Angst, Hilflosigkeit und Mitschuld angesichts der neuen Bedrohung

Ebola - und wir?

Veröffentlicht am 06.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Gesellschaft

Bonn ‐ Als am 19. September in Liberias Hauptstadt Monrovia eine Maschine abhob, um einen Tag später in Texas zu landen, veränderte dieser Flug für viele Menschen auf der Erde schlagartig die Wahrnehmung von Ebola. Befand sich an Bord des Flugzeugs doch ein Mann, der unwissentlich den Virus jener Seuche in sich trug, an der in Afrika bereits weit über 3.000 Menschen gestorben sind.

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Bei der Einreise noch scheinbar gesund, musste er schon nach wenigen Tagen in die Isolierstation eines Krankenhauses eingeliefert werden. Anders als bei den beiden Ebolapatienten in Deutschland, die als Erkrankte unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen ins Land geholt worden waren, ist bei dem infizierten Liberianer Ebola zum ersten Mal außerhalb Afrikas ausgebrochen. Dass er Menschen in seinem Umfeld angesteckt hat, kann bislang nicht ausgeschlossen werden.

Millionen Menschen außerhalb Afrikas ist Ebola damit einen weiteren, bedrohlichen Schritt nähergekommen. Die Infektionskrankheit ist nicht mehr bloß eine Seuche irgendwo weit weg in den Tiefen des schwarzen Erdteils. Mit dem Sprung über das Meer ist Ebola zu etwas geworden, was jeden Moment auch vor der eigenen Haustür oder schlimmer noch: im eigenen Haushalt ausbrechen könnte. Nach einer Hochrechnung der amerikanischen Northeastern University liegt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Ebola im Lauf des Oktobers in Deutschland aufflammt, zwar nur zwischen fünf und zehn Prozent, nach demselben Modell wäre ein erster Krankheitsfall in Frankreich aber schon weit wahrscheinlicher. Wegen der engeren Kontakte und der besseren Flugverbindungen berechneten die Forscher für sie eine Wahrscheinlichkeit von über vierzig Prozent.

Eine Frau in Schutzkleidung und Plastikhandschuhen redet mit einem Mann.
Bild: ©KNA

Im Zuge des Kampfs gegen Ebola wird in Serabu in Sierra Leone ein Patient nach Symptomen befragt.

Plötzliche Bedrohung macht mehr Angst als anhaltende Gefahr

Eine tödliche Bedrohung ist Ebola für Europa damit zwar immer noch nicht, die gefühlte Gefahr ist für viele Menschen jedoch weit größer als die reale. Die Pestepidemien des Mittelalters mit ihren Millionen von Toten haben eine derartig nachhaltige Spur der Verwüstung durch den Kontinent gezogen, dass die Angst vor einer Wiederholung dieser Katastrophen immer noch höchst lebendig ist. Auch wenn an jedem Tag auf der Welt mehr Menschen an AIDS oder Tuberkulose sterben als bisher durch Ebola den Tod gefunden haben, auch wenn die Zahl der jährlichen Grippetoten im Moment noch zehnmal höher liegt als die der Ebola-Opfer: es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, dass eine plötzliche Bedrohung für risikoreicher gehalten wird als eine anhaltende Gefahr.

Den Politikern der Industriestaaten dürfte bewusst sein, dass vor diesem Hintergrund panische Überreaktionen der Öffentlichkeit vorgezeichnet sind, sie zeigen sich aber dennoch weitgehend als hilflose Helfer. Wie etwa der Salesianer Lothar Wagner kritisiert, der in Sierra Leone ein Jugendzentrum seines Ordens leitet, dauert es trotz der international erklärten Solidarität zu lange, bis Hilfe vor Ort ankommt: "Wir rechnen mit adäquaten Hilfen gegen die Epidemie erst ab Ende des Jahres. Bis dahin werden noch viele Menschen sterben." Er betont die Wichtigkeit schneller und umfassender Maßnahmen: "Es geht nicht nur um die Bekämpfung der Epidemie, sondern um die jungen Menschen und damit um die Zukunft des Landes".

Gerade kirchliche Organisationen könnten in dieser schwierigen Situation helfen, denn sie sind vor Ort verankert, verfügen über eine hohe Glaubwürdigkeit und werden deshalb leichter akzeptiert als viele der ad hoc eingeflogenen Helfer und Experten, die im ungünstigsten Fall sogar erst Sprachbarrieren überwinden müssen. Die Kirchen und ihre Hilfswerke wirken mit ihrem Engagement zudem einer Entwicklung entgegen, wie sie der Stuttgarter Medizinhistoriker Robert Jütte im Gefolge jedes schweren Seuchenausbruchs befürchtet: "Ebola wird zumindest temporär zu einer Art Entzivilisierung führen. Das heißt also, dass bestimmte Mechanismen wie zum Beispiel die Totensorge oder das Kümmern um Krankheiten, wie sie in traditionellen Gesellschaften vorhanden sind, im Moment nicht mehr möglich sind."

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Video: © RTL

Die Menschen brauchen Hilfe

Mitschuld an der Armutsseuche

Europäer und Amerikaner haben angesichts dieses Traditionsabbruchs keinen Grund für Überlegenheitsgefühle gegenüber zivilisatorisch eventuell zurückfallenden Afrikanern: Sie selbst sind es nämlich, die zumindest eine Mitschuld an der gegenwärtigen Katastrophe trifft. Ebola ist eine Armutsseuche, mit der nicht viel Geld zu verdienen ist. Jedenfalls, solange sie auf Afrika beschränkt bleibt.

Professor Wolfgang Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg, sieht deutliche Abhängigkeiten zwischen der Entwicklung wirksamer Medikamente und der Möglichkeit, mit ihnen Geld zu verdienen: "Die Pharma-Industrie und die Serum-Industrie haben doch kein Interesse an Ebola gehabt. Aber jetzt auf einmal wird das auch pharmazie-ökonomisch zu einem interessanten Feld, und jetzt beginnen die Versuche." Erst seit Ebola zu einer globalen Bedrohung geworden ist und mithin auch die Angst vor dieser Seuche sich globalisiert hat, lohnt es sich, finanzielle Mittel in ihre Bekämpfung zu investieren.

Wer kein Geld hat, muss früher sterben, das gilt besonders auch für Afrika. Für Christen auf allen Erdteilen ist eine solche Feststellung indes unerträglich. Mit einer Ökonomisierung des menschlichen Lebens können sie sich nicht abfinden, solange für sie andere Zeichen wichtiger sind als die Symbole von Euro und Dollar.

Von Uwe Bork