Deutschland vor dem Bruch mit dem Grundgesetz
Die "Ehe für alle" wird kommen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel lieferte selbst die entscheidende Ankündigung: Am Dienstag erklärte sie den Abgeordneten der Unions-Bundestagsfraktion, ihnen die Entscheidung freizustellen. Damit endet die kategorische Absage an die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Zivilehe durch die Christdemokraten. Danach überschlugen sich die Ereignisse. Der Koalitionspartner SPD griff den Kurswechsel der Kanzlerin dankbar auf und setze die Abstimmung umgehend auf die Tagesordnung. Am Freitag war es dann soweit und der Bundestag fällte seine ebenso erwartete wie historische Entscheidung.
Auf einer Stufe mit knallharten ethischen Fragen
Das ist der Stand der politischen Debatte. In der Zivilgesellschaft ist die Gemengelage hingegen längst nicht so eindeutig, wie Befürworter der "Homo-Ehe" es gerne darstellen. Dem trug die Kanzlerin Rechnung, indem sie sich im Bundestag eine "Gewissensentscheidung" wünschte. Denn damit hob sie das Thema auf eine Ebene etwa mit den Debatten um assistierten Suizid oder den Embryonenschutz. Auch damals stellten die Fraktionen den Abgeordneten die Entscheidung frei. Und niemand würde abstreiten, dass es dabei um knallharte ethische Fragen ging – und wir täten gut daran, auch die Entscheidung zur "Ehe für alle" nicht zu leicht zu nehmen.
Linktipp: Marx bedauert mögliche Auflösung des Ehebegriffs
Am Freitag hat der Bundestag über die "Ehe für alle" entscheiden. Bereits vorab warnten Kardinal Marx und andere deutsche Bischöfe: Mit der Gesetzesänderung werde das traditionelle Verständnis der Ehe aufgegeben.Das ist auch die Position der deutschen Bischöfe. Am vergangenen Wochenende betonte deren Mann für Fragen von Ehe und Familie, der Berliner Erzbischof Heiner Koch, erneut die schwerwiegenden Folgen der anstehenden Entscheidung. Denn es ist eben nicht reine Wortklauberei "eingetragene Partnerschaft vs. Ehe". Und es ist auch keine reine Änderung im Adoptionsrecht, die zur Debatte steht. Der Bundesrepublik steht eine historische Zäsur bevor. Es geht um nichts weniger als die Uminterpretation dessen, was die Gesellschaft im Innersten ausmacht.
Ein Bruch mit der grundgesetzlichen Definition der Ehe
Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Beide Begriffe gehören qua Verfassung untrennbar zusammen. Der CDU-Politiker und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, warnte am Dienstag daher vor einer leichtfertigen Änderung der Gesetzeslage. Denn die Öffnung der Zivilehe für Gemeinschaften, die aus sich heraus keine Familie begründen können, bricht mit der grundgesetzlichen Definition von Ehe. Diese formulierten die Autoren vor über 60 Jahren als säkulare Adaption des christlichen Ehebildes. Auch deshalb ist es folgerichtig, dass eingetragene Lebenspartnerschaften von Homosexuellen etwa im Adoptionsrecht bislang nicht der Ehe gleichgestellt sind. Für Außenstehende mag der Unterschied wie Makulatur erscheinen, schließlich können Homosexuelle das Adoptivkind des Partners selbst ebenfalls adoptieren, wodurch dann wieder beide Adoptiveltern sind. Aber beide gemeinsam können kein Kind adoptieren – wie sie auch gemeinsam keines zeugen können.
