Die "Loverboy-Methode"
So berichtet es Roshan Heiler, die Zwangsprostituierten hilft, den Teufelskreis aus sklavischer Hörigkeit und Gewalt zu entkommen. Die 32-jährige leitet die Aachener Beratungsstelle von "Solwodi" ("Solidary with women in distress"), einer internationalen katholischen Initiative für ausländische Frauen, die Opfer von Menschenhändlern und Zwangsprostitution geworden sind oder von Zwangsheirat bedroht werden. Heiler und ihr Team besuchen die Frauen vor Ort in der Antoniusstraße, einer stark frequentierten Rotlichtmeile in Aachen. Im Rahmen des Projektes "Stella" von "Solwodi" bieten die Streetworkerinnen den Prostituierten Gesundheitschecks an, psychologische Betreuung und helfen beim Ausstieg aus der Szene.
Verschleppt aus Osteuropa
Besonders Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren aus den osteuropäischen EU-Staaten wie Rumänien, Bulgarien und Ungarn, aber auch aus Nigeria und Serbien arbeiten in deutschen Bordellen. Gerade in Osteuropa sind die Frauen leichte Beute für die Menschenhändler. Oft sind sie arbeitslos, leben in schwierigen Familienverhältnissen und wollen ihrem Kind ein besseres Leben ermöglichen. "Es geht nicht darum, sich eine teure Armband-Uhr leisten zu können, sondern um das Notwendigste wie zum Beispiel Schulbücher für das Kind kaufen zu können", sagt Heiler. Die Menschenhändler versprechen den Frauen schnelles Geld in wenigen Wochen und locken sie mit falschen Versprechungen nach Deutschland. "Ein Bekannter verspricht der jungen Rumänin zum Beispiel, dass sie als Kellnerin in einem deutschen Restaurant arbeiten kann. Das ist ein verlockendes Angebot", erklärt Heiler. Bei der "Loverboy-Methode" wiederum gaukelt der junge Mann der Frau seine Liebe vor und macht ihr Geschenke. Er nimmt sie mit nach Deutschland und die Spirale der Gewalt nimmt Fahrt auf.
Die Frauen werden in ein Bordell verschleppt und müssen Freiern gefügig sein. "Ich habe einfach die Augen geschlossen. Ich musste alles machen, was die Männer wollten. Mein Unterleib brannte und es ekelte mich bis zum Brechreiz, wenn ich die Fremden küssen oder Oralsex machen musste. Ich habe nicht mehr gelebt, nur noch existiert", erzählt die 18-jährige Natascha aus Weißrussland auf der Internetseite stoppt-zwangsprostitution.de , die im Rahmen der Fußball-WM 2006 in Deutschland ins Leben gerufen wurde.
Den europaweit agierenden Tätern wird es leicht gemacht. Denn die osteuropäischen EU-Frauen benötigen kein Visum und für die ersten drei Monate keine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Bei einfachen Kontrollen in den Bordellen hat die Polizei es umso schwerer. Denn die Personalien werden überwiegend vor Ort und nicht wie früher auf der Wache überprüft. Es besteht kaum die Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen und die Frauen zu einer Aussage zu bewegen. Auch die Streetworkerinnen von "Solwodi" haben es schwer.
Erpressung gehört zum Geschäft
Denn die Zuhälter machen Druck. "Wenn Du zur Polizei gehst oder wegläufst, passiert deiner Familie was", berichtet Heiler aus den Gesprächen mit den Prostituierten. Die psychische Gewalt wird eher angewendet, weil sie - anders als körperliche Gewalt - keine äußerlichen Spuren hinterlässt. "Was willst du machen, der Muskelmann steht vor dir, du musst arbeiten und innerlich weinst du", berichtet die 25-jährige Elena aus Russland. Das Geld müssen sie direkt an ihren Zuhälter abgeben. Doch sie verdienen oft nicht genug, um wenigstens die tägliche Zimmermiete zahlen zu können. Sie kommen schnell in eine Schuldensituation, die den Teufelskreis enger zieht.
Solange die Frauen sich nicht an staatliche Behörden wenden und eine Aussage machen, kann man den Menschenhandel schwer juristisch nachweisen. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes gab es 2011 in Deutschland 482 abgeschlossene Ermittlungsverfahren und 640 behördlich gemeldete Opfer. Doch die Dunkelziffer von Frauen, die zum Sex gezwungen werden, ist weit höher, sagt Heiler.
Opferschutz mit Lücken
Sie sieht auch eine große Lücke im System. "Die Frauen haben nach einer Aussage selten eine Chance auf ein Bleiberecht in Deutschland. In der Regel werden sie in ihr Heimatland zurück geschickt", sagt Heiler. Wenn allerdings ihr Leben oder das der Familienangehörigen bedroht wird, gibt es keine Abschiebung. Meist können diese Faktoren aber nicht nachgewiesen werden.
Die Frauen kehren gebrochen in die gleiche ausweglose Situation zurück, aus der sie fliehen wollten. "'Ich bin doch nichts wert' sagen viele Frauen, denen so etwas passiert ist", berichtet Heiler. "Ob die Frau erneut in die Prostitution abrutscht, hängt stark von ihrer Persönlichkeit ab und wie viel Rückhalt sie von der Familie bekommt. Es gibt auch Frauen, die sagen: 'Mir passiert das nicht noch mal, ich mache es jetzt richtig'. Sie versuchen die Risiken wie anhand einer Liste auszuschließen. Dabei berücksichtigen sie nicht, dass sich die Menschenhändler immer neue Lockmethoden ausdenken", erklärt Heiler. Das Risiko ist somit hoch, wieder in die Hände der Menschenhändler zu fallen.
Einigen Frauen konnte "Solwodi" in Aachen helfen. Die "Aussteigerinnen" kamen in eine Schutzwohnung, erhielten Deutschunterricht und wurden auch noch in ihrem Heimatland betreut. Doch das Projekt "Stella", das von der "Aktion Mensch" finanziell unterstützt wird, läuft Ende 2013 aus. Dann verlässt die Beratungsstelle die Räumlichkeiten des Bistums Aachen und wird geschlossen. Wie es dann für die betroffenen Frauen weitergeht, ist ungewiss.
Von Saskia Gamradt
*Name von der Redaktion geändert