Frauenhilfsorganisation SOLWODI über Menschenhandel in Europa

"Die Ware Frau floriert"

Veröffentlicht am 16.04.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Boppard ‐ Der Menschenhandel in der EU boomt. Doch viele Staaten nehmen die Bekämpfung von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit nicht ernst genug, kritisiert die Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Solwodi (Solidarität mit Frauen in Not), Monika Hartenfels. Anfang April verstrich die Frist zur Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie - Deutschland hat sie bislang nicht ratifiziert. Dabei floriere auch hierzulande der Handel mit Frauen, betont Hartenfels im Interview.

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Frage: Frau Hartenfels, Deutschland hat die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Menschenhandel nicht umgesetzt - gibt es keinen Handlungsbedarf?

Monika Hartenfels,(rechts) Geschäftsführerin der Frauenhilfsorganisation SOLWODI.
Bild: ©KNA

Monika Hartenfels, Geschäftsführerin der Frauenhilfsorganisation SOLWODI.

Hartenfels: Das Gegenteil ist der Fall. Das Dunkelfeld im Bereich Menschenhandel wird größer, der Profit der Hintermänner ebenso. In unseren Beratungsstellen und Schutzunterkünften betreuen wir zunehmend Opfer von Menschenhandel. Diese erscheinen jedoch meist nicht in den amtlichen Statistiken. Zum einen werden Betroffene oft nicht als Opfer anerkannt und stattdessen als Illegale abgeschoben. Zum anderen sind viele nicht zur Anzeige und Aussage bereit, da sie von den Hintermännern unter Druck gesetzt wurden - aus Angst um sich oder ihre Kinder im Heimatland.

Frage: Wie sieht es in den anderen EU-Staaten aus?

Hartenfels: Es gibt kein Land ohne Menschenhandel, die Ware Frau floriert. Denn es ist ein Bereich, in dem bei minimalem Risiko maximale Profite erzielt werden. Nachschub ist schier unbegrenzt und leicht zu organisieren. Der "Handelsstrom" geht von den Armenhäusern Europas in die reichen Länder. Deutschland ist Ziel insbesondere für osteuropäische Staaten, vor allem für Frauen aus Bulgarien und Rumänien. Der Markt boomt in Deutschland, auch dank unseres Prostitutionsgesetzes - es ist das liberalste weltweit.

Frage: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Prostitutionsgesetz und Menschenhandel?

Hartenfels: Das Gesetz geht davon aus, dass alle Prostituierten ihre Arbeit selbstbestimmt und freiwillig machen. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus, wie wir aus unserer Opferberatung wissen. Das Gesetz sendet das Signal: Es ist völlig in Ordnung, wenn Männer Sex und damit Frauen kaufen. Wir sind uns sicher, dass dadurch unter anderem die Nachfrage gestärkt wird. Wir sollten uns fragen, ob wir in so einer Gesellschaft leben wollen, wo der Mann, der es sich leisten kann, eine Frau kauft.

Frage: Wie ist das in anderen EU-Ländern geregelt?

Hartenfels: In Schweden gibt es ein Sex-Kauf-Verbot und rund 60 Mal weniger Fälle von Zwangsprostitution als in der Bundesrepublik. In der schwedischen Gesellschaft ist es verpönt, Frauen zu kaufen. Das Gesetz signalisiert: Wir wollen keine Prostitution, das widerstrebt unseren Prinzipien der Gleichberechtigung. Mangelnde Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist jedoch nach unseren Erkenntnissen ursächlich für Zwangsprostitution.

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Video: © Peter Philipp und Steffi Schmitz

Schwester Lea Ackermann, Gründerin der Frauenrechtsorganisation SOLWODI, zu Gast bei "katholisch.de - Das Magazin".

Frage: Welche Rolle spielen Armut und Bildung?

Hartenfels: Armut, mangelnde Bildungschancen in den Herkunftsländern und damit fehlende Verdienstmöglichkeiten für Frauen sind eine Hauptursache für Menschenhandel. Viele Frauen haben keine Ahnung von den Arbeitsbedingungen, die sie als Prostituierte in Deutschland erwarten, dass sie jeden Freier mit jeder gewünschten Praktik bedienen müssen, das Geld nicht behalten dürfen. Anderen wird Arbeit als Putzfrau oder Bedienung versprochen, aber in Deutschland werden sie dann zur Prostitution gezwungen. Wiederum andere werden über vorgespielte Liebesbeziehungen oder mit Heiratsversprechen nach Deutschland gelockt.

Frage: Würde die EU-Richtlinie die Situation dieser Frauen verbessern?

Hartenfels: Die Richtlinie stellt Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung erstmals in einen menschenrechtlichen Kontext und stärkt vor allem die Rechte der Opfer. Sie erhalten ein Recht auf Entschädigung, auf die Auszahlung des von den Hintermännern einbehaltenen Geldes, ein Mindestaufenthaltsrecht. Deutschland ist in der Pflicht, die EU-Richtlinie umzusetzen und unser bestehendes Strafrecht zu verschärfen. Es ist eine Schande, dass die Bundesrepublik den Frauen, die in Deutschland ausgebeutet werden, diese Rechte bislang verweigert.

Das Gespräch führte Bettina Nöth (KNA)