"Die Schwächsten ziehen den Kürzeren"
Jesus akzeptiere diese Denkweise nicht, betonte Franziskus am zweiten Tag seines Bolivien-Besuchs in Santa Cruz. Anlass des Gottesdienstes war die Eröffnung des fünften Nationalen Eucharistischen Kongresses. Der wirkliche Reichtum einer Gesellschaft bemesse sich am Leben ihrer Menschen. Er beruhe auf den Alten, die in der Lage seien, Weisheit und das Gedächtnis ihres Volkes an die Kleinsten weiterzugeben.
Franziskus: Völker haben ein Gedächtnis
Weiter rief Franziskus in seiner Predigt dazu auf, die kollektiven Erinnerungen und Erfahrungen eines Volkes nicht einfach über Bord zu werfen. Völker hätten ein Gedächtnis, eine Erinnerung, die von einer Generation auf die andere übergehe. Wenn dieses Gedächtnis betäubt werde, seien Hoffnung und Freude in Gefahr, so der 78-Jährige. Die Folge sei eine Traurigkeit, die zu Vereinzelung und zu einer Ausgrenzung der Ärmsten führe.
Besonders lobte Franziskus auch die bolivianischen Bemühungen für ein friedliches Zusammenleben der vielen Ethnien. Während des Gottesdienstes auf Spanisch wurden Gebete in den indigenen Sprachen Ketschua, Aymara und Guarani vorgetragen. Franziskus hatte sich in seiner Begrüßungsansprache für die Rechte der indigenen Völker eingesetzt. "Wie viel Freude bereitet es uns zu wissen, dass das Spanische, das in diese Länder gebracht wurde, heute mit 36 indigenen Sprachen zusammenlebt und sich vermischt", so der Papst. In der Nacht zum Freitag deutscher Zeit nimmt er am Welttreffen der Volksbewegungen in Santa Cruz teil. Redner dort ist auch Boliviens Staatspräsident Evo Morales.
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Zum Anziehen der Messgewänder vor dem Gottesdienst diente dem Papst eine nahe gelegene Filiale der Fast-Food-Kette "Burger King" als Behelfs-Sakristei. Das Logo der Kette prangte oberhalb des Eingangs, den Franziskus benutzte. Vertreter der bolivianischen Kirche und des Bürgermeisteramts von Santa Cruz hätten sich im Vorfeld informiert, welcher Ort in der Nähe des Altars am besten geeignet für diesen Zweck sei, hieß es. Die Filiale war an diesem Tag geschlossen. Während der Predigt verlor der Papst durch einen Windstoß seine weiße Scheitelkappe, den Zucchetto.
Höhenluft lässt Papst erschöpft aussehen
Mit Spannung war auch der kurze Aufenthalt des Kirchenoberhaupts in dem auf knapp 3.600 Meter Höhe gelegenen bolivianischen Regierungssitz La Paz am späten Mittwochabend deutscher Zeit beobachtet worden. Hier war vor allem die Fragen beherrschend, wie der Papst, der nur einen gesunden Lungenflügel besitzt, mit der dünnen Höhenluft zurechtkommen würde. Laut Beobachtern wirkte er zwar erschöpft, meisterte das Programm jedoch ansonsten ohne größere Probleme. "Der Papst hat perfekt funktioniert", kommentierte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi.
Er nahm auch Stellung zu einer Papst-Äußerung zu einem politischen "heißen Eisen" zwischen den Ländern Chile und Bolivien, die für einiges Aufsehen gesorgt hatte: Im Streit um einen bolivianischen Zugang zur See auf chilenischem Boden rief Franziskus zum "Dialog" auf. Das hatte in Chile die Gemüter erhitzt. Für den Papst sei klar, dass "Brücken, keine Mauern gebaut werden müssen", erklärte dazu nun Lombardi.
Morales pocht auf Pazifik-Zugang
Boliviens Präsident Evo Morales pocht auf die Zurückerlangung eines Zugangs zum Pazifik und setzt auf die Hilfe des Vatikans. Im Salpeterkrieg (1879 bis 1884) hatte Bolivien seinen Meereszugang verloren und wurde zu einem Binnenstaat. Chilenen können Bolivianer daher mit dem Gesang "Vamos a la playa" (Lasst uns an den Strand gehen) bis aufs Blut reizen. (gho/KNA/dpa)
09.07.2015, 18.45 Uhr: ergänzt um Zitat Lombardis zur Gesundheit Franziskus'
09.07.2015, 19.50 Uhr: ergänzt um Zitat Lombardis zur See-Streit zwischen Bolivien und Chile