"Die Auftragslage für unsere Kirche ist gut"
Dass er mal die zweitgrößte evangelische Landeskirche in Deutschland leiten würde, war Manfred Rekowski nicht in die Wiege gelegt - auch, weil sie im polnischen Mojtyny stand. Gerade hat für den 59-Jährigen die zweite Hälfte seiner Amtszeit als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland begonnen. "Die Auftragslage ist gut", sagt er im Interview in Bonn. Und spricht über die Zukunft der Kirchen, den Islam, Obergrenzen für Flüchtlinge und sein kleines gelbes Elektroauto.
Frage: Präses Rekowski, Sie waren auch bei der Beisetzung von Kardinal Meisner im Kölner Dom, als ein Grußwort des emeritierten Papstes Benedikt XVI. verlesen wurde. Darin vergleicht er die Kirche mit einem Boot, das manchmal "fast zum Kentern angefüllt ist". Ein passendes Bild?
Manfred Rekowski: Ich würde eher sagen, dass wir eine Kirche im Umbruch sind, das gilt evangelisch wie katholisch. Ein schlichtes "Weiter so" gibt es an vielen Stellen der Kirchenarbeit nicht. Mich hat allerdings im Dom überrascht, dass es das einzige Wort war, für das es Applaus gab. Dabei entspricht diese Beschreibung nicht meiner Wahrnehmung der Lage der katholischen Kirche. Denn an ihrer Spitze steht mit Papst Franziskus jemand, der sehr genau erfasst, was die Menschen bewegt und was die Welt von den Kirchen braucht. Ich selber habe Texte von ihm mit großer Begeisterung gelesen. Franziskus' Blick auf die Kirche ist von Barmherzigkeit geprägt. Das nehme ich deutlicher wahr als etwa eine ins Strudeln gekommene Kirche.
Frage: Das gar nicht so kleine Schifflein der Evangelischen Kirche im Rheinland führen Sie als Präses seit 2013, vier Jahre kommen noch...
Rekowski: Genau, ich gehe jetzt gerade in die zweite Halbzeit. Die Auftragslage für unsere Kirche ist gut, wir sind gefordert, das Evangelium fantasievoll ins Gespräch zu bringen und für die Menschen da zu sein. Das macht mir Freude, auch für Teil zwei meiner Amtszeit bis 2021.
Frage: Welche konkreten Aufgaben sind das?
Rekowski: Aktuell geht es um das Interreligiöse, konkret um den Islam. Wir benötigen eine theologisch tragfähige Verhältnisbestimmung. Andererseits ist der Umgang mit dem Islam auch gesellschaftlich ein wichtiges Thema. Wenn Studien sagen, dass ein Großteil der Bevölkerung den Islam ablehnt oder ihn als bedrohlich erlebt, hat das auch etwas mit uns zu tun. Hier sind wir gefragt, Position zu beziehen. Außerdem werden wir uns sehr intensiv mit dem Thema Diakonie befassen und mit Blick auf eine stärkere Beteiligung von Jugendlichen eine Jugendsynode veranstalten. Der Stoff geht uns also nicht aus.
Frage: Politisch gesehen wird uns in nächster Zeit die Bundestagswahl beschäftigen, auch mit dem Thema Flüchtlingszuzug. Gerade hat die CSU wieder die Einführung einer Obergrenze angemahnt. Was sagen Sie dazu?
Rekowski: Die Debatte um Obergrenzen ist für mich eine Sackgasse. Ich sehe nicht, dass man das rechtlich einhalten kann, da Asyl- und Menschenrecht Obergrenzen nicht vorsehen. Da kann man nicht sagen: Bei 200.000 ist Schicht. Wir müssen vielmehr über Lösungen für das Weltproblem Flucht debattieren. Das sind humanitäre Herausforderungen, auf die die Völkergemeinschaft reagieren muss. Da kann niemand sagen, Flüchtlinge außerhalb unserer Landesgrenze interessieren uns nicht.
Frage: Sie selbst sind in Masuren geboren und als Fünfjähriger mit Ihrer Familie nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt, gerade mit Blick auf die Fluchtthematik?
