Die selige Gefährtin von Karol Wojtyla

Papst Johannes Paul II. ist bereits seit 2014 ein Heiliger der katholischen Kirche. Ganz so weit ist es bei Hanna Chrzanowska (1902-1973) noch nicht. Aber dennoch: Sie ist die erste Person aus seinem persönlichen Umfeld, die zur Ehre der Altäre erhoben wurde: Die Krankenschwester und Pionierin der häuslichen Pflege im sozialistischen Polen der Nachkriegszeit ist nun selig. Seite an Seite mit dem damaligen Krakauer Weihbischof Karol Wojtyla (1920-2005) hat Chrzanowska Kranke in ihren Häusern besucht und so mit ihm für eine gesundheitliche und seelsorgerische Betreuung der Bedürftigen gesorgt.
Der Weg zu einer Seligen der Kirche war ihr nicht in die Wiege gelegt, Aufmerksamkeit für das Leid der Bedürftigen aber schon: Geboren wurde Hanna Helena Chrzanowska am 7. Oktober 1902 in Warschau in den polnischen Kleinadel. Die reiche Familie war für ihre Philanthropie berühmt, so gründete ihre Oma ein Gesundheitszentrum für bedürftige Kinder und ihre Tante stiftete ein Kinderkrankenhaus.
Für den Glauben an Gott waren Chrzanowskas Eltern allerdings nicht bekannt: Der Vater war nur dem Papier nach katholisch – im Herzen ein positivistischer Liberaler – und die atheistisch-pessimistische Mutter war formell evangelisch, schreibt Hanna Chrzanowska in ihr Tagebuch. Das Mädchen wurde dennoch katholisch getauft. Hanna verbrachte viel Zeit ihrer Kindheit in Sanatorien, weil sie an Atemwegserkrankungen und einem schwachen Immunsystem litt. Als sie acht Jahre alt war, zog die Familie nach Krakau, wo ihr Vater an der Jagiellonen-Universität lehrte.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Kardinal Karol Wojtyla (Mitte) und Hanna Chrzanowska (oberhalb von ihm) bei einem Krankenbesuch.
Nachdem sie ihr Abitur an der Ursulinenschule mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, lernte Hanna Chrzanowska Mitglieder des US-amerikanischen Roten Kreuzes kennen und beschloss, Krankenpflegerin zu werden. Nach nicht einmal zwei Jahren brach sie ihr Polonistik-Studium in Krakau ab und kehrte in ihre Geburtsstadt Warschau zurück, wo sie die neue Krankenpflege-Schule besuchte. Sie wollte lieber mit Menschen arbeiten und dazu wollte sie sich möglichst gut fortbilden. Mit Stipendien konnte sie zunächst in Paris und später in Belgien ihre Kenntnisse in der Pflege und als Hygienikerin vertiefen. 1926 wurde sie Ausbilderin in Krakau und wenig später Chefredakteurin der Zeitschrift "Polnische Krankenschwester" des Berufsverbands der Krankenpfleger.
Vater und Bruder in den ersten Kriegsmonaten verloren
Noch vor dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) erfuhr die bis dahin glaubensferne Frau ihre Bekehrung zum Christentum. Sie wandte sich dem heiligen Benedikt von Nursia zu und wollte künftig ihren Glauben mit ihrer Arbeit verbinden – so trug sie unter anderem zur Gründung einer katholischen Krankenschwerster-Vereinigung bei. Später im Leben wurde Hanna Chrzanowska auch Benediktineroblatin, versprach also, im Geiste der Ordensregel zu leben, ohne Nonne zu werden. Kurz nach Ausbruch des Kriegs zog sie nach Krakau zurück und verlor wenig später ihren Vater und ihren Bruder.
