"Dieses Land gehört zu Europa!"
Fünf Tage lang hat der Berliner Erzbischof Heiner Koch zusammen mit Renovabis-Chef Christian Hartl und Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) die Ukraine bereist. Im Interview (Mittwoch) zieht er nach vielen eindrucksvollen Begegnungen Bilanz.
Frage: Herr Erzbischof, was hat Sie in der Ukraine am intensivsten beeindruckt?
Koch: Der stärkste Eindruck in Kiew waren die lebhaften Schilderungen von Teilnehmern der Revolution auf dem Maidan. Ich habe begriffen, dass auf diesem Platz Menschen mit der Europafahne in der Hand für ihre Freiheit demonstriert haben, dass viele von ihnen für Europa gestorben sind. Man ist fast beschämt, wenn man sieht, wie europamüde viele Menschen bei uns sind. Beschämend fand ich auch die Armut vieler Menschen, die vielen Waisen und die ehemaligen Straßenkinder. Dass es in Europa noch solche Not gibt, ist wirklich beschämend.
Frage: Was bedeutet das für die Arbeit von Renovabis?
Koch: Ich habe gemerkt, wie dankbar Priester, Bischöfe und Gläubige in der Ukraine dafür sind, dass wir sie nicht allein lassen. Renovabis ist eine Aktion der deutschen Katholiken und nicht bloß ein Förderunternehmen. Man spürt die hohe Wertschätzung der Ukrainer für die Kirche in Deutschland, und das hängt nicht nur am Geld, sondern an der über Jahre gewachsenen Erfahrung, dass man sich aufeinander verlassen kann.
Frage: Was kann die katholische Kirche in Deutschland tun, um angesichts der immensen Probleme der Ukraine, vor allem angesichts von Krieg und Hunderttausenden Binnenflüchtlingen, mehr zu bewirken als einen Tropfen auf dem heißen Stein?
Koch: Das erste ist unsere Verlässlichkeit, gerade in diesen unsicheren Zeiten für das Land. Damit können wir im Aufbau von Seelsorge, Caritas und Bildungseinrichtungen Akzente setzen, die auch morgen noch tragen und die Kirche und Gesellschaft in der Ukraine weiterbringen. Und ich sehe mich durch meine Erlebnisse in die Pflicht genommen, die Nöte und Ängste der Menschen in der Ukraine zuhause in Kirche und Politik zur Sprache zu bringen. Wir müssen dazu beitragen, dass dieser Krieg nicht vergessen wird. Und wir müssen deutlich machen: Dieses Land gehört zu Europa!
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Frage: Die katholische und auch die orthodoxe Kirche sind in der Ukraine jeweils in mehrere Teilkirchen aufgespalten. Wie kann man unter dieser Voraussetzung überhaupt sinnvoll und effektiv arbeiten?
Koch: Ich wusste vorher nur in der Theorie von dieser Zersplitterung. Aber erst bei dieser Reise habe ich begriffen, welche Risiken darin liegen. Die größte Gefahr ist die, dass man sich irgendwann darin einrichtet, in mehreren Kirchen nebeneinander her zu leben. Die einen sehen die anderen als zu stark polnisch, oder je nach dem zu stark russisch oder zu stark ukrainisch-nationalistisch ausgerichtet. Wenn man nicht zu einem vernünftigen Miteinander kommt, gefährdet das den Missionsauftrag aller Kirchen. Man wendet zu viele Kräfte auf, um die je eigene Gemeinschaft zu stärken und sich abzugrenzen, als mit vereinten Kräften in einer Gesellschaft zu wirken, in der sich viele Menschen dem Glauben entfremden.
Frage: Sie und Bundestagsvizepräsident Singhammer durften bei Ihrer Reise vor der weltweiten Synode der griechisch-katholischen Bischöfe sprechen. Was bedeutet das für Sie?
Koch: Es war eine hohe Wertschätzung uns gegenüber, verbunden mit dem Wunsch, das gemeinsame Kirchesein in der katholischen Kirche in verschiedenen Ausprägungen intensiver zu leben. Diese Kirche, die immer auch eine politische Dimension hatte, war jahrzehntelang verfolgt, das gibt ihr heute eine enorme geistliche Stärke. Und es war auch eine besondere Erfahrung, ihre Form der Synodalität, die sich von unserer unterscheidet, zu erleben. Das kann für uns eine Bereicherung sein.
Frage: Was kann die katholische Kirche tun, damit der sehnlichste Wunsch der Mehrheit der Ukrainer in Erfüllung geht: eine Mitgliedschaft in der EU?
Koch: Den meisten Gesprächspartnern war klar, dass angesichts der aktuellen politischen Lage ein baldiger EU-Beitritt der Ukraine illusorisch ist. Aber wir als Kirche werden darauf drängen, dass es weitere konkrete Schritte gibt, das gilt auch für die Entwicklung der Gesellschaft in der Ukraine, wo noch manches zu tun bleibt. Und wir können die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine vertiefen helfen, indem wir die Beziehungen zwischen den Christen und den Kirchen ausbauen und intensivieren. Dazu werden auch wechselseitige Besuche und Begegnungen beitragen.