Dem Zugrunde liegt das Paradigma von der Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Zwischen Eltern und Kindern werden die Werte verwirklicht, die auch im großen Maßstab relevant sind: Weitergabe von Wissen und Erfahrung, gegenseitige Hilfe, Solidarität über Generationengrenzen, Verzicht zugunsten des Gemeinwohls, um nur einige zu nennen. Die Befürworter der "Ehe für alle" beschneiden diese Definition der Ehe und damit auch die Werte für die sie steht. Ihre Neudefinition von "Ehe" kommt letztlich ohne die bislang stets zugeordnete "Familie" aus, schließlich ist die Fähigkeit zur Elternschaft nicht länger relevant. Damit geht auch die generationsübergreifende Dimension der kleinsten gesellschaftlichen Einheit verloren.
Auch Heterosexuelle vernachlässigen familiäre Werte
Ein solcher Paradigmenwechsel kann nicht allein durch eine parlamentarische Mehrheit gelingen. Das sollte nicht nur dem Gesetzgeber, sondern vor allem den Bürgern klar sein. Denn noch immer wird die "Ehe für alle" vorrangig als Frage der Gleichstellung behandelt. Sicher, den heterosexuellen Partnerschaften stehen die homosexuellen in vielen Punkten in nichts nach. Auch diese Liebespaare kommen nicht ohne Werte wie Solidarität, Verzicht und Fürsorge aus, was das staatliche Recht bereits heute anerkennt. Und umgekehrt gibt es mehr als genug heterosexuelle Ehen, in denen die familiären Werte nicht ernst genug genommen werden. So gesehen könnte man zynisch anmerken, die Heterosexuellen hätten sich selbst den Homosexuellen gleichgestellt.
Doch es greift zu kurz, diese Gleichstellung im Sinne des Aufholens eines noch vorhandenen Defizits zu verstehen. Schließlich ist der verfassungsmäßige Schutz der – heterosexuellen – Ehe als Grundlage einer Familie das, was er ist. Das Grundgesetz fordert bislang, heterosexuelle Ehen besonders gut zu behandeln. Es sagt nicht, dass nicht-heterosexuelle Partnerschaften zu diskriminieren sind. Eine Abkehr von dieser grundgesetzlichen Idee bedeutet daher nicht das Ende einer Diskriminierung, sondern die Abschaffung einer Vorzugsbehandlung. Und genau das sollte wohl überlegt sein. Zumal eine Entscheidung solcher Tragweite kurz vor einer Bundestagswahl fragen lässt, wer von ihrem Ausgang profitiert.
Die katholische Kirche könnte die nun anstehende Änderung im staatlichen Eherecht eigentlich kalt lassen. Schließlich hat dieses keinerlei Einfluss auf die sakramentale, kirchliche Ehe – diese wird auch in Zukunft nur zwischen Mann und Frau bestehen. Überdies kann die Kirche auch auf unliebsame politische Entwicklungen – zum Glück – keinen direkten Einfluss nehmen. Aber einfach hinnehmen oder gar gutheißen darf sie die Einführung der "Ehe für alle" erst recht nicht. Denn gerade für die Kirche stellt die Familie ein hohes Gut dar. Die häusliche Gemeinschaft eines Ehepaars mit seinen Kindern ist die kleinste Form der Kirche, dort kann und soll das gesamte Evangelium verwirklicht werden. Wo dieses Ideal auch im staatlichen Recht relativiert und aufgegeben wird, kann die katholische Kirche nicht schweigend zusehen.
Dabei darf die Kirche jedoch nicht wieder in den alten Sodom-und-Gomorra-Ton verfallen. Vielmehr muss sie auch jetzt, nach dieser fundamentalen Uminterpretation der Ehe erneut und immer wieder herausstellen, welches Ideal hier aufgegeben wurde. Und sie muss klar machen, dass das christliche Familienbild, wie es bislang auch dem säkularen Recht zugrunde liegt, für sie nicht verhandelbar ist. Denn wenn der verfassungsmäßige Schutz der Familie fällt, muss die Kirche einspringen. Und das ist jetzt der Fall.
Hinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich am Dienstag, 27.06. veröffentlicht und nach der Entscheidung im Bundestag am Freitag, 30.06. aktualisiert.