Hannas Vater Ignacy Chrzanowski geriet am 6. November 1939 in die "Sonderaktion Krakau", einen Hinterhalt der Nazis, der sich gegen Akademiker der Jagiellonen-Universität richtete: 183 Personen, die zu einem vermeintlichen Vortrag an die Hochschule kamen, wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Der Professor der Philologie und der Literaturgeschichte starb 1940 im KZ Sachsenhausen. Hannas zwei Jahre älterer Bruder, der Philosoph Bogdan Chrzanowska, geriet als Soldat an der Ostfront in Kriegsgefangenschaft. Erst später wurde bekannt, dass er Opfer des Massenmords von Katyn wurde, bei der auf Befehl des sowjetischen Diktators Josef Stalin im April und Mai 1940 rund 4.400 Polen erschossen wurden.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Hanna Chrzanowska arbeitete während der Kriegs für eine kirchliche Hilfsorganisation des Krakauer Erzbischofs Adam Stefan Sapieha. Sie leitete zunächst die Abteilung für die häusliche Pflege, später für Umgesiedelte und Flüchtlinge. Bereits am 1. April 1945 begann sie damit, die Reaktivierung der Universitätsschule für Krankenschwestern und Hygieniker vorzubereiten, die bald zu einer Krankenpflege- und Geburtshilfe-Schule wurde. Mit dem Stipendium der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen ging sie für ein Jahr in die USA und lernte das New Yorker Modell der häuslichen Pflege kennen. Danach arbeitete sie für das polnische Gesundheitsministerium und bildete Pflegerinnen fort.
Nach der Emeritierung startet das Projekt "pfarreiliche Pflege"
Die Zusammenarbeit mit Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II., begann 1957. Es sind noch Briefe ihrer Korrespondenz enthalten. Hanna Chrzanowska bot ab den 1950er Jahren Besinnungstage und Pilgerfahrten für Krankenschwestern an, die sich großer Beliebtheit erfreuten und veröffentlichte Handbücher zu geistlichen Themen, wie den "Gewissensspiegel für Krankenpfleger" und zur offenen Gesundheitsversorgung.
Sie ging mit 56 Jahren in Frührente und entwickelte das Konzept der "pfarreilichen Pflege". Dazu überzeugte sie Pfarrer davon, Kranke auf ihrem Pfarrgebiet intensiver zu betreuen und bat Krankenschwestern um Mithilfe. So konnten die Menschen nicht nur auf geistliche und materielle, sondern auch auf gesundheitliche Hilfe der Kirche vertrauen, weil bei Hausbesuchen eines Geistlichen auch Pfleger hinzu kamen. Chrzanowskas Pflegesystem basierte darauf, dass die professionellen Krankenschwestern von Priestern, Ordensfrauen, Studenten, der Familie und den Nachbarn einer chronisch kranken Person unterstützt wurden.

Seligsprechung am 28. April 2018 in Krakau: Eine Krankenpflegerin trägt die Reliquie der seligen Hanna Chrzanowska (1902-1973).
Die Geistlichen kamen durch diese Kooperation in engen Kontakt mit den Armen, Kranken und Bedürftigen. 1960 begleitete Weihbischof Wojtyla Chrzanowska, als sie in der Fastenzeit die Häuser von 35 Kranken besuchte und kleine Geschenke mitbrachte. Fünf Jahre später sorgte der Erzbischof dafür, dass sie mit dem päpstlichen Ehrenzeichen Pro Ecclesia et Pontifice geehrt wurde. Für Wojtyla war die hochqualifizierte Frau eine Art lebende Inkarnation der Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), wie es die Polnische Bischofskonferenz Jahrzehnte später ausdrückt. Durch Chrzanowska kam Wojtyla in Kontakt mit der Tiefe des menschlichen Leids und das Erzbistum Krakau bekam ein gut funktionierendes System der gelebten Nächstenliebe. Auch hatte sie Ideen zu einem Hospizwesen, zur Feier von Heiligen Messen in den Häusern der Kranken und zu einem Erholungsheim, in dem chronisch Kranke einige Tage Urlaub verbringen konnten.
1966 wurde bei Chrzanowska Krebs diagnostiziert – sie starb am 29. April 1973. Wojtyla, inzwischen Kardinal, leitete ihre Begräbnisfeierlichkeiten und sagte: "Wir danken dir, Frau Hanna, dass du unter uns warst und dass du so warst, wie du warst". Er ehrte sie als eine Inkarnation der Seligpreisungen Jesu Christi, "besonders der, die sagt, dass die Barmherzigen selig seien". Als 1997 der Seligsprechungsprozess für Hanna Chrzanowska begann, soll Papst Johannes Paul II. dem Postulator gesagt haben: "Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit". Auch wenn er selber es nicht mehr erleben konnte: Der Prozess war erfolgreich. Am 28. April 2018 wurde sie im Sanktuarium der Barmherzigkeit Gottes in Krakau selig gesprochen.