Ein Mönch unter "Zugzwang"
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Mit kräftigen Armzügen bringt Pater Daniel seine Draisine in Schwung. Der Mann mit dem schütteren, weißen Haar drückt den eisernen Hebel des Fahrzeugs runter und zieht ihn kurz danach wieder hoch. Ein Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus, während ihm der Fahrtwind immer heftiger entgegen schlägt. Statt Habit trägt der 63-jährige eine graue, verwaschene, dünne Jacke. Am rechten Arm ist das Zeichen der Deutschen Bahn aufgenäht. "Eine originale Jacke aus einer Dienststelle in Fulda", wie der Geistliche erklärt. Dabei ist er gar kein Angestellter der Bahn. Pater Daniel Hörnemann ist Mönch. Und er hat eine große Leidenschaft: Züge. "Seit ich klein bin, bin ich an Zügen aller Art interessiert", sagt er. "Schon im Kinderwagen soll ich an Bahnschranken immer darauf bestanden haben, den Zug sehen zu können."
Am Alten Bahnhof Lette in Coesfeld hat sich 1990 der Verein der Eisenbahnfreunde gegründet. Pater Daniel ist unmittelbar nach der Gründung dort eingetreten. Zusammen mit den anderen Mitgliedern hat er ein kleines Eisenbahnmuseum geschaffen. Zu besonderen Anlässen werden dann auch Fahrten mit der Draisine angeboten, mit der der Pater aber auch zwischendurch gerne mal fährt.
Erläuterungen mit vollem Körpereinsatz
Vor dem Museumsgebäude steht ein Teil einer alten Dampflok. Mit gekonnten, schnellen Schritten steigt Pater Daniel die schmalen Trittstufen zum Führerstand hinauf. Oben angekommen, beginnt er sofort sämtliche Hebel und Gegenstände zu erklären. "Hier das sind Wasserstandsschutzkörbe und dahinten ist die Bremse", sagt er fachmännisch und bewegt sie vor und zurück. Dann schnappt er sich eine schwere Schaufel, die am Boden liegt. "Das ist eine Kohlenschaufel, mit der man die Steinkohle in das Feuerloch hinein gibt", sagt er und schaufelt mit lautem Poltern ein paar Kohlestücke auf. Die Augen hinter seiner runden Brille mit dem dünnen Metallrand zeigen die Freude an der Arbeit. In seinem Gesicht ist stets ein Lächeln zu sehen. Durch das eifrige Zeigen und Erklären bilden sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Pater Daniel ist hier im Führerstand in seinem Element.
Doch was ist es, was den Mann so fasziniert? "Bei einer Dampflokomotive ist Leben drin. Und als Lokführer wie als Heizer ist man mit dafür verantwortlich, sie am Leben zu halten", sagt er und zieht erneut an verschiedenen Griffen und Hebeln.
Den Grundstein für seine Leidenschaft hat wohl seine erste Modelleisenbahn gelegt, die er im Alter von 4 Jahren zu Weihnachten bekommen hat. Seit jeher waren alle überzeugt: Daniel wird Lokführer. Doch er entschied sich anders. "Ich habe gemerkt, es gibt noch ein Leben über die Bahn hinaus", erklärt er. 1974 trat er daher nach dem Abitur in den Benediktinerorden ein. Nach einjährigem Noviziat stand für ihn fest, ein Leben als Mönch zu führen. In der Abtei Gerleve ist er heute Subprior, wirkt in der Seelsorge mit und leitet die Klosterbibliothek. Eine Entscheidung die er bereut? "Nein. Ich habe ja beides: Kloster und Züge", sagt Pater Daniel und lacht. Außerdem blieben die Züge so immer etwas Besonderes und seien nichts Alltägliches.
Sein Novizenmeister stand der Zugaffinität am Anfang eher skeptisch gegenüber. Nach kurzer Zeit musste er jedoch feststellen, dass ein Nebeninteresse einem Mönch gut tun kann. "Er sagte, dann bleibt man normal und das kann ich bestätigen", sagt Pater Daniel mit einem zwinkernden Auge und lacht. Normal behauptet er selbst, verrückt sagen seine Mitbrüder. Doch davon lässt sich der 63-Jährige nicht beeindrucken. Fast jede freie Minute verbringt er mit Zügen: als Modell oder in Echt.
