Die Weihnachtszeit gehört nicht nur den Christen
Die kirchliche Weihnachts-Dramaturgie ist klar: Erst kommen die vier Adventssonntage, die Adventszeit dauert 22 bis 28 Tage. Frühestens Ende November geht es los, je nach Wochentag des Heiligen Abends, und dann, mit der ersten Vesper des Hochfestes ist am 24. Dezember Weihnachten. Mit dem Fest der Taufe Christi am ersten Sonntag nach Dreikönig endet dann die Weihnachtszeit.
Ein verlässlicher Aufreger
Der Einzelhandel plant seine Dramaturgie ganz anders über das ganze letzte Jahresdrittel: Spätestens am 1. September, wenn die Modebranche schon auf Herbst- und Winterkataloge umgestellt hat, gibt es Spekulatius und Lebkuchen – die ersten wurden dieses Jahr schon Mitte August bemerkt. Damit der Schoko-Weihnachtsmann nicht in den letzten Spätsommerstrahlen wegschmilzt, kommt er erst Mitte Oktober in die Regale. Zwei Monate, bevor sein bischöflicher Kollege, der heilige Nikolaus, seinen Auftritt hat. Und allerspätestens am ersten Werktag nach den Feiertagen ist Weihnachten bestenfalls noch im Schlussverkauf. Aus der Weihnachtsbäckerei wird Herbstgebäck.
Und jedes Jahr ist es ein verlässlicher Aufreger: Die ersten Sichtungen werden belustigt bis empört in sozialen Medien geteilt, es wird spekuliert, ob es jedes Jahr früher werde. Auch in der Kirche bewegt das die Gemüter. Es gibt Kampagnen gegen Lebkuchen vor dem ersten Advent, für Advent im Dezember und für Nikolaus statt Weihnachtsmann, und natürlich auch moralische Bewertungen. "Die durchgängige Kommerzialisierung der christlichen Feste ist uns nicht recht", sagt etwa der Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland, Thies Gundlach, gegenüber der dpa.
Die Weihnachtszeit gehört nicht nur den Christen
Allerdings ist das wohl der Preis in einer vom Christentum geprägten Gesellschaft. Die Weihnachtszeit gehört nicht nur den Christen, sie ist fest in der Gesellschaft verankert, selbst wenn die vielfältiger und weniger konfessionell-christlich wird. Das Hochfest, mit dem wir die Menschwerdung Gottes feiern, hat Auswirkungen auf alle. Selbst auf die, die gar keine Christen sind – bis hin zum jüdischen siebenarmigen Leuchter als Weihnachtsbaumschmuck. Auch Muslime nutzen das christliche Fest, das ihnen freie staatliche Feiertage beschert, und lassen davon ihren Jahresablauf prägen.
Ohnehin ist die enge Verbindung von Lebkuchen mit Weihnachten eine neuere Entwicklung; in Lebkuchen-Metropolen wie Dresden, Nürnberg und Aachen (mit den Printen) läuft das Geschäft durchgehend. Und die Benediktinerinnen von Frauenwörth im Chiemsee backen in ihrer berühmten Lebzelterei auch das ganze Jahr über, ganz ohne adventliche Skrupel.
Denn eigentlich ist die Adventszeit nicht die Zeit für süßes Gebäck, sondern eine Fastenzeit vor dem Hochfest. Pointiert hat das vor einigen Jahren der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in einem Interview ausgedrückt: Lebkuchen mache ihn "ganz kirre", der Advent habe für ihn "eher etwas Herbes, Raues, Ernstes" – eine Zeit der Besinnung, und eben nicht der Süßigkeiten.
In der christlichen Lebkuchen-Abstinenz-Bewegung auf Facebook wird diese Fastenübung vor die Fastenzeit verlegt: "Noch eine Woche. Der Countdown läuft. Seid ihr alle bisher standhaft geblieben?", feuerte die Facebook-Seite "Kein Lebkuchen vor dem 1. Advent" vergangenen November ihre Fans an.
Die christliche Verteidigung von Lebkuchen im Advent und Schoko-Nikolaus statt Milka-Weihnachtsmann hat immer auch einen bitteren Beigeschmack. Eigentlich soll Brauchtum gestärkt werden und christliche Verkündigung stark gemacht werden – die Kirche präsentiert sich mit solchen Kampagnen aber in einer ganz unweihnachtlichen Rolle: Der der Spaßverderberin, die selbst an ganz harmlosen Entwicklungen noch etwas im moralischen Ton der Empörung zu kritteln hat.
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Anstatt christliche Kernbotschaften herauszustellen, wird die oberflächliche Erscheinung stark gemacht. Anstatt zu würdigen, dass selbst in einer säkularisierten Gesellschaft Spuren des Christlichen prägend sind, will man diese Spuren entweder ganz oder gar nicht. Der Nikolaus aus fair gehandelter Schokolade könnte eine freudige Erinnerung an einen Heiligen der Nächstenliebe sein. Stattdessen wird das Geschenk in Abgrenzung zu weltlichen Traditionen pädagogisiert.
Über einen Schokonikolaus würden sich Kirchenferne sicher auch freuen – aber die Nikolaus-Botschaft wird sicher nicht weiterverbreitet, wenn der Schoko-Weihnachtsmann dabei schlecht gemacht wird. "Advent ist im Dezember", "Kein Lebkuchen vor dem ersten Advent" sind keine verkündigenden Botschaften.
Mehr noch: Sie lenken ab, indem christliche Symbolik im Ergebnis identitär ausgespielt wird, in Abgrenzung zu den anderen – auch wenn das gar nicht beabsichtigt wird und die gut gemeinten Kampagnen eigentlich nur hergebrachtes Brauchtum vergewissern wollen. Wenn ein Discounter im Spätherbst "Zipfelmännchen" ins Angebot nimmt, sind die Facebook-Kommentare – auch auf christlichen Seiten – schnell alles andere als besinnlich: "WTF soll das jetzt wieder? Schokozeugs für die nichtchristliche Bevölkerung?", heißt es da, und "... diese grässlichen Figuren brauchen WIR nicht. [...] WIR sollten Penny boykottieren. Auch in den muslimischen Staaten gibt es keine Zipfelmännchen oder Zipfelfräulein ...."
Weihnachten ist keine Abgrenzung
Zum Glück beabsichtigen die Kampagnen aus christlichen Reihen solche Reaktionen nicht, und sie spielen auch selbst nicht auf dieser Klaviatur des Identitären. Die Wallungen, die sie erzeugen, und die schnell in solche Abgrenzungsrhetorik münden, sollten aber nachdenklich machen. Wenn wir Christen Weihnachten feiern, verkündigen wir nicht Abgrenzung, im Gegenteil. Weihnachten wird nicht am Süßwarenstand entschieden.