Der "wilde Mann" und sein Glaube
Frage: Herr Heek, glauben Männer anders als Frauen?
Andreas Heek: Darüber wird viel diskutiert. Ich bin überzeugt, dass Männer und Frauen nicht an etwas anderes glauben, aber auf andere Art ihren Glauben ausdrücken. Meines Erachtens haben Männer einen stärkeren Zugang dazu über die Selbsterfahrung im Sinne von körperlicher Arbeit. Sie wollen ihren Körper bei sportlichen Aktivitäten im Freien spüren, bei denen sie richtig ins Schwitzen kommen. Frauen würden dann vielleicht eher Yoga machen, wobei auch immer mehr Männer mittlerweile Yoga praktizieren. Aber abgesehen davon sagen viele Männer, dass es ihnen guttut, sich mit ihren Geschlechtsgenossen auszutauschen und nur unter sich miteinander ins Gespräch zu kommen. Das Gleiche würden Frauen sicherlich auch von sich sagen.
Frage: Gibt es darum die Männerseelsorge?
Heek: Die Männerseelsorge gibt es seit den 1930er Jahren. Damals trafen sich in Fulda zum ersten Mal Männer aus ganz Deutschland, um dem Mann auch in der Nazizeit eine Ethik der katholischen Werte mitzugeben. Diese Männer engagierten sich hauptsächlich traditionell in Gebetsgemeinschaften, aber auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht, auch und gerade dann in der Nachkriegszeit. Mitte der 1980er wandelte sich das: Es gab zum Beispiel eine Öffnung im Hinblick auf Väter-Kinder-Arbeit und die Selbstfindung des Mannes.
Frage: Es gibt einige Bücher, die sich mit der Natur der männlichen Frömmigkeit auseinandergesetzt haben – das bekannteste ist sicherlich "Der ungezähmte Mann" von John Eldredge. Warum braucht ein Mann Bestärkung in seiner "wilden" Identität?
Heek: Ich finde es nicht unbedingt nötig, sich in der Männerarbeit so stark auf die Entdeckung der eigenen "Wildheit" zu fokussieren. Es sollte dabei eher um eine Männlichkeit gehen, die mit dem eigenen Empfinden übereinstimmt. Und die kann sehr unterschiedlich sein: Nicht jeder Mann möchte in die Wildnis. Natur ist daher zwar ein wichtiges Element, aber in der Seelsorge arbeiten wir nicht nur mit männlichen Archetypen, sondern auch mit der Vermischung von Rollenbildern, wie sie in der Gesellschaft vorkommen.
Frage: In Frankreich gibt es Angebote, die in genau die entgegengesetzte Richtung gehen: Verschiedene katholische Gemeinschaften bieten Männer-Camps an, in denen gemeinsam Sport und Lagerfeuer gemacht und gebetet wird. Der Tenor: Männer sollen ihre wilde Natur wiederfinden, die ihnen aberzogen wurde. Macht sie das zu besseren Männern?
Heek: Da muss man aufpassen, denn das kann in eine Richtung gehen, die wir von der katholischen Männerarbeit nicht befürworten können – zum Beispiel, dass aus der Entdeckung der eigenen männlichen Wildheit abgeleitet wird, dass Männer sich stärker von Frauen abgrenzen sollen. Gerade bei den Initiationsritualen, die in diesen Kreisen für Jungen veranstaltet werden, schwingt für mich diese Abgrenzung mit. Das kann dann unterschwellig die Idee der Vorherrschaft des Mannes über die Frau generieren, so, als würde man zurückspringen in die Zeit vor der Emanzipation. Aber darum geht es uns ja nicht, im Gegenteil: Wir wollen uns im Hier und Jetzt um Kommunikation und ein gutes Miteinander bemühen.
Frage: Hipster-Papa in Elternzeit oder Kerl mit Sixpack und schnellem Auto: In der Gesellschaft gibt es verschiedene Männlichkeitsbilder. Wie steht die Kirche dazu? Hat sie ein eigenes Bild vom Mann?