Sommerurlaub in England - zum Dampflokfahren
Seinen Sommerurlaub verbringt der gebürtige Coesfelder daher auch eher unkonventionell. "Seit Jahren fahre ich nach England zur Mid Hants Railyway in der Nähe von Winchester. Das ist eine der erfolgreichsten ehemaligen Eisenbahnstrecken des Landes. Heute arbeitet die Bahn daran, das Eisenbahnerbe dort für die Nachwelt zu erhalten." Drei Wochen lang kümmert sich Pater Daniel um die Reparatur und Instandhaltung alter Maschinen und Dampfloks. Eine schweißtreibende und dreckige Arbeit, wie der Geistliche sagt. Aber ihm gefalle es, abends völlig kaputt zu sein und zu merken, was man am Tag geleistet hat. Wenn die Pflichten erfüllt sind, bleibt Zeit für das, weswegen er hauptsächlich da ist: Dampflokfahren.
"Durch Kontakte zu befreundeten Lokführern durfte ich selbst schon einige Male eine solche Lok führen", erzählt er stolz und lacht. "Natürlich immer unter Aufsicht." In Deutschland wie in England hat er sich auch sein ganzes Wissen über die Technik angeeignet. Zudem wurde er dort als Heizer ausgebildet.
Im Eisenbahnmuseum am Alten Bahnhof in Lette teilt er seine Leidenschaft mit anderen Zugbegeisterten. Das ehemalige Bahnhofsgebäude ist gefüllt mit unzähligen Relikten aus vergangener Bahngeschichte: Ausrangierte Hinweisschilder, ein nachgebauter Fahrkartenschalter mit hunderten, kleinen Papiertickets, Warnlaternen und alte Uniformen. Das meiste davon stammt von Pater Daniel, der die Dinge zum Großteil geschenkt bekam. "Hier ist eine Bahnmütze aus Irland, dort eine aus Luxemburg und diese hier aus England", beschreibt der Mönch beim Umrunden der Ausstellungsvitrinen. Am liebsten würde er zu jedem Stück und dessen dazugehöriger Geschichte etwas erzählen. Das Wissen dazu hätte er in jedem Fall.
Für viele Zugbegeisterte wartet das eigentliche Highlight des Museums aber im Keller. Im kargen, dunklen Raum ist ein richtiger Schatz aufbewahrt: eine große Modelleisenbahn. Miniaturgebäude, grüne Berge und kleine Spielfiguren bilden die Umgebung um ein komplexes Schienennetz. "Hier kann man sich seine Welt selbst schaffen. Man ist quasi ein kleiner Schöpfer", erklärt Pater Daniel die Faszination am Modelleisenbahnbau. Die Modelle gehören aber nicht ihm, sondern dem Verein. Regelmäßig kommen dort die Mitglieder zusammen um zu bauen und zu fahren. An seinen eigenen Modellen werkelt der Mönch aber lieber in Ruhe im Kloster.
Glaube und Züge passen zusammen
Seine beiden Leidenschaften, der Glaube und die Züge, schließen sich für Pater Daniel nicht aus. Im Gegenteil. "Wenn Menschen merken, dass ich ihr Hobby mit ihnen teile, öffnen sie sich mehr, als wenn ich nur in der Funktion des Geistlichen daher käme", fasst er seine Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zusammen. So hat er Leute getroffen, denen er ohne die Bahnleidenschaft nie begegnet wäre, da sie mit Glauben nichts zu tun haben. Beim Werkeln an den Zügen gab er so schon den ein oder anderen seelsorgerischen Rat. Der Geistliche verwendet dazu gerne eine passende Metapher: "Das Leben ist wie eine Bahnfahrt mit den unterschiedlichsten Begegnungen, Erlebnissen und Erfahrungen. Und am Ende des Lebens ist man am Prellbock angekommen."
Der Lebensweg von Pater Daniel führt für ihn über Schienen. So lange es geht wird er an Maschinen schrauben, mit Modelleisenbahnen fahren und Dampfloks heizen. Er lebt mit den Zügen seinen Kindheitstraum aus. "Bis der Herrgott mir die Schlussscheibe zeigt", wie er sagt.