Die unbeantwortete Gretchenfrage
Kurz vor Beginn der Veranstaltung ist der Saal in bläuliches Halbdunkel gehüllt. Die leisen Gespräche der wartenden Katholikentags-Teilnehmer erfüllen die mit 800 Menschen vollbesetzte Halle im Münsteraner Congress Centrum wie das aufgeregte Summen eines Bienenschwarms. Die Unruhe hat einen Grund: Keine der mehr als 1.000 Veranstaltungen des Katholikentags in Münster war im Vorfeld so kontrovers diskutiert worden, wie das Podium zur Haltung der Bundestagsparteien zu Kirche und Religion.
Anlass der Debatten war jedoch nicht das Thema der Runde, sondern ein Teilnehmer und seine Partei: Volker Münz, der religionspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag. Die Einladung des Politikers durch die Katholikentags-Leitung hatte in den vergangenen Monaten heftige Proteste ausgelöst. Doch trotz der Kritik blieben die Organisatoren bei ihrer Entscheidung und hielten die Einladung von Münz aufrecht.
Pünktlich um 14:00 Uhr tritt ein junge Mann ins grelle Scheinwerferlicht in der Mitte der Bühne: Thomas Arnold, Leiter der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, eröffnet die Veranstaltung. Als Titel war die Gretchenfrage aus Goethes "Faust" gewählt worden: "Nun sag', wie hast du's mit der Religion?". Arnold ist mittlerweile Profi im Umgang mit AfD-Politikern. 2016 hatte er den heutigen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland zu einer Diskussion mit dem CDU-Mann und Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, nach Dresden eingeladen. Der sächsische Theologe erweist sich als souveräner und ausgleichender Moderator. Doch seine höfliche und bestimmte Art wird bereits wenige Minuten nach Beginn der Podiumsdiskussion auf die Probe gestellt.
Antifa und Pfadfinder demonstrieren gegen die AfD
Schon zwei Stunden zuvor hatte sich ein Protestzug aus der Münsteraner Innenstadt zum Congress Centrum auf den Weg gemacht. Die Organisatoren des Bündnisses "Keinen Meter den Nazis" hatten dazu etwa 1.000 AfD-Gegner versammelt. Neben den Flaggen von Antifa und Friedensbewegung fanden sich auch Pfadfinder und gewöhnliche Katholikentagsteilnehmer unter den Demonstranten. "Die AfD möchte sich erneut als akzeptable bürgerliche und konservative Partei inszenieren", sagte Redner Carsten Peters zu Beginn der Demonstration. "Doch sie ist eine Partei des Hasses, des Rassismus und der sozialen Ausgrenzung." Mit den Worten "Wehret den Anfängen" setzte sich der Zug in Bewegung. Am Ziel angekommen schirmte die Polizei die Protestler einige Minuten ab. Daraufhin löste sich die Demonstration auf.
Doch einige finden nun ihren Weg in den verdunkelten Veranstaltungssaal: Während des kurzen Vorstellungsvideos von Volker Münz stürmt eine Gruppe von etwa zehn Menschen nach vorne zur Bühne. Sie tragen ein Banner bei sich, dessen Aufschrift im schummerigen Saal kaum zu lesen ist: "Suche Frieden, nicht die AfD. Für eine antifaschistische Kirche." Sie skandieren ihren Slogan, der jedoch nach wenigen Sekunden der Verwirrung in "Aufhören!"-Rufen des Publikums untergeht. Unter den Demonstranten sind auch Theologen, die sich vor wenigen Wochen mit einer Erklärung gegen den Auftritt von Münz gewandt hatten.
Moderator Arnold ruft die "sehr geehrten Protestierenden" auffällig höflich dazu auf, sich wieder auf ihre Plätze zu setzen. Darauf lassen sich die AfD-Gegner jedoch nicht ein, sodass sie nach einigen Minuten, in denen sie versuchen eine Diskussion zu beginnen, von der Polizei abgeführt werden und den Saal verlassen. Während der Unruhe war Münz von zwei Sicherheitsleuten abgeschirmt worden. Diese ziehen sich nun zurück und ein Blick auf das Gesicht des AfD-Manns verrät: Er scheint erleichtert zu sein.