Rekowski: Ich habe zwar keinen klassischen Migrationshintergrund, aber dieser Umzug in eine völlig neue Welt hat mich und meine Familie sehr geprägt. Ich bewundere meine Eltern, wie sie den Wechsel hinbekommen haben von einem Haus außerhalb eines masurischen Dorfs in eine Zweieinhalb-Zimmerwohnung in einer westdeutschen Großstadt. Und wir sprachen damals immerhin Deutsch! Ich habe deshalb großen Respekt vor allen Menschen, die aus einer fremden Kultur mit einer fremden Sprache hierher kommen.
Frage: Sie konnten Deutsch, aber mit Akzent?
Rekowski: In Polen war ich 'der Deutsche' und nicht übermäßig beliebt. Auf dem Schulhof in Deutschland war ich 'der Pole', was auch nicht besser war. Ich habe dann die polnische Sprache schlagartig verlernt mit fünf Jahren.
„Integration ist eine Herkulesaufgabe, in die zu investieren sich lohnt.“
Frage: Sie waren der erste in Ihrer Familie, der studiert hat?
Rekowski: Ja, nach Hauptschule und Mittlerer Reife lag bei mir schon unterschriftsreif ein Lehrvertrag als Verwaltungsangestellter. Aber dann haben Lehrer interveniert und gemeint, ich sollte doch weiter zur Schule gehen. Ich habe sehr von der Förderung durch Lehrer und auch durch BAföG profitiert. Integration ist eine Herkulesaufgabe, in die zu investieren sich lohnt. Meine Eltern, die durch den Krieg keine abgeschlossene Schulbildung hatten, und wir vier Geschwister waren damals erst einmal nur eine Last für den deutschen Staat. Dass das anders geworden ist durch Förderung, Schule und Ausbildung, ist eine Erfahrung, die mich immer positiv stimmt.
Frage: Sie legen auch besonderen Wert auf Umweltschutz - für jeden sichtbar. Warum?
Rekowski: Bewahrung der Schöpfung ist eine der zentralen Aufgaben der Kirche. Auch damit die nächsten Generationen noch eine lebenswerte Erde vorfinden. Ich fahre ein kleines Elektroauto, das eine Reichweite von 50 bis 60 Kilometer hat. So sind in etwa zehn Jahren schon 45.000 Kilometer zusammengekommen. Es ist ein gelber Einsitzer, der hinten geöffnet wird. Darauf steht der Slogan "Solarstrom bewegt, Glaube auch". Das ist ein Blickfang und ein Denkanstoß gleichermaßen. Nach einem Wagen mit Stern dreht sich niemand mehr um, aber auf dieses kleine gelbe Auto schaut man.
Themenseite: Ökumene
Die Themenseite gibt einen Überblick über die aktuelle Berichterstattung von katholisch.de rund um das Thema Ökumene.Frage: Ein "Blickfang" soll auch die Aktion "95 Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten" sein, die die Rheinische Kirche zu 500 Jahre Reformation aufgelegt hat. Wie ist Ihre Zwischenbilanz?
Rekowski: Das war eine besonders kreative Idee für das Reformationsjahr, weil wir als Kirche nicht mehr so sehr auf bewährte Veranstaltungsformate setzen können, sondern über uns hinauswachsen müssen. Ich habe zum Beispiel an einem Gottesdienst in einem Steinbruch teilgenommen, wo 500 Menschen hinkamen. Und der Gottesdienst auf dem Parkplatz beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken in Bonn war für mich eine sehr schöne Erfahrung in einer guten ökumenischen Gemeinschaft. Das sind Impulse, die über den 31. Oktober hinausgehen.
Frage: Zum Thema Ökumene: Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer hat kürzlich ein sehr persönliches Buch über den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer vorgestellt. Kennen Sie es?
Rekowski: Es liegt auf meiner Urlaubslektüre und ich bin sehr gespannt darauf. Bonhoeffer ist für mich persönlich einer der wichtigsten Theologen. Dass offenbar ein katholischer Kirchenvertreter das ähnlich empfindet, unterstreicht einfach: Uns verbindet viel mehr als uns trennt. Wir schöpfen aus denselben Glaubensquellen ohne Wenn und Aber, und ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür.