Warum Papst Franziskus richtig gehandelt hat

Die Dinge beim Namen nennen

Veröffentlicht am 13.04.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Papst Franziskus wird vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Präsidentenpalast in Ankara empfangen.
Bild: © KNA
Türkei

Bonn ‐ Zur Abwechslung hat sich Papst Franziskus an sein Redemanuskript gehalten. Als er am Sonntag die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkrieges als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnete, wusste er somit den Vatikan hinter sich. Das war wichtig: Denn somit bleiben dieses Mal eilig anberaumte Pressekonferenzen aus, in denen Sprecher Federico Lombardi die Worte des Heiligen Vaters deuten muss.

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Nein, dieses Mal ist die Sache klar: Der Vatikan sieht die Verfolgung und Ermordung der Armenier als Völkermord. Dass die Äußerung mächtig Gegenwind aus Ankara erzeugen würde, war schon vorher absehbar. Nur wenige Stunden nach dem Gottesdienst des Papstes mit Nachkommen armenischer Genozid-Opfer bestellte die türkische Regierung den Vatikanbotschafter, Erzbischof Antonio Lucibello, ins Außenministerium ein. Und wiederum nur wenig später zog sie ihren eigenen Botschafter aus dem Kirchenstaat ab.

Beide Reaktionen zeigen, wie empfindlich die Türkei auf das Thema reagiert, und wie wenig sich die Staatsspitze offensichtlich damit auseinander gesetzt hat – auch wenn es zuletzt versöhnliche Zeichen aus Ankara gegeben hatte. So hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan in Aussicht gestellt, sich dem Urteil einer Historiker-Kommission zu folgen. Sollte es wirklich ein Verbrechen gegeben haben, wolle man "sich das ansehen und die entsprechenden Schritte tun". Doch damit ist nun wohl vorerst nicht mehr zu rechnen.

Die Dünnhäutigkeit der Regierung zeigt sich aber nicht nur in diplomatischen Konsequenzen, sondern auch – und das sehr deutlich – in ihren Äußerungen. Der Papst schüre "Hass", schrieb der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf Twitter. Bisherige Reaktionen, vor allem in sozialen Netzwerken, lassen auf das Gegenteil schließen. Denn dort erfährt Franziskus, zumindest außerhalb der Türkei, viel Zuspruch für seine Äußerung.

Bedenkliche Unterstellung des Außenministers

Noch bedenklicher ist allerdings die Unterstellung Cavusoglus, religiöse Ämter seien nicht der Ort, "mit haltlosen Vorwürfen Feindschaft und Hass zu schüren". Damit spricht er Päpsten und generell allen religiösen Oberhäuptern die Kompetenz ab, politische Debatten richtig einzuschätzen und gegebenenfalls ihre Meinung zu äußern. Doch das ist elementar – auch für einen Papst. Denn wie sähe Europa heute aus, hätte nicht Papst Johannes Paul II. mit seinem steten Protest entscheidend zum Fall des Kommunismus beigetragen? Und was wäre es für eine Welt, in der Vertreter der Religionen nicht immer und immer wieder auf die Brandherde dieser Welt hinweisen würden? Es wäre keine gute Welt – denn leider ist von Seiten der Politik in solchen Debatten oft eher wenig zu erwarten. Zu sehr sind Regierungen im Zuge von Rüstungsexporten und Energieressourcen wirtschaftlich aufeinander angewiesen.

Franziskus wird in den nächsten Tagen noch einiges aushalten müssen. Darauf lassen die Kommentare türkischer Zeitungen am Tag danach schließen. Dass es in der offiziellen Protestnote der Regierung zudem auch noch heißt, Franziskus widerspreche den Friedensbotschaften seiner Türkei-Reise im November, ist schlicht falsch. Denn Franziskus hatte bei seinem dreitägigen Aufenthalt mit keinem Wort erwähnt, dass man Verbrechen verschweigen dürfe.

Zudem muss die Regierung schon damals gewusst haben, dass dieser Papst diplomatische Konfrontationen nicht scheuen wird: So hatte er offen die Diskriminierung von Christen im Land am Bosporus beklagt. Und er war nicht der erste Pontifex, der in der Armenienfrage Stellung bezog. Denn am Sonntag zitierte Franziskus ausdrücklich Johannes Paul II., der 2001 über die Verfolgung und Ermordung der Armenier gesagt hatte: "Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird."

Schuldbekenntnis kann bei einem Weg der Heilung helfen

Sicherlich kann man sagen, dass die Frage nach dem Völkermord letztlich historisch beantwortet und eine Anerkennung durch die Türkei zweitrangig ist. Doch da sich auch Deutschland und die USA aus Sorge um diplomatische Beziehungen bisher mit dem Wort "Völkermord" zurückhalten, wäre eine offizielle Anerkennung und eine komplette historische Aufarbeitung – und ja, dies schließt auch etwaige armenische Verbrechen mit ein – elementar. Nicht nur mit Blick auf die Opfer und deren Nachfahren, sondern auch, weil ein Bekenntnis von Schuld helfen kann bei einem Weg der Heilung.

Papst Franziskus hat nun den ersten Schritt dahin gemacht, dass die Verbrechen, auch wenn sie 100 Jahre zurückliegen, nicht vergessen werden dürfen. Und, dass es eine klare Bezeichnung für sie braucht. Klein beigeben wird dieser Papst sowieso nicht: Während der Morgenmesse am Montag rief er dazu auf, "die Dinge in Freiheit beim Namen zu nennen".

Von Sophia Michalzik