Entwicklungshelfer Sebastian Kämpf über die aktuelle Krise im Südsudan

"Die Lage ist zweifellos katastrophal"

Veröffentlicht am 25.07.2016 um 13:00 Uhr – Von Joachim Heinz (KNA) – Lesedauer: 
Südsudan

Aachen ‐ Nachdem neue Kämpfe den Südsudan erschüttern, hat Entwicklungshelfer Sebastian Kämpf das Land vorerst verlassen. Doch er will zurück. Ein Interview über die aktuelle Situation im Land.

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Frage: Herr Kämpf, die Situation im Südsudan ist derzeit von außen schwierig zu überblicken. Jüngsten Meldungen zufolge wurde Vizepräsident Riek Machar entmachtet. Wer steht da gegen wen?

Kämpf: Das Lager um Präsident Salva Kiir und jenes um Machar. Dieser Machtkampf begann 2013 und ist immer noch nicht gelöst.

Frage: Im vergangenen Jahr gab es ein Friedensabkommen, was beide Politiker wieder an der Regierung beteiligte. Warum kommt der Südsudan dennoch nicht zur Ruhe?

Kämpf: Ich sehe auch weniger einen direkten Konflikt zwischen Kiir und Machar. Die Fäden werden eher im Hintergrund gezogen. Einige aus dem Präsidentenlager wollen Unterstützer von Machar auf ihre Seite ziehen. Was dadurch erleichtert wird, dass in der Gruppe von Machar ein Richtungsstreit tobt.

Frage: Woran machen Sie das fest?

Kämpf: Anfang Juni fand ein Treffen zwischen Kiir und Machar statt. Beide haben anschließend von großen Fortschritten gesprochen. Angeblich konnte man sich auf die Einsetzung einer Kommission einigen, die unter anderem Rückzugsgebiete für die jeweiligen Truppen definieren und den Konflikt um die Anzahl und Grenzen der Bundesstaaten lösen sollte. Man konnte das Aufatmen im ganzen Land förmlich spüren.

Bild: ©Stefan Marx/Kindermissionswerk

Sebastian Kämpf (Mitte) arbeitet als Entwicklungsberater und Caritas-Koordinator in der Diözese Wau im Südsudan. Nach den wieder aufgeflammten Kämpfen in dem ostafrikanischen Land wurde er am Wochenende jedoch ausgeflogen.

Frage: Aber dann?

Kämpf: Hat Salva Kiir zwei Wochen später alle Zusagen für nichtig erklärt. Als einzige Erklärung fällt mir dazu nur ein: Der Präsident selbst war zu Zugeständnissen bereit. Aber irgendwer hat ihn danach umgepolt. Das ist ein Zeichen von Schwäche. Die Regierung bleibt innerlich zerrissen. Im Moment muss man daher die Entwicklung mit Sorge betrachten.

Frage: Wie sieht es derzeit an Ihrem Arbeitsort in Wau aus?

Kämpf: Vor drei Wochen kam es in einigen südlichen Stadtteilen zu heftigen Auseinandersetzungen, teils mit schweren Waffen. Viele Einwohner sind daraufhin geflohen, einige in den Busch, andere in Lager. So haben auf dem Areal der UN-Mission UNMISS 30.000 Menschen Zuflucht gefunden, auf dem Gelände der katholischen Kirche 25.000.

Frage: Viele internationale Organisationen haben ihre Helfer abgezogen - was bedeutet das für die Menschen vor Ort?

Kämpf: Nicht wenige Südsudanesen fühlen sich im Stich gelassen. Zudem steigt bei einigen die Angst, dass sich die Lage mit dem Weggang auswärtiger Beobachter radikalisiert.

Frage: Warum?

Kämpf: Weil sich die Konfliktparteien noch weniger als bisher um Menschenrechtsverletzungen scheren und möglicherweise eher bereit sind, einmal getroffene Vereinbarungen wieder zu brechen.

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An vielen Orten der Welt herrschen grauenvolle Krisen. Wie kommt es, dass wir sie dennoch manchmal einfach vergessen? Sid Peruvemba von Malteser International hat eine Vorstellung, woran das liegt.

Frage: Fürchten Sie Engpässe bei der Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung?

Kämpf: Die Lage ist zweifellos katastrophal. Rund fünf Millionen Menschen hungern derzeit. Wegen einer Hyperinflation können sie sich kaum noch Nahrungsmittel auf den Märkten kaufen. Zugleich bleiben aus Angst vor Kämpfen viele Felder unbestellt. Ohne weitere humanitäre Hilfe wird es dauerhaft nicht gehen.

Frage: Dann war der Rückzug der auswärtigen Helfer also eine komplette Fehlentscheidung?

Kämpf: Die Rolle von internationalen Organisationen wird in diesem Punkt manchmal überbetont. Es ist ja nicht so, dass nach einer Katastrophe oder einem Krieg die ganze Region nur auf Helfer aus dem Ausland wartet.

Frage: Sondern?

Kämpf: Die Ersthilfe wird von Einheimischen geleistet. Außerdem haben wir Strukturen mit aufgebaut, die weiter tragfähig bleiben. Zum Beispiel in Gestalt eines südsudanesischen Nothilfekoordinators, der schon die ganze Zeit über das Heft des Handelns in der Hand hatte. Die Hauptarbeit wurde und wird von einheimischen Institutionen und Organisationen geleistet.

Frage: Sie sind Vertreter von katholischen Hilfswerken. Welches Image hat die Kirche im Südsudan?

Kämpf: Ein sehr gutes - weil sie in der Bevölkerung fest verankert ist und weil auch hier vor allem die Einheimischen das Sagen haben. Deswegen gehen Rebellen und Regierungstruppen vergleichsweise pfleglich mit kirchlichen Einrichtungen um.

Bild: ©Sebastian Kämpf/Kindermissionswerk

Bis zu 40.000 Menschen haben aktuell Zuflucht in verschiedenen kirchlichen Einrichtungen im Südsudan gefunden.

Frage: Trotzdem nehmen Attacken auf Helfer und zivile Einrichtungen zu - nicht nur im Südsudan.

Kämpf: Das ist weltweit ein beunruhigender Trend. Auch, dass Politiker Stimmung gegen die UN machen, um von eigenem Versagen abzulenken. Ich wüsste nicht, wo der Südsudan stünde, wenn es die Vereinten Nationen nicht gäbe.

Frage: Ist das alles nicht ungeheuer frustrierend?

Kämpf: Klar, der Südsudan hatte ab 2005 bis kurz nach seiner Unabhängigkeit 2011 die Chance, sich zu entwickeln. Tatsächlich ist - ausgehend von einem sehr niedrigen Level, weil vorher so gut wie nichts in die Region investiert wurde - viel geschehen. Und jetzt drohen einige wenige machthungrige Gestalten die ganze Arbeit zunichte zu machen.

Frage: Trotzdem wollen Sie sobald wie möglich wieder zurück.

Kämpf: Ich bewundere die Südsudanesen für ihren Mut und ihren Durchhaltewillen. Die Masse der Bevölkerung sehnt sich nach Frieden - und hat ihn seit 60 Jahren nur ganz selten erlebt. Ich finde, die Menschen haben verdient, dass wir versuchen, daran etwas zu ändern.

Von Joachim Heinz (KNA)