Irakischer Erzbischof zur Lage der Christen in seiner Heimat

"Der IS verhandelt nicht"

Veröffentlicht am 20.09.2016 um 12:50 Uhr – Lesedauer: 
Vollversammlung

Fulda ‐ Es dauere nicht mehr lange, bis auch die letzten Christen aus dem Irak vertrieben seien, warnt der irakische Erzbischof Bashar Warda. Als Ausweg sieht er nur noch eine Option.

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Mit den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten ab 2006 hat alles angefangen. Seitdem schrumpft die Zahl der Christen im Irak drastisch. Einige wurden ermordet, viel mehr jedoch sind auf der Flucht. Seit 2014 hat sich die Situation mit dem Erstarken des Terrors – vor allem durch den Islamistischen Staat (IS) – weiter verschärft.

Christen im Irak bald Geschichte?

"Im Jahr 2003 hat es noch 1, 5 Millionen Christen im Land gegeben. Mittlerweile ist die Zahl aber auf unter 300.000 gesunken", sagt Bashar Warda. Der Erzbischof der chaldäisch-katholischen Erzeparchie Erbil berichtet am Dienstag auf der Vollversammlung der Deutschen Bischöfe von der Situation seiner Gläubigen im Nordirak. Er spricht davon, dass die Zahl der Christen im Irak weiter sinken wird – und zwar sehr schnell. Deshalb sei keine Zeit mehr für Worte. Stattdessen brauche es konkrete Maßnahmen, so Warda. "Die nächsten Monate entscheiden darüber, ob es künftig noch christliches Leben im Irak gibt oder ob wir bald nur noch Teil historischer Studien sind."

Bashar Warda im Porträt
Bild: ©katholisch.de

Der Erzbischof der chaldäisch-katholischen Erzeparchie Erbil, Bashar Warda.

Der Erzbischof ist nicht der erste hochrangige Kirchenvertreter aus dem mittleren Osten, der der internationalen Gemeinschaft Untätigkeit vorwirft. So veröffentlichten der syrisch-orthodoxe Patriarch Ignatius Aphrem II. und sein syrisch-katholischer Amtsbruders Patriarch Ignatius Youssef III. Younan bereits Mitte Juni eine gemeinsame Erklärung, in der sie von einem "ethno-religiösen Völkermord" an den Christen sprachen. "Zwei Jahre nach dem Unglück, das über unser Volk gebracht wurde, bleiben die entscheidungstragenden Länder und die internationale Gemeinschaft still und inaktiv angesichts der ethnischen Säuberung eines historischen Volks, das die Zivilisation dieser Gegend begründet hat", so die Patriarchen damals.

Ein Völkermord?

Das, was die Kirchenoberhäupter "Unglück" nennen, ereignete sich am 10. Juni 2014. An diesem Tag hatten islamistische Kämpfer das nordirakische Mossul sowie Teile der Ninive-Ebene erobert und Zehntausende assyrische Christen zur Flucht gezwungen. In der Folge zerstörten sie Kirchen, Klöster sowie archäologische Stätten und beschlagnahmten christliches Privateigentum. Bis heute halten Terror und Flucht an. Mittlerweile sprechen nicht nur Kirchenvertreter aus dem mittleren Osten, sondern auch westliche Hilfswerke und das US-Außenministerium von einem "Völkermord".

Doch es gibt auch Gegenstimmen. Der im Nordirak lebende katholische Priester Jens Petzold etwa sieht derzeit keine "systematische Ausrottung" von Christen. Ja, die Lage der christlichen Binnenflüchtlinge im Irak sei "schlimm". Die etwa 150.000 Christen hätten "Hals über Kopf" ihre Siedlungen in der Ebene von Mossul verlassen müssen. Dieses Schicksal teilten sie aber "mit einer mehr als zehnmal so großen Zahl von Muslimen und Jesiden", sagte Petzold der Frankfurter Rundschau im Juni.

Muslime seien vom IS als "Abtrünnige"' behandelt und wahllos ermordet worden, so Petzold, der im Kloster Deir Mariam Al-Adhra in der nordirakischen Stadt Suleimaniya lebt. Christen hingegen habe man nach der Einnahme der Stadt Mossul vor die Wahl gestellt, eine Art Schutzgeld zu zahlen, um bleiben zu können oder die Gegend zu verlassen. Das sei den Muslimen und Jesiden nicht vergönnt gewesen.

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Video: © katholisch.de

Die Christen haben eine Zukunft im Irak, ist Erzbischof Bashar Matti Warda überzeugt. Doch das werde nicht ohne Hilfe aus dem Westen gelingen.

Erzbischof Warda sieht das anders. Bei der Vollversammlung in Fulda betont er: "Es ist eindeutig ein Genozid." Deshalb sehe er keine andere Möglichkeit, als eine Militäroperation, um die betroffenen Landstriche im Norden Iraks zu befreien. "Der IS verhandelt nicht. Die einzige Sprache, die er versteht, ist der Krieg."

Eine Militäroperation sei noch der "einfachste Teil", bevor man im Irak wieder zu einem normalen Leben zurückkehren könne. Davor brauche es noch weitere Maßnahmen. Zuerst sei eine würdevolle Unterbringung notwendig. Aktuell lebten viele Binnenflüchtlinge – allein etwa 10.000 christliche Familien in Erbil – in Wohnwagen oder unfertigen Wohnungen. "Man braucht eine sichere Unterkunft, um die einfachen Freuden einer Familie zu teilen". Darüber hinaus müssten das Bildungssystem ausgebaut, der Arbeitsmarkt gestärkt und die gesundheitliche Grundversorgung verbessert werden.

"Aktuell bauen wir ein Krankenhaus für Schwangere. Es ist das erste im kurdischen Nordirak", berichtet Warda. Dass das überhaupt möglich ist, verdanken die Menschen auch den Geldern der katholischen Kirche in Deutschland. "Seit August 2014 habt ihr uns die Hand gereicht und uns unterstützt. Dafür möchten wir uns bedanken", sagt Warda. Man habe aus Deutschland "mehr Geld erhalten, als aus allen anderen Ländern zusammen". Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz flossen allein im vergangenen Jahr etwa 42 Millionen Euro zur Unterstützung pastoraler und sozialer Projekte in den Nordirak.

Islamischer Staat als "Teufel"

Der Erzbischof aus Erbil betet dafür, dass die Unterstützung weiter anhält. "Sie hilft uns dabei, als Volk weiter Teil des Iraks zu bleiben und nicht Teil der Last Europas zu werden", sagt er mit Blick auf die Flüchtlingskrise des Westens. Er hoffe, dass der "Teufel" Islamischer Staat bald vernichtet werde. Doch auch danach sei man weiter auf Nordamerika und Europa angewiesen. "Bitte vergessen sie uns nicht, bitte bleiben sie solidarisch", fleht der Erzbischof.

Priester: Kein Genozid an Christen

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Von Björn Odendahl