"Ein langer Weg"
Frage: Herr Schroedel, was verschlägt einen Mainzer Priester nach Kairo?
Schroedel: Die Möglichkeit, aufzubrechen und etwas Neues aufzubauen. Die Chance, eine Gemeinde zu gründen. Zugleich war es auch der Orient als besonderer Ort der Religiosität, der mich gereizt hat. Ich bin nun seit einer langen Zeit in Ägypten, mir gefällt die Andersartigkeit. Diese Situation, die sich komplett von der in Deutschland unterscheidet.
Frage: Inwiefern unterscheidet sich Ihr Leben von dem eines Priesters in Deutschland?
Schroedel: In Deutschland ist die nächste Kirche immer nah. In Kairo ist das Einzugsgebiet riesig, die Menschen kommen von weit her zum Gottesdienst. Da ist es oft praktischer, wenn ich zu den Menschen gehe und die Messe bei ihnen im Wohnzimmer halte.
Frage: Im Wohnzimmer?
Schroedel: Ja, die Familien treffen sich zur Messe auch dort, sitzen gemeinsam auf dem Fußboden. Einmal hat ein Hobby-Tischler sogar spontan ein Holzkreuz gezimmert, als ich keines dabei hatte. Das sind schöne, unmittelbare Erlebnisse. Der Kontakt ist sehr persönlich. Schließlich ist die christliche Gemeinde in Kairo mit etwa 2.000 Menschen sehr klein.
„Die meisten Muslime leben in guter Nachbarschaft mit den Christen. Ich sehe keinen Riss. Viele Christen und Muslime durch die Regierungszeit Mursis näher zusammengerückt.“
Frage: Was bedeutet die Gemeinde für die Menschen?
Schroedel: Wir sind Insel und Brücke zugleich. Insel zum Beispiel für viele ältere, deutsche Frauen, deren ägyptische Männer gestorben sind. Für sie sind wir ein Stück Heimat. Das wird gerade in der bald anbrechenden Adventszeit spürbar. Für Diplomaten oder Geschäftsleute, die in Ägypten arbeiten, bilden wir eine Brücke. Wir wollen Ängste vor dem Fremden nehmen, neugierig auf das Gastland machen.
Frage: Sie sind Seelsorger Ihrer Gemeinde. Kommen gerade in diesen Zeiten der politischen Umbrüche viele Menschen mit Sorgen zu Ihnen?
Schroedel: Ja sicher. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wie gehen wir mit der Angst um unsere Familien und Kinder um?
Frage: Hat sich diese Angst in jüngster Zeit vergrößert?
Schroedel: Die Räumung der beiden Camps der Anhänger des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi im August hat zu vielen Ausschreitungen gegen christliche Einrichtungen geführt. Der Grund dafür ist, dass Islamisten Christen für die Situation im Land und ihren Machtverlust verantwortlich machen. Bei der Frage sind aber zwei Punkte wichtig.
Frage: Welche?
Schroedel: Die latente Ablehnung von Christen ist kein neues Phänomen. Unter Mursi war das Level der Ausschreitungen nicht wesentlich höher als unter dem früheren Präsidenten Mubarak. Wir sprechen jedoch von einer Minderheit von Fundamentalisten. Die meisten Muslime leben in guter Nachbarschaft mit den Christen. Ich sehe keinen Riss. Vielmehr sind Christen und Muslime durch die Regierungszeit Mursis näher zusammengerückt. Denn sie hat gezeigt, dass ein Staat so nicht funktioniert.
Frage: Sie sagen, Muslime und Christen seien zusammengerückt. Woran machen Sie das fest?
Schroedel: Aus meiner Erfahrung vor Ort, aus Gesprächen mit Menschen. Muslime und Christen haben den gemeinsamen Wunsch, ein neues Ägypten zu gestalten.
„Ägypten hat einen langen Weg vor sich. Das Gebot der Stunde ist ein Dialog über soziale Fragen, Fragen der Bildung, der Armut.“
Frage: Sie klingen optimistisch. Was ist mit der Wirtschaftskrise, der hohen Arbeitslosigkeit, dem schlechten Zugang zu Bildung?
Schroedel: Ägypten hat einen langen Weg vor sich. Das Gebot der Stunde ist ein Dialog über soziale Fragen, Fragen der Bildung, der Armut. Ich bin aber nicht pessimistisch. Ich glaube an die Kraft der Menschen, gerade der jungen Menschen, von denen viele für demokratische Strukturen gekämpft haben…
Frage: …und die vielfach Opfer geworden sind und noch immer werden.
Schroedel: Jedes Opfer ist eines zu viel. Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber das Bild, das wir von deutschen Medien unter der Schlagzeile "Ägypten versinkt im Chaos" vermittelt bekommen, wenn es in drei Straßen zu Ausschreitungen kommt, ist nicht differenziert. Es führt dazu, dass keine Touristen mehr kommen, Firmen nicht investieren. Für die wirtschaftliche Situation ist das - nebenbei bemerkt - ein Teufelskreis.
Frage: Sie wünschen sich eine ausgewogenere Berichterstattung. Was wünschen Sie sich noch für Ägypten, auch im Hinblick auf Ihre deutsche Heimat?
Schroedel: Wir in Deutschland leben auf einer Insel der Glückseligen. Ich wünsche mir, dass wir weniger um uns selbst kreisen. Das wünschen sich vor allem die Katholiken in Ägypten. Ein Stück mehr Solidarität und Unterstützung der deutschen Kirche. Damit meine ich gerade auch Begegnung vor Ort.
Das Interview führte Vanessa Renner