Deutschland altert
Die Deutschen werden immer älter. Wie lauten die Prognosen der Bevölkerungsforscher für die Bundesrepublik?
Neugeborene Mädchen haben heute eine Lebenserwartung von 82 Jahren und 9 Monaten, neugeborene Jungen von 77 Jahren und 9 Monaten. Seit 1900 ist die Lebenserwartung um mehr als 30 Jahre angestiegen. Experten erwarten weitere Steigerungen.
Wie wird sich die Bevölkerungszahl in den kommenden Jahrzehnten verändern?
Die Zahl der Geburten in Deutschland erreichte mit 663.000 Kindern im Jahr 2011 einen Tiefststand seit dem Zweiten Weltkrieg. Da auch die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter weiter sinkt und sich die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau zuletzt kaum verändert hat, rechnen manche Experten mit weiter sinkenden Geburtenzahlen. Offen ist, wie sich die Einwanderungszahlen entwickeln. Jüngsten Bevölkerungsschätzungen des Statistischen Bundesamtes zufolge dürfte Deutschland bis 2030 mehr als vier Millionen Einwohner verlieren, bis 2050 sogar etwa 14 Millionen. Dann dürften deutlich weniger als 70 Millionen Menschen in der Bundesrepublik leben.
Mit dem Bevölkerungsrückgang ist auch eine Alterung der Gesellschaft verbunden. Wie wird sich das statistisch auswirken?
In Deutschland lebten 2009 rund 82 Millionen Menschen, von denen rund 17 Millionen 65 Jahre oder älter waren. 2030 werden voraussichtlich 29 Prozent der Bevölkerung oder 22 Millionen mindestens 65 Jahre sein. Ihren höchsten Wert wird die absolute Zahl der Menschen jenseits der 65 mit 24 Millionen bis Mitte der 2030er Jahre erreichen. Anschließend verringert sich ihre Zahl bis 2060 auf 22 Millionen.
Für die Wirtschaftskraft Deutschlands wichtig ist auch das Arbeitskräfte-Angebot. Wie lauten auf diesem Feld die Herausforderungen?
Die Zahl der erwerbsfähigen Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren könnte nach Prognosen bis 2050 von 53,5 auf 38,6 Millionen schrumpfen, also um rund ein Drittel. Damit stehen künftig deutlich weniger Personen im erwerbsfähigen Alter zur Verfügung, um die Personen zu versorgen, die noch nicht oder nicht mehr arbeiten. Im vergangenen Jahrzehnt ist es allerdings gelungen, trotz schwindender Bevölkerungszahlen die Zahl der Beschäftigten um zwei Millionen zu erhöhen, vor allem durch die wachsende Erwerbsarbeit von Frauen, aber auch durch Einwanderung. Die Erwerbsquote, also der Anteil der Arbeitenden und Arbeitssuchenden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter, stieg seit Beginn des Jahrtausends von weniger als 75 Prozent auf mehr als 80 Prozent. Auch durch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters könnte die Zahl der Erwerbstätigen erhöht werden. Umstritten ist, ob der demografische Wandel das Wirtschaftswachstum bremsen wird, weil die Produktivität einer alternden Bevölkerung nachlassen könnte.
Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf die Sozialsysteme?
Seit 1957 wird die Rente nicht mehr durch das Kapitaldeckungsverfahren, sondern durch das sogenannte Umlageverfahren organisiert. Das bedeutet, dass die heutigen Beitragszahler ihre Einzahlungen im Ruhestand nicht als Rente wiederbekommen, sondern ihre eingezahlten Beiträge werden im gleichen Jahr in vollem Umfang an die Ruheständler als Renten ausbezahlt. Das bedeutet, dass die arbeitende Bevölkerung erheblich größere Lasten zur Versorgung der jungen und alten Generation schultern muss. Alternativ dazu wäre eine verstärkte private Absicherung jedes Einzelnen.
Wie wird sich der demografische Wandel auf das Wohnen und den Städtebau auswirken?
Der wachsende Anteil älterer Menschen erfordert erhebliche Investitionen in den Wohnungsbau. Gefordert sind altengerechte Privatwohnungen, aber auch neue Wohnformen und Unterstützungsleistungen. Damit alte Menschen möglichst lange zu Hause leben können und Kontaktmöglichkeiten behalten, müssen Städte und Gemeinden Wohnviertel umgestalten, Verkehrsinfrastruktur erhalten und Serviceangebote entwickeln. Altenheime und Krankenhäuser müssen sich auf eine wachsende Zahl pflegebedürftiger und dementer Personen einstellen.
Wie wird sich der demografische Wandel regional auswirken?
Nach einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sind besonders die ländlichen Gebiete vom Bevölkerungsrückgang betroffen. Je kleiner die Orte und je weiter sie von großen Städten entfernt sind, desto schwieriger werde die Lage. Zahlreiche Dörfer sind nach Einschätzung der Wissenschaftler in ihrer Existenz gefährdet. Aber auch Städte in weniger attraktiven Gebieten bekommen Probleme: Durch die demografische Entwicklung gehen auch Steuern und Abgaben zurück; die Kosten für Infrastruktur wie Wasser, Müllentsorgung und öffentlichen Nahverkehr nehmen zu. Immobilien verlieren massiv an Wert.
Von Christoph Arens (KNA)