Provokationen auf der Bühne
Die Organisatoren hatten die Protestaktion wohl vorhergesehen und schalten nun das Licht im Saal ein. Nach der Vorstellung der Podiumsteilnehmer beginnt die Diskussion. Auch wenn mit der Störung zu Beginn der Höhepunkt des Podiums bereits vorbei ist, ist die Veranstaltung doch ein Spiegel der Politik in Zeiten der AfD. Das Gespräch mit Münz ist mühsam: Der Anhänger des rechten Flügels der AfD provoziert mit Sätzen, wie "Die Aufnahme von Flüchtlingen ist nur scheinbar christlich" und "Ich möchte, dass Deutschland christlich geprägt bleibt; wenn es so weitergeht, wird es das nicht mehr sein".
Mit Münz diskutiert nur eine weitere religionspolitische Sprecherin einer Bundestagsfraktion: Christine Buchholz von der Linken. Die übrigen Parteien haben mit Kerstin Giese (SPD), Christian Hirte (CDU) und Bettina Jarasch (Grüne) zwar nicht die fachpolitischen Sprecher nach Münster geschickt, doch auch sie haben eine Expertise in der Religionspolitik. Der FDP-Abgeordnete Karlheinz Busen zeigt sich in der Diskussion als erdverwurzelter katholischer Westfale.Mit Beiträgen, wie "Die Zeit ist knapp, lassen Sie uns lieber über den Katholikentag reden" sorgt er für Erheiterung im Publikum.
Linktipp: Debatte mit AfD: Kontrovers aber unspektakulär
Von Tumulten wurde der erste Auftritt eines offiziellen Vertreters der AfD auf einem Katholikentag begleitet. Doch die Diskussion mit Volker Münz verlief anders, als der Beginn es vermuten ließ.Die Diskussion erreicht keine inhaltliche Tiefe. Die Politiker wiederholen lediglich die bekannten Argumente ihrer Parteien zu den "heißen Eisen" der Religionspolitik: der Umgang mit dem Islam, die Zukunft der Religionsfreiheit und das Staat-Kirche-Verhältnis. Bei allen Unterschieden in den jeweiligen Fragen zeigen sich die Podiums-Teilnehmer in einer Sache mehrheitlich einig: Sie lehnen die AfD ab und lassen ihre Beiträge oft mit einer Spitze gegen Münz enden. Auch das Publikum verweigert dem AfD-Abgeordneten die Zustimmung. Nach Redebeiträgen von Münz schnellen stets viele rote Karten als Zeichen der Ablehnung in die Höhe. Doch Münz hat auch Anhänger im Saal: Eine Sitzreihe von etwa 20 Personen bekundet regelmäßig ihre Unterstützung durch lautstarken Applaus.
Das demokratische Dilemma
Zum Abschluss des Podiums spricht Arnold seinen Dank aus: Teilnehmern und Publikum hätten gut miteinander diskutiert. Doch die Gretchenfrage der Politik wurde nicht geklärt: Wie mit der AfD umgehen? Beide Lösungsansätze dieses Samstagsnachmittags – der lautstarke Protest und die offene Diskussion – erscheinen nicht vollends befriedigend. Es ist das klassische Dilemma der Demokratie. Arnold lobt weiter, die Diskussion sei eine Begegnung unter Menschen gewesen, auch wenn man die Position des Gegenübers nicht teile. Wie nachhaltig diese menschliche Begegnung aber ist, zeigt der Abgang von Münz nach Ende der Diskussion: Ohne ein Wort des Abschieds an seine Kollegen auf der Bühne wird er von zwei Sicherheitsleuten zum Ausgang begleitet. Niemand scheint ihn zu vermissen.