Ein christliches Projekt
Frage: Herr Botschafter, 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft - feiern beide Länder damit auch ein katholisches Projekt?
Reinhard Schweppe: Die Rolle des Katholizismus für die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich wird oft übersehen. Politiker wie Adenauer oder der französische Außenminister Schuman waren überzeugte Katholiken und haben aus ihrem Glauben heraus Politik gemacht. Ihnen war klar, dass nach den Schrecken der Weltkriege etwas ganz Neues geschaffen werden musste, das Friedensprojekt eines geeinten Europa, in dem Konflikte nicht mehr militärisch, sondern nur in Verhandlungen entschieden werden. Dazu gehörte so kurz nach 1945 und den jahrhundertelangen Verletzungen auf beiden Seiten viel Mut zur Vision. Dieser Mut wurzelte auch in christlichen Überzeugungen.
Frage: Hat die Kirche den Prozess, der zu den Elysée-Verträgen führte, denn aktiv begleitet?
Schweppe: Der Geist hinter den politischen Entwicklungen spiegelte sich quasi in der Kirche wider. Papst Pius XII. hat bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs für die Aussöhnung der Völker geworben und die Idee einer europäischen Union vertreten. Die Katastrophe des 20. Jahrhunderts sollte sich nie mehr wiederholen. Dieser Appell hat die folgenden Päpste und die Katholiken Europas geprägt. Die Elysée-Verträge hatten die volle Unterstützung der katholischen Kirche beider Länder, und das Kind der europäischen Einigung hatte in der Kirche einen überzeugten Taufpaten. Auf der politischen Ebene war klar, dass diese Einigung nur gelingen kann, wenn Deutschland und Frankreich damit beginnen. Und auf der geistigen Ebene war für die Kirche klar, dass Europa wesentlich auch ein christlich geprägter Kontinent ist.
Frage: Heute ist oft die Rede von einer "Entchristlichung" des Kontinents. Gibt es da einen Prozess der Abkopplung?
Schweppe: Natürlich hat sich gesellschaftlich und politisch vieles verändert. Die katholische Kirche und die anderen Konfessionen müssen auf die geistigen Bedürfnisse der Menschen reagieren und Angebote machen. Keine angepassten, aber zeitgemäße. Sonst tun das andere. Es wäre für Europa nicht gut, wenn die Kirche zu einer gesellschaftlichen Gruppe unter vielen absinken würde. Doch es scheint, dass sie das Problem erkannt hat. Sie sollte sich im Übrigen auch politisch weiter einbringen und das europäische Projekt aktiv mitgestalten. Bei ethischen und religiösen Themen tut sie das auch sehr bewusst.
Frage: Welche Impulse gehen vom deutschen Papst für Europa aus, gerade mit Blick auf das deutsch-französische Verhältnis?
Schweppe: Benedikt XVI. beschäftigt die europäische Idee seit Jahrzehnten und er hat viel dazu geschrieben. Bereits sein Name Benedikt erinnert an den Patron Europas. Für das deutsch-französische Verhältnis ist sein Pontifikat sicherlich ein Vorteil. Benedikt XVI. ist ein großer Frankreich-Liebhaber, spricht gerne Französisch, ist mit den Werken großer französischer Theologen wie Henri de Lubac bestens vertraut und seine Akzeptanz bei den Franzosen ist sehr groß. Nicht umsonst wurde er schon 1991 Mitglied der "Associe Etranger" der "Academie des Sciences Morales et Politiques" des "Institut de France".
Frage: Ist die Freundschaft beider Staaten nach 50 Jahren nicht auch ein bisschen zur Routine geworden? Wie viel vom ursprünglichen Enthusiasmus steckt noch dahinter?
Schweppe: Die Beziehung zwischen beiden Ländern wirkt immer noch wie ein Jungbrunnen. Wir entwickeln gemeinsam immer wieder neue Themen und die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Das deutsch-französische Jugendwerk macht eine großartige Arbeit und Millionen Deutsche und Franzosen haben sich kennengelernt. Ein Krieg in der Mitte Europa wäre heute unvorstellbar. Ich glaube, mit dieser Art von Routine können wir sehr zufrieden sein. Als Botschafter beim Heiligen Stuhl kann ich außerdem sagen, dass die Franzosen unsere engsten Partner sind, mit denen wir uns intensiv beraten. Auch das Jubiläum der Elysee-Verträge werden wir mit einer Veranstaltung in der päpstlichen Universität Gregoriana am 7. Februar 2013 gemeinsam feiern.
Frage: Da spricht ganz der Diplomat. In den vergangenen Krisenjahren war immer wieder von einer Abkühlung zwischen Berlin und Paris die Rede.
Schweppe: Wie in jeder Beziehung gibt es Aufs und Abs. Oft liegen die Ausgangspositionen bei unseren Verhandlungen auseinander, aber es ist auch immer von Anfang an klar, dass wir einen Kompromiss finden wollen, von dem auch Europa profitiert. Denn was die Franzosen akzeptieren können, ist in der Regel auch für die süd- und westeuropäischen Länder akzeptabel. Und was die Deutschen akzeptieren können, liegt meist auch im Interesse der nord- und osteuropäischen Länder. Das ist das Erfolgsgeheimnis der deutsch-französischen Partnerschaft. Sicher ist inzwischen auch das Verhältnis beider Länder zu Polen als Ergänzung sehr wichtig geworden. Aber die Verbindung Deutschland-Frankreich bleibt der Motor Europas und ist unverzichtbar. Ich bin sicher, dass diese Verbindung in Zukunft noch enger wird.
Das Interview führte Christoph Schmidt (KNA)