Reform der Pflegeversicherung tritt in Kraft

Ein kleiner Fortschritt

Veröffentlicht am 27.12.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Pflege

Berlin ‐ Es ist ein kleiner Fortschritt: Zum Jahreswechsel tritt die Reform der Pflegeversicherung in Kraft. Erstmals können Demenzkranke ohne Pflegestufe Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Opposition und Verbände hatten das Pflege-Neuausrichtungsgesetz als halbherzig kritisiert. Klar ist, dass der Bundestag die Dauerbaustelle Pflegeversicherung schon bald wieder neu eröffnen wird.

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Eigentlich hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Philip Rösler (FDP) bereits 2011 eine grundlegende Neuordnung der Pflege angekündigt und ein Jahr der Pflege ausgerufen. Insbesondere die Bedürfnisse von Demenzkranken, deren Zahl bis 2030 auf mehr als 2,2 Millionen steigen dürfte, sollten grundsätzlich stärker berücksichtigt werden. Damals rechneten Experten aus, was Röslers Versprechungen kosten würden: Bessere Leistungen für Demenzkranke, Kuren für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, höhere Renten für Pflegende, mehr Geld für Selbsthilfeorganisationen - das summierte sich auf bis zu 10 Milliarden Euro.

Die jetzt in Kraft tretende Pflegereform kostet dagegen nur etwas mehr als eine Milliarde Euro. Der große Wurf wurde abgesagt. Im einzelnen ist etwa vorgesehen, dass Versicherte ohne Pflegestufe mit "erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz" (sogenannte Pflegestufe 0) erstmals Anspruch auf ein Pflegegeld von monatlich 120 Euro oder Pflegesachleistungen von bis zu 225 Euro erhalten. Auch Demenzkranke mit Pflegestufe I oder II sollen mehr Pflegegeld oder höhere Sachleistungen erhalten. Außerdem sollen Pflege-Wohngemeinschaften stärker gefördert werden, ebenso die Rehabilitation und die Rentenansprüche der Pflegenden.

Beiträge steigen um 0,1 Prozent

Um die Mehrkosten zu finanzieren, steigen die Beiträge der Pflegeversicherung ab Januar um 0,1 Prozentpunkte. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) betonte, dass schnelle Hilfen für Demenzkranke und ihre Angehörigen notwendig seien. Insgesamt profitieren eine halbe Million Menschen von der Neuregelung. Zugleich aber räumte der FDP-Politiker ein, dass es sich nur um eine Reform mit begrenztem Haltbarkeitsdatum handele. Ziel bleibe eine neue Definition der Pflegebedürftigkeit.

Regierung wie Opposition warten seit langem auf eine Neuformulierung dieses Begriffs. Er definiert, wer welche Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung hat. Bislang gelten Menschen nur dann als pflegebedürftig, wenn sie Unterstützung bei der körperlichen Pflege brauchen; Demenzkranke kommen zu kurz. Und mit der künftigen Definition wird auch vorgegeben, wie teuer die Pflege die Gesellschaft kommt. Schon 2006 hatte die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) einen Beirat eingesetzt, der 2009 Vorschläge für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vorlegte. Doch dieses Konzept wurde nicht umgesetzt. Zum 1. März 2012 setzte Bahr erneut einen Expertenbeirat ein. Fachleute rechnen nicht mehr mit einer Einigung in der laufenden Legislaturperiode.

Mehr private Vorsorge?

Im Hintergrund schwelt auch ein Streit darüber, ob die Pflegeversicherung weiterhin paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden, oder ob es zusätzliche private Finanzierungsinstrumente geben soll. Auf Druck der FDP hat die Bundesregierung eine Art Pflege-Riester beschlossen, mit dem die Bürger mit steuerlicher Förderung privat für den Pflegefall vorsorgen können. Nach Meinung von Sozialverbänden bedeutet das den Einstieg in den Systemwechsel zu mehr privater Vorsorge. Sie kritisieren zudem den hohen bürokratischen Aufwand und die geringen Leistungsverbesserungen.

Unbestritten ist, dass Pflege teurer wird - auch weil sich die Zahl der Pflegebedürftigen von heute 2,4 Millionen bis 2050 auf bis zu vier Millionen erhöhen dürfte. Wie sehr die Meinungen bei der Finanzierung auseinandergehen, zeigte sich bei den Beratungen über das Gesetz: Die Arbeitgeberverbände bezeichneten schon die Erhöhung des Versicherungsbeitrags um 0,1 Prozent als schädlich für die Wirtschaft. Die SPD legte demgegenüber ein Konzept vor, das sogar zu einer Beitragserhöhung von 0,6 Prozentpunkten und Kosten von rund sechs Milliarden Euro führen würde.

Von Christoph Arens (KNA)