Deutschland nach Köln - ein anderes Land?
Der Bahnhofsvorplatz ist jetzt berühmt. Die körnigen, verschwommenen Handybilder aus der Silvesternacht sind um die Welt gegangen. Der Symbolwert könnte kaum größer sein: Vorne die jungen, schwarzhaarigen Männer, die Feuerwerk in die Menge schießen - im Hintergrund die Portale, Fenster und Strebebögen jener Kathedrale, die wie kaum ein anderes Bauwerk für das christliche Abendland steht. Ein Herzstück von Deutschland in der Hand eines fremden Mobs - so erscheint es zumindest auf den Bildern.
"Das ist nicht mehr das Deutschland, das ich kenne", sagt eine Frau, nachdem sie sich die Plakate angesehen hat. Dass der Bahnhofsvorplatz zu einem rechtsfreien Raum wird, dass der Staat seine Bürger an einer so zentralen Stelle nicht schützen kann, das ist eine neue Erfahrung. Neu ist auch, dass sich rechte Schläger im Internet verabreden, um rund um den Bahnhofsvorplatz Ausländer zu jagen. Wäre die Polizei diesmal nicht so massiv aufgetreten und hätte es nicht ziemlich heftig zu regnen begonnen - es wäre wohl nicht bei drei Verletzten geblieben.
Verändertes gesellschaftliches Klima
Das neue Jahr ist gerade mal ein paar Tage alt, und doch hat sich das gesellschaftliche Klima im Vergleich zu 2015 schon nachhaltig verändert. Man kann das daran ablesen, dass in Pressemitteilungen der Polizei aus ganz Nordrhein-Westfalen nun auffallend oft die Nationalität der Tatverdächtigen genannt wird. Vorher war das kaum der Fall. Köln scheint qualitativ etwas verändert zu haben.
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Die Vorfälle der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof haben die Republik in Aufruhr versetzt. In den Tagen nach dem Bekanntwerden der Verbrechen erhob sich eine aufgeregte Debatte über die vermeintlichen Täter. In vielen Kommentaren entlud sich Ablehnung und Hass gegen Ausländer, insbesondere Muslime. Im Interview mit katholisch.de berichtet der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, wie er diese Situation erlebt."Ich glaube, die Deutschen bekommen jetzt den Schreck, den wir vor 15 Jahren bekommen haben", hat der Bürgermeister von Amsterdam, Eberhard van der Laan, dazu gesagt. Damals erlebte das bis dahin als liberal bekannte Land den plötzlichen Aufstieg des Rechtspopulisten Pim Fortuyn, der aussprach, was viele dachten, aber nicht zu sagen wagten. Fortuyn wurde ermordet, aber der Rechtspopulismus ist seitdem eine feste Größe im Nachbarland, und der öffentliche Sprachgebrauch hat sich dort völlig verändert. Man darf sich bloß nicht dem Verdacht aussetzen, etwas beschönigen zu wollen.
Im Kölner Multikulti-Viertel Ehrenfeld mit der großen Zentralmoschee diskutieren klassische Grünen-Wählerinnen nun darüber, ob man als Frau abends überhaupt noch allein nach draußen gehen kann. In Frank Plasbergs ARD-Talkshow "Hart aber fair" kam am Montagabend die "Machokultur" patriarchalisch geprägter Länder des Orients zur Sprache.
Hajo Funke, ein anerkannter Rechtsextremismus-Forscher aus Berlin, kann sich vorstellen, dass über Themen wie Islam und Zuwanderung künftig offener diskutiert wird - ohne Verschleierung. "Aus jeder Krise kann etwas Besseres entstehen", sagt er. Nur: Es dürfe keine Schwarz-Weiß-Malerei betrieben werden. "Wenn man eine bestimmte Gruppe unter Generalverdacht stellt, ist man schnell ganz nahe am Rassismus, so wie wir es aus der Geschichte vom Antisemitismus kennen. Wenn man also jetzt sagt: 'Da sehen wir's ja, die Muslime sind eine Machokultur, die potenzielle Vergewaltiger züchtet' - das ist Quatsch. Ich kenne viele Muslime, und ich weiß, dass sie natürlich ein anderes Frauenbild haben, aber die allermeisten von ihnen sind gleichwohl höflich und achten die Sphäre der Frau."
Ross Douthat, ein konservativer Kommentator der "New York Times", sieht "Deutschland auf der Kippe". Fest steht: Die Politik ist nun gefragt, sie muss eine Antwort auf die zunehmende Verunsicherung finden. "Wenn es gelingt, zumindest einen Teil der Versprechen der Bundesregierung umzusetzen, dann wird es zwar weiter die Pegida und die AfD geben, aber insgesamt bleibt die Entwicklung kontrollierbar", meint Funke.
Parteienforscher: Politik sollte ehrlich sein
Der Parteienforscher Gero Neugebauer rät den Politikern vor allem zur Ehrlichkeit. Dazu gehört für ihn zu sagen, dass der Staat aufgrund der beschränkten Ressourcen der Polizei eine Wiederholung der Kölner Ereignisse nicht völlig ausschließen kann. "Politiker wie Frau Merkel meinen, die Komplexität von Politik ist etwas, das die Bürger überfordert, und teilen ihnen deshalb lieber die einfachen Botschaften mit. Doch solange das geschieht, werden viele Bürger der Auffassung sein, dass das, was ihnen mitgeteilt wird, sowieso nicht stimmt."
Shady Chaaban, ein 29 Jahre alter Syrer aus einem Flüchtlingsheim bei Köln, will nicht als Macho betrachtet werden und noch weniger als Straftäter. Zusammen mit Freunden verteilt er Flugblätter auf dem Bahnhofsvorplatz. "Wir, Männer aus Syrien, verurteilen die Übergriffe gegenüber Frauen (...) auf das Schärfste", steht darauf. "Wir bedanken uns bei allen Menschen in Deutschland. Wir werden uns Ihres Engagements und Ihrer Hilfe würdig erweisen."