinen Glauben, den Umgang mit Pegida und den Katholikentag in Leipzig.

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Frage: Herr Tillich, was war Ihre spontane Reaktion, als das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sich für Leipzig als Austragungsort des 100. Deutschen Katholikentags entschieden hat?

Tillich: Ich habe mich richtig gefreut – als Katholik aber auch als Ministerpräsident verbinde ich damit für Leipzig und ganz Sachsen eine große Chance.

Frage: Gut 70 Prozent der Menschen in Sachsen gehören keiner Glaubensgemeinschaft an. Wie ernst nehmen die Menschen dort ein Glaubensfest wie den Katholikentag?

Tillich: Zunächst einmal hoffe ich sehr, dass es in Leipzig ein Fest des Glaubens wird. Bei ähnlichen religiösen Anlässen waren die Sachsen gute Gastgeber und neugierige, diskussionsfreudige Kirchenfestteilnehmer. Religion und Glaube sind vielen hier unbekannt. Das ist ein Erbe der DDR, die in dieser Hinsicht leider sehr gründlich war. Es gibt viel Unwissen in Sachen Religion, aber unbekannt muss nicht gleich ablehnend bedeuten.

Frage: Schon 1994 hat es einen Katholikentag in Sachsen gegeben, damals in Dresden. Sie waren  dabei. Welche Erinnerungen haben Sie?

Tillich: 1994 war ja der erste Katholikentag in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung, in einem Land und einer Stadt im Aufbruch, einer Gesellschaft in Transformation und einer Kirche mit neuer Freiheit und neuen Herausforderungen. Ich erinnere mich aber auch besonders gern an das Katholikentreffen 1987 mit 100.000 Teilnehmern in Dresden. Es war das einzige so große öffentliche Treffen von Katholiken in der DDR. Beide Ereignisse waren für mich eine Demonstration lebendigen Glaubens in diesem Teil Deutschlands. Die deutsch-deutsche Neugier aufeinander war greifbar. 1987 haben aber auch viele erfahren, was Unfreiheit bedeutet.

Bild: ©KNA

Papst Franziskus empfängt am 5. November 2015 den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) zu einer Audienz im Vatikan.

Frage: Wie hat sich Sachsen seit damals verändert?

Tillich: Wir haben gerade gemeinsam 25 Jahre Deutsche Einheit gefeiert. Für uns Sachsen bedeutet dies auch 25 Jahre Freistaat Sachsen. Seither hat sich eigentlich fast alles verändert, vieles wurde vom Kopf auf die Füße gestellt. Fragen Sie die Menschen hier. Das ist eine großartige Leistung, und zwar nicht nur im Hinblick auf neue Autobahnen oder Forschungsinstitute, sondern auch für Politik und Gesellschaft. Ich denke: Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ein Beispiel ist der konfessionelle Religionsunterricht. Er ist heute in Sachsen an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach mit Verfassungsrang. Die Einführung war nicht selbstverständlich, aber sie war richtig und wichtig.

Frage: Sie selbst sind Katholik. Wie stark bestimmt Ihr Glaube Ihr politisches Handeln?

Tillich: Mein Glaube gehört zu mir als Person, und deshalb kann ich ihn auch nicht an der Garderobe abgeben. Das gilt auch für die Politik. Es gibt für mich trotzdem keine "christliche" Politik, sehr wohl aber Politiker, die Christen sind, und deren Grundüberzeugungen für sie selbst und damit auch für ihre Politik eine Rolle spielen. Ich mache daraus kein Geheimnis. Ich bin der dritte sächsische Ministerpräsident, und alle drei sind katholisch. Das war also für die Sachsen nie ein Hindernis. Die Überschrift meines ersten Interviews als Ministerpräsident lautete: Der Glaube ist mein Anker.

Frage: Und welche Rolle nimmt der Glaube in Ihrem Leben ein?

Tillich: Er ist ein Teil meines Ich. Mein Glaube gehört zu meinem Alltag. Gott begleitet mich bei meinem Denken und Handeln. Der Glaube ist für mich eine Bereicherung.

Linktipp: 100tage100menschen.de

Am 25. Mai beginnt in Leipzig der 100. Deutsche Katholikentag. Mit 100 Geschichten über Menschen, die mit diesem Ereignis in Berührung kommen werden, stimmt die Internetseite 100tage100menschen.de darauf ein. Jeden Tag erscheint auf der Seite ein neuer Beitrag. Das Interview mit Stanislaw Tillich ist zuerst auf 100tage100menschen.de erschienen.

Frage: Sie stammen aus einer sorbischen Familie und sind in der sehr katholisch geprägten Lausitz aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie und was davon geben Sie an Ihre Kinder weiter?

Tillich: Ein Leben in Gemeinschaft, Geborgenheit und starkem Füreinander – das führte zu einer sorgenfreien Kindheit und Jugend für mich und unsere Kinder. Füreinander da sein, den Nächsten zu sehen und ihm zu helfen, wenn nötig – das meinen Kindern mit auf den Weg zu geben, war mir wichtig.

Frage: Im Programm des Katholikentags spielt der Dialog mit den Nicht-Glaubenden eine entscheidende Rolle. Wie kann die Kirche mit Menschen ins Gespräch kommen, für die Gott keine Bezugsgröße ist?

Tillich: Kirche ist doch nicht nur Kirche, sondern Alltag in der Kranken-, Altenpflege, in der Telefonseelsorge und vielen anderen Bereichen. "Kirche im Leben, lass uns über unseren Alltag sprechen" könnte das Motto auch heißen.

Frage: Welches Signal sollte Ihrer Meinung nach vom Leipziger Katholikentag ausgehen?

Tillich: Ich hoffe, dass der Katholikentag in Leipzig ein Fest der Begegnung wird, zwischen den Religionen, zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen und auch noch zwischen West und Ost. Gerade jetzt hoffe ich, dass er die Menschlichkeit unter uns stärkt.

Frage: Sie sind Ministerpräsident eines Landes, das mit Pegida in Dresden und Legida in Leipzig immer wieder negativ Schlagzeilen macht. Worüber sind diese Menschen so verärgert?

Tillich: Mittlerweile sind dazu Bücher und Studien verfasst worden. Alle beschäftigen sich mit Ursachen und Motivationssuche und kommen nicht zu der einen Erkenntnis. Es sind wohl viele Gründe und Motive, die die Menschen daran teilnehmen lassen. Mein Eindruck ist, dass es vor allem Ärger über die aktuelle Politik, Angst vor sozialen Veränderungen mit der Befürchtung persönlicher Betroffenheit und bei vielen auch Unsicherheit gegenüber Fremden bis hin zu Ausländerfeindlichkeit sind. Diese Negativschlagzeilen sind nicht gut für Sachsen. Daran gibt es überhaupt nichts herumzudeuteln. Ich halte es da mit der Bundeskanzlerin, die meinte, sie verstehe so manches, habe aber kein Verständnis dafür. Ich sage genauso deutlich: Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Sachsen ist nicht so. Im Gegenteil: Sie sind hilfsbereit und weltoffen, und viele gehen zum Beispiel bei der Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden an ihre persönlichen Grenzen, um zu helfen.

Themenseite: Katholikentag

In der Regel alle zwei Jahre finden Katholikentage statt - als nächstes vom 25. bis 29. Mai 2016 in Leipzig. Die Katholikentage verstehen sich als Foren des Gesprächs zwischen Kirche und Gesellschaft. Die Themenseite gibt einen Überblick über die katholisch.de-Berichterstattung zu den Katholikentagen.

Frage: Wie reagieren Sie auf diesen Ärger und was haben Sie vor, um die in diesen Demonstrationen teilweise radikal zutage tretende Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen?

Tillich: Wenn es bei den Demonstrationen zu Gewaltaufrufen, zu Fremdenhass und zu körperlicher Gewalt gegenüber Dritten kommt, dann sind für mich eindeutig Grenzen überschritten. Wer hetzt, wer zu Gewalt aufruft oder sie ausübt, der wird die Härte unseres Rechtsstaates zu spüren bekommen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und nicht auf der Straße. Auf der anderen Seite müssen wir Demonstrationen aushalten, auch wenn sie uns nicht gefallen, weil das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit im Rahmen bestehender Gesetze ein hohes Gut sind. Das ist ein schmaler Grat, aber sobald die Grenzen des Rechtsstaates überschritten werden, handeln wir auch. Was die aktuellen Sorgen vieler vor Überfremdung angeht, hilft vor allem eines: Begegnung. Ich sage es immer wieder: Wir sollten nicht übereinander, sondern miteinander reden. Umgekehrt gelten für alle, die zu uns kommen, unsere Werte und Gesetze. Da kann es ebenso wenig Abstriche geben.

Frage: Gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck haben Sie kürzlich in Bautzen an einer Diskussion mit Bürgermeistern aus der Region teilgenommen. Wie stark ist der Druck der Rechtsextremen tatsächlich vor Ort und wie kann die Landespolitik die Kommunen unterstützen?

Tillich: Rechtsextreme sind eine sehr kleine, aber leider sehr aggressive Gruppe, die für die Gesellschaft ein großes Problem darstellt. Die aktuelle Stimmungslage in Teilen der Bevölkerung und die Hetze, die bei zu vielen Veranstaltungen derzeit ausgedrückt wird, scheint die Extremisten zu ermutigen, ihrer Verrohung im Denken auch beschämende Taten folgen zu lassen. Die Staatsregierung wird daher den Kampf gegen den Extremismus verstärken: durch eine starken Staat und eine aktive Bürgergesellschaft. Mit mehr Polizei, einer stärkeren Justiz und neuem Engagement in der politischen Bildung wollen wir hier ansetzen. Zudem sollen die Initiativen vor Ort mehr Geld bekommen – zum Beispiel über das Programm "Weltoffenes Sachsen." Damit, mit unseren Vorhaben für eine gelingende Integration und mit anderen Maßnahmen, zum Beispiel dem 800-Millionen-Investitionsprogramm "Brücken in die Zukunft", helfen wir den Kommunen, ein gutes Lebensumfeld zu schaffen und damit hoffentlich auch eine Zustimmung zu unserem demokratischen System und einen respektvollen Umgang miteinander. Denn darin sehe ich die noch größere Aufgabe: Das Bekenntnis zur Demokratie und das gesellschaftliche Engagement zu verbessern, denn damit stärken wir insgesamt die Abwehrkräfte gegen alles Extreme und Radikale. Das war auch das Thema mit dem Bundespräsidenten in Bautzen.