Heek: Das kann ich nicht ausmachen. Es gibt keine Vorgabe für Männer, die man aus dem christlichen Kontext ableiten könnte. Wir gehen in der Männerarbeit ja nicht von Konstrukten, sondern stark von der Wirklichkeit aus. Außerdem wollen wir den Männern keine Vorschriften machen, sondern dieser Vielfalt an Lebensentwürfen mit unserem Angebot entsprechen. Andersherum sind wir gerne die Lernenden und fragen, wie die Männer denn ihre Form von Männlichkeit leben. Interessanterweise machen wir uns für viele Männer durch unser Familienangebot bekannt. Das sind meist Väter, die klagen, dass sie zu wenig Zeit für ihre Kinder haben. Bei unseren Vater-Kind-Angeboten bedienen wir genau das – und die Männer können sich mit Gleichgesinnten austauschen und lernen uns kennen. Danach überlegen sich viele, auch mal einen Kurs für sich selbst zu machen.
Frage: Wie ist das denn mit Jesus? Taugt der als Vorbild für Männer? Und spielt es eine Rolle, dass er ein Mann war?
Heek: Jesus ist nicht wie andere Göttergestalten heldenhaft, sondern im Gegenteil: Er wird getötet und stirbt als Opfer von Intrigen und politischen Ränkespielen. Insofern eignet er sich nicht als typischer Held. Und er hat viele Schattierungen. Er zeigt seine väterlichen Züge, in dem er ein Kind in den Mittelpunkt stellt und sagt: Werdet wie Kinder, dann könnt ihr ins Himmelreich kommen. Und dann ist da die Bergpredigt, die ich als Kritik an einer hegemonialen Männlichkeit lese. Sie ist durchzogen mit der Aufforderung nach Abrüstung, im verbalen wie im körperlichen Sinne. Das sind Dinge, die er den Männern mit auf den Weg gibt. Gleichzeitig ist Jesus besonders mutig und lässt sich den Mund nicht verbieten. Wo er die Wahrheit entdeckt hat, da vertritt er sie auch und ist kein Leisetreter. Diese vielen Facetten können Männer Schwierigkeiten machen, aber ihnen gleichzeitig auch zum Vorbild gereichen – gerade heute, wo es darum geht, eben keine klischeehafte Männlichkeit zu entwickeln, sondern wo von Männern erwartet wird, dass sie sich authentisch und individuell verhalten. Übrigens macht diese Vielschichtigkeit Jesus auch zu einem guten Vorbild für Frauen.
Frage: Frömmigkeit wurde in der Geschichte oft als weibliche Tugend angesehen. Wie geht das in der Männerarbeit zusammen?
Heek: Leider ist es heute so, dass überwiegend Frauen für die Weitergabe des Glaubens zuständig sind. Männer fehlen meist in der Gemeindearbeit, nur wenige sind dort engagiert. Die Katechesen zum Beispiel halten fast ausschließlich Frauen. Und es sind auch die Frauen, die bei der Hochzeit bestimmen, wie zum Beispiel der Ablauf ist. Ich finde es sehr schade, dass die Männer das delegieren. Weitergabe und Gestaltung des Glaubens sind ja nicht nur Frauensache, die Männer sollten ihren eigenen Beitrag dazu leisten. Dazu gibt es auch ein Vorbild in der Bibel: Josef, der Vater von Jesus. Man kann davon ausgehen, dass er es war, der Jesus unterrichtet und ihn in seine Rolle als Mann eingeführt hat. Dabei wird er auch seinen Glauben an Jesus weitergegeben haben.
Frage: Aktuell wird viel über Geschlechtergerechtigkeit diskutiert. Inwiefern beeinflusst der Feminismus Ihre Arbeit?
Heek: Das spielt in der Tat eine Rolle, denn wir suchen ja nach authentischem Mannsein. Die Familienpolitik setzt ganz stark darauf, dass Männer sich mehr um Familie und das Häusliche kümmern, damit die Frauen die Möglichkeit haben, sich beruflich zu entwickeln und Karriere zu machen. Aber wenn dieser Lebensentwurf zu einer Norm wird und Männer gar nicht mehr die Wahl haben, ob sie diesen Weg gehen möchten, dann fühlen sie sich unter Druck gesetzt. Das kann dazu führen, dass diese Männer für Populisten empfänglich werden, die sagen, dass man seine kernige Männerseite raushängen lassen muss, damit man gegen die Frauen eine Chance hat. Einige Forderungen des Feminismus sind bestimmt berechtigt, aber viele Männer wollen eben ihren individuellen Teil zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen und nicht gegängelt oder gedrängt werden.