Die Profis
Auch die meisten von ihnen haben das Down-Syndrom, auch sie sind anders. "Die Aktion ist eine gute Art, um Menschen zu erreichen", sagt Katja de Bragança, nicht-behinderte Chefredakteurin von Ohrenkuss. "Jeder im Libanon oder in Indien oder auch in Flensburg versteht das. Denn Menschen mit dem Down-Syndrom gibt es schließlich auf der ganzen Welt."
Die Aktion sei witzig, intelligent und veranschauliche auf einfache Weise, dass sich Socken normalerweise genauso wie gebänderte Chromosomen verhalten, die auch im Pärchen vorkommen. Nur bei Menschen mit Down-Syndrom tritt das 21. Chromosom dreimal auf. Da ist also etwas durcheinander, ähnlich wie bei den verschiedenen Socken.
Wunder zum Welt-Down-Syndrom-Tag
Zum Welt-Down-Syndrom-Tag erscheint eine neue Ausgabe des preisgekrönten, zweimal jährlich erscheinenden Magazins. Das Thema lautet: "Wunder". Das 30. Heft im 15. Jahr des Bestehens hält, was es verspricht. Es ist eine Wundertüte mit witzigen, geistreichen und zu Herzen gehenden Texten – erstmals in deutscher und englischer Sprache. Hinzu kommen eindrucksvolle Bilder der Berliner Fotografin Swetlana Gasetski. Das Eingangszitat von Redakteur und Mitbegründer Michael Hägers ist Programm: "Wundertüte. Da drin sein, das heißt Ohrenkuss!"
Über alle möglichen Themen haben die Journalisten mit Down-Syndrom in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten schon geschrieben. Alle zwei Wochen treffen sich die 20 Bonner Redakteure zur Redaktionssitzung. Mittlerweile 30 Außenkorrespondenten liefern weitere Texte für das Blatt. Zum aktuellen Thema hat Jeanne Marie Mohn Illustrationen angefertigt. Die Künstlerin mit Down-Syndrom gehört seit Herbst 2012 zum Ohrenkuss-Team und arbeitet in einem Atelier in Frankfurt am Main.
"Down-Syndrom ist keine Krankheit"
Vor zwei Tagen haben sich die Ohrenkuss-Redakteure versammelt, um über den Welt-Down-Syndrom-Tag zu schreiben. Autorin Julia Bertmann erklärt Nichtbehinderten häufig: "Down-Syndrom ist keine Krankheit. Ich muss damit leben, nicht Ihr." Nichtbehinderte Menschen hätten Angst, mit ihr zu reden, "weil sie denken, ich kann nicht reden und schreiben", sagt die Korrespondentin aus dem Ruhrgebiet. "Wenn sie mich aber besser kennen, dann sehen sie, dass ich es doch kann."
Für das Herbst-Heft, dessen Planung schon jetzt beginnt, setzen sich die Redakteure mit Gefühlen von Macht und Ohnmacht auseinander. Es beschäftigt sich mit Fragen wie: Was macht mir Mut? Was macht mir Angst? Und was kann ich tun? Katja de Bragança war vor kurzem in der Kölner Kirche St. Peter und lauschte einer Predigt, die Jesu Begegnung mit der Ehebrecherin behandelte. "Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein", heißt es an dieser Stelle der Bibel. Für die Ohrenkuss-Chefredakteurin eine Geschichte, die gut zu den Themen Mut und Angst, Macht und Ohnmacht passt.
Der Papst macht jetzt Urlaub
Die Journalisten mit Down-Syndrom können jedenfalls etwas tun gegen Angst und Ohnmacht, und sie tun es, indem sie seit 15 Jahren ein außergewöhnliches Heft mit Leben füllen. Politisch positioniert sich die Ohrenkuss-Redaktion gegen die Selektion von Menschen. "Und zwar definitiv in jeder Form", sagt Katja de Bragança.
Oft halten sich die Sätze der Redakteure nicht an Interpunktion und andere formelle Vorgaben, dafür kommen sie aber immer von Herzen. Genau wie die Statements der Redaktion zur Papstwahl. Franziskus hatten die Bonner Journalisten mit Down-Syndrom sogleich ins Herz geschlossen. Redaktionsmitglied Marley Thelen freut sich schon auf ihren Besuch in Rom: "Ich bin so froh, endlich mal den Past kennenzulernen. Nächste Sommerferien fahre ich nach Rom, und ich besuche den Papst bestimmt." Paul Spitzeck dagegen macht sich Gedanken um Joseph Ratzingers wohlverdienten Ruhestand: "Der alte Papst macht jetzt Urlaub. Auf eine Insel. Vielleicht ist auf Hawaii. Ausruhen. Der macht da ein Abenteuer erleben. Vielleicht macht der Bogenschieße, um Leben. Er jagt Fische. Vielleicht geht der dann wieder in Rom und will wieder zu Hause sein." Ja, Vielleicht...
Von Sascha